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BGH erleichtert die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit

Das Urteil befasst sich mit der für ein krisenbehaftetes Unternehmen wesentlichen Frage, ab wann es zahlungsunfähig ist.

21.11.2022
BGH Urteil vom 28.6.2022 AZ II ZR 112/21

Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Über das Vermögen einer GmbH wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Der eingesetzte Insolvenzverwalter nahm den Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin wegen der Vornahme verbotener Zahlungen gemäß § 64 GmbHG (jetzt § 15 b InsO) in Anspruch. Die Insolvenzschuldnerin war in einen Unternehmensverbund eingegliedert, der mit der C-Bank einen Cash-Pool vereinbart hatte. Das Masterkonto wurde dabei bei der Muttergesellschaft der Insolvenzschuldnerin geführt. Das Clearing-Verfahren wurde taggenau durchgeführt, sodass das Guthaben der Insolvenzschuldnerin am Ende eines jeden Arbeitstages an das Masterkonto übertragen bzw. eine Soll-Stellung ausgeglichen wurde. Der Verwalter behauptet, dass die Insolvenzschuldnerin bereits am 31.12.2012 zahlungsunfähig war und verlangte vom Geschäftsführer den Ersatz bestimmter Zahlungen. Die Zahlungsunfähigkeit stützte er auf einen Bericht einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und die Gegenüberstellung der verfügbaren Mittel und der fälligen Verbindlichkeiten bezogen auf bestimmte Stichtage (den 31.12.2012, den 7.1.2013, den 16.1.2013 und den 21.1.2013). Hierbei ergaben sich jeweils Unterdeckungen in Höhe von über 40 %. Bei dieser Berechnung berücksichtigte der Verwalter jeweils die volle nicht ausgeschöpfte Kreditlinie der Poolführerin gegenüber der C-Bank zugunsten der Insolvenzschuldnerin als deren verfügbare Liquidität. Zudem verwies er darauf, dass die Liquiditätslücke in dem Zeitraum nicht unter die 40 %-Marke zurückgeführt werden konnte, sodass auch keine Zahlungsstockung angenommen werden könnte.

BGH verschärft Haftungs- und Anfechtungsregelungen

Das Berufungsgericht war der Argumentation des Verwalters noch entgegengetreten. Es verwies darauf, dass der Verwalter den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit zum 31.12.2012 nicht geführt habe. Denn Zahlungsansprüche der dem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaft gegen die den Cash-Pool führende Gesellschaft seinen nicht als flüssige Mittel im Finanzstatus, sondern mit ihrer Fälligkeit im Finanzplan zu berücksichtigen. Zur Feststellung der im Beurteilungszeitraum im Cash-Pool vorhandenen Liquidität bedürfe es einer konsolidierten Gesamtbetrachtung. Diese sei nicht erfolgt.

Der BGH trat der Argumentation des Berufsgerichts entgegen. Die Zahlungsunfähigkeit müsse nicht durch eine Liquiditätsbilanz nachgewiesen werden, sie könne auch durch andere Mittel dargelegt werden. In der Rechtsprechung des BGH sei dies anerkannt. So werde es als zulässig erachtet, die Zahlungsfähigkeit durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag, in Verbindung mit einem Finanzplan für die auf den Stichtag folgenden drei Wochen, in denen taggenaue Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt werden, dazutun. Es spreche auch nichts dagegen, zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mehrere taggenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl aufzustellen, in denen ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keine der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tage die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann. Im vorliegenden Fall sei die aufgezeigte Unterdeckung weder unerheblich noch vorübergehend. Auch sei der volle freie Kreditrahmen der Muttergesellschaft auf dem Masterkonto als liquide Mittel der Insolvenzschuldnerin berücksichtigt worden. Dieser Vortrag sei ausreichend um die Zahlungsunfähigkeit zu belegen.

Praxisauswirkung

Mit dieser Entscheidung hat der BGH die Möglichkeiten des Nachweises der Zahlungsunfähigkeit merklich ausgeweitet. Geschäftsführer, die in Haftung genommen werden sollen, und auch Anfechtungsgegner, werden sich auf diese Rechtsprechung einstellen müssen, denn dem Verwalter wird es erleichtert, die Zahlungsunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu belegen. Dieser erleichterte Nachweis wird zudem durch eine höhere Manipulationsanfälligkeit erkauft, denn je nach Auswahl der Stichtage und des Beobachtungszeitraums durch den Verwalter können sich ganz unterschiedliche Unterdeckungen ergeben. Es ist absehbar, dass sich Insolvenzverwalter auf diese neue Rechtsprechung stützen werden. Geschäftsführer und mögliche Anfechtungsgegner werden sich darauf einzustellen haben.

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