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Anfechtbarkeit eines Sanierungsversuchs

Der BGH hat mit Urteil vom 18.1.2024 -IX ZR 6/22 -die Privilegierung des Sanierungsversuchs eingeschränkt und dabei den Unterschied zwischen einer kongruenten und einer inkongruenten Sicherung geschärft.

19.09.2024
Insolvenzrecht
Urteil vom 18.1.2024 -IX ZR 6/22

 

Der Entscheidung des BGH lag folgender Fall zugrunde

Über das Vermögen einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die Schuldnerin hatte zuvor bei verschiedenen Banken Kredite aufgenommen. Schon vor der Insolvenzantragstellung lief eine Kreditlinie aus. Dies wurde seitens der Bank zum Anlass genommen, ein Treffen am 31.5.2005 zu vereinbaren und eine Nachbesicherung zu verlangen. Die Schuldnerin gab daraufhin ein Gutachten in Auftrag, das ihre Sanierungsfähigkeit bestätigen sollte. Die Banken, die eine Nachbesicherung verlangt hatten, stundeten daraufhin die Rückzahlung der Kredite für eine Übergangszeit und übersandten der Schuldnerin Verträge über eine Nachbesicherung. Die Anwälte der Schuldnerin hielten die Nachbesicherung insoweit für bedenklich, als eine spätere Insolvenzanfechtung sehr wahrscheinlich greifen würde. Die Schuldnerin unterzeichnete gleichwohl die von den Banken übersandten Verträge zur Nachbesicherung (eine Sicherungsübereignung des gesamten Warenlagers und eine Globalzession). Allerdings übersandte sie nur den Vertrag zur Sicherungsübereignung des Warenlagers an die entsprechende Bank zurück. Den Globalzessionsvertrag übergab sie an ihre Rechtsanwälte und bat um Prüfung, ob dieser Vertrag strafrechtlich unbedenklich ist – nur in diesem Fall sollte er an die Bank übersandt werden. Das zwischenzeitlich angefertigte Sanierungsgutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Unternehmung unter bestimmten Voraussetzungen sanierungsfähig sei. Darunter befand sich die Annahme, dass die Banken ihre Kreditgewährung bis Ende 2007 verlängern würden. Im Ergebnis der Verhandlungen erklärten sich die Banken bereit, ihre Kredite bis zum 31.3.2006 zu verlängern. Anschließend wurde auch der Globalzessionsvertrag an die Banken übergeben.

Am 18.9.2006 erfolgte der Insolvenzantrag. Der bestellte Insolvenzverwalter erklärt die insolvenzrechtliche Anfechtung bezogen auf die Sicherungsverträge. Sein Klagebegehren wurde in den ersten Instanzen abgewiesen. Dabei wurde darauf verwiesen, dass nicht bewiesen sei, dass die Schuldnerin mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt habe. Zwar sei die Nachbesicherung inkongruent, jedoch reiche die Gewährung einer inkongruenten Deckung nach der neueren BGH-Rechtsprechung allein für die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung nicht aus. Nach dem Vorliegen des Sanierungsgutachtens sei die Nachbesicherung ein ernsthafter Sanierungsversuch auf der Grundlage eines ernsthaften Sanierungskonzepts gewesen.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hob die Entscheidung auf und verwies darauf, dass mit der Begründung des Berufungsgerichts (OLG Frankfurt/Main) weder ein Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin noch die Kenntnis der Banken vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin verneint werden können.

Für einen Benachteiligungsvorsatz spreche schon das Vorliegen einer Inkongruenz bei gleichzeitigen beengten finanziellen Verhältnissen des Schuldners. Die Inkongruenz sei vorliegend gegeben, da die Banken keinen Anspruch auf die Nachbesicherung hatten. Die spätere Insolvenzschuldnerin sei im Zeitpunkt der Nachbesicherung auch drohend zahlungsunfähig gewesen. Das Berufungsgericht habe an dieser Stelle darauf abgestellt, dass die neue BGH-Rechtsprechung zu beachten sei. Daher habe das Berufungsgericht an dieser Stelle gefordert, dass der Insolvenzverwalter zusätzlich zu beweisen habe, dass die Schuldnerin die sichere Erwartung ihrer Zahlungsunfähigkeit gehabt hätte. Diese neue BGH-Rechtsprechung habe sich aber nicht auf inkongruente, sondern nur auf kongruente Rechtshandlungen bezogen. Nur soweit eine kongruente Deckung vorliege, könne allein aus der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht gefolgert werden, dass der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handelt. Bei einer kongruenten Deckung setze der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Fall der erkannten Zahlungsunfähigkeit weiterhin voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder billigend in Kauf nahm, dass seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigt werden können. Dies gelte aber nicht für Fallgestaltungen der inkongruenten Deckung. Denn eine inkongruente Deckung beeinträchtige die prinzipiellen gleichen Befriedigungschancen, weil der Anfechtungsgegner eben kein Recht habe, die Leistung/Deckung zu fordern. Die inkongruente Deckung sei mithin ein starkes Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners. Im Fall der inkongruenten Deckung sei mithin nicht zu fordern, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder billigend in Kauf nahm, dass seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigt werden können.

Der BGH ergänzt, dass es im Streitfall den Banken oblegen hätte, den Beweis zu führen, dass die ihnen gewährte inkongruente Deckung Bestandteil eines ernsthaften (aber letztlich fehlgeschlagenen) Sanierungsplans gewesen ist. Denn auch hier sei danach zu unterscheiden, ob ein Fall der kongruenten Deckung oder ein solcher der inkongruenten Deckung vorliegt. Während im Fall einer kongruenten Deckung der Insolvenzverwalter darzulegen und zu beweisen hat, dass der Sanierungsversuch untauglich war und der Schuldner dies erkannte oder billigend in Kauf genommen hat, ergebe sich für den Fall der inkongruenten Deckung das Gegenteil, in diesen Fällen seien die Anfechtungsgegner darlegungs- und beweispflichtig.

Vorliegend sei der Gegenbeweis durch die Banken nicht geführt worden. Schon die Tauglichkeit des Sanierungsgutachtens sei fraglich. In diesem Zusammenhang verweist der BGH auch darauf, dass die Banken nur bereit waren, die Kredite bis zum 31.3.2006 zu verlängern, obgleich der Sanierungsplan eine Verlängerung der Kredite bis Ende 2007 vorsah. Diese verkürzte Kreditvergabe könnte ein mangelndes Vertrauen in das Sanierungskonzept dokumentieren. Dies habe das Berufungsgereicht nicht gewürdigt.

Praxishinweis

Insgesamt zeigt sich, dass die in der Praxis so wichtige Vorsatzanfechtung in seiner Neuausgestaltung immer noch Anlass zu Fragen und zu Korrekturen bietet. Deutlich wird, dass auch ein Sanierungsplan kein Freifahrtschein ist, sich aus einer absehbaren Anfechtbarkeit zu befreien. Werden Sanierungspläne so aufgestellt, dass sie bestimmten Gläubigern inkongruente Deckungen gewähren, also bestimmten Gläubigern Deckungen gewähren, auf dies sie keinen Anspruch haben, so werden die Hürden doch relativ hochgesteckt. Denn die Sanierungspläne müssen jedenfalls tragfähig und erfolgversprechend sein.

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