Der BGH hat mit Urteil vom 30. März 2023 – IX ZR 121/22 – entschieden, dass an einen Aktionär in Form von Dividenden gezahlte Scheingewinne auch dann als unentgeltliche Leistungen im Sinne des § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar sind, wenn der Aktionär dem aktienrechtlichen Gutglaubensschutz gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG unterliegt.
I. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH ist dem Komplex des Infinus-Finanzskandals zuzuordnen. Die Infinus-Gruppe bestand aus mehreren Gesellschaften, an deren Spitze die Future Business KGaA stand. Am 1. April 2014 wurde über das Vermögen der Future Business KGaA das Insolvenzverfahren eröffnet. Der persönlich haftende Gesellschafter sowie weitere an der Future Business KGaA bzw. Konzerngesellschaften beteiligte Personen wurden aufgrund des Betriebs eines Schneeballsystems wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu teilweise hohen Freiheitsstrafen verurteilt.
Der Insolvenzverwalter der Future Business KGaA hat hinsichtlich der festgestellten Jahresabschlüsse für die Jahre 2009 bis 2012 gegen die insolvente Gesellschaft Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der darauf beruhenden Gewinnverwendungsbeschlüsse mit der Begründung erhoben, dass darin Vermögensgegenstände unzutreffend angesetzt und tatsächlich nicht existierende Gewinne (sog. Scheingewinne) ausgewiesen worden wären. Für die Jahre 2009 und 2010 wurde lediglich die Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse festgestellt. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 hielt das (dortige) Berufungsgericht für unzulässig, weil der Insolvenzverwalter die Jahresabschlüsse zwischenzeitlich ersetzt hatte. Die Feststellung der Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse für 2009 und 2010 begründete das Gericht damit, dass diesen durch die Ersetzung der Jahresabschlüsse die Grundlage entzogen worden sei. Dass die Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig gewesen sein könnten, blieb offen. Für die Jahre 2011 und 2012 wurde die ursprüngliche Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und Gewinnverwendungsbeschlüsse antragsgemäß festgestellt.
Im vom BGH zu entscheidendem Fall ging es um einen Folgeprozess des Insolvenzverwalters gegen eine Kommanditaktionärin, die in gutem Glauben an die Richtigkeit der Jahresabschlüsse und Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Geschäftsjahre 2009 bis 2012 Dividendenzahlungen erhalten hatte. Der Insolvenzverwalter nahm sie unter dem Gesichtspunkt der Schenkungsanfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO auf die Rückgewähr der Dividendenzahlungen in Anspruch.
Die Entscheidung des BGH ist zwar zu einer Kommanditgesellschaft auf Aktie (KGaA) ergangen. Auf die KGaA findet gemäß § 278 Abs. 3 AktG jedoch der Gutglaubensschutz von Aktionären einer Aktiengesellschaft (AG) beim Dividendenbezug gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechende Anwendung, sodass die Entscheidung für Kommanditaktionäre und Aktionäre von AG´s gleichermaßen zu beachten ist. Im Folgenden wird daher nur von „Aktionären“ gesprochen.
II. Der Gutglaubensschutz beim Dividendenbezug
Voraussetzung für den Dividendenanspruch des Aktionärs ist ein ordnungsgemäß gefasster Gewinnverwendungsbeschluss. An einem Dividendenanspruch fehlt es deshalb, wenn der Gewinnverwendungsbeschluss aufgrund eines eigenen Mangels oder infolge der Nichtigkeit des Jahresabschlusses, auf dem die Beschlussfassung über den Bilanzgewinn beruht, nichtig ist. Bereits erhaltene Dividenden müssen daher grundsätzlich gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG an die Gesellschaft zurückgezahlt werden. Allerdings sind gutgläubige Aktionäre beim Bezug von Dividenden durch § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG geschützt. Danach sind Dividenden nur dann zurückzuzahlen, wenn der Aktionär wusste oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass er keinen Anspruch auf eine Dividende hatte. Er muss also Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Nichtigkeit des Jahresabschlusses oder des Gewinnverwendungsbeschlusses gehabt haben. Ist das nicht der Fall, darf er die Dividenden behalten. Dies kann auch nicht unter Anwendung bereicherungsrechtlicher Ansprüche gemäß § 812 BGB umgangen werden, da diese von § 62 AktG verdrängt werden. Streitig ist allerdings, ob § 62 AktG auch der Insolvenzanfechtung gemäß § 129 ff. InsO, insbesondere in Form einer Schenkungsanfechtung gemäß § 134 Abs. 1 InsO, entgegensteht.
III. Die Entscheidung des BGH
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 30. März 2023 – IX ZR 121/22 – höchstrichterlich entschieden, dass § 62 AktG einer Schenkungsanfechtung gemäß § 134 Abs. 1 InsO nicht entgegensteht.
1. Überhöhte Dividenden als unentgeltliche Leistung im Sinne des § 134 InsO
Der BGH hält in seinem Urteil daran fest, dass eine Leistung unentgeltlich ist, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zu Gunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass der Empfänger eine ausgleichende Gegenleistung an den Verfügenden erbringt. Unter dieser Prämisse ist eine Dividendenzahlung auf Basis eines wirksamen Gewinnverwendungsbeschlusses nicht unentgeltlich, weil die Aktionäre, quasi als Gegenleistung, ihren Dividendenanspruch verlieren und die Gesellschaft von einer Verbindlichkeit befreit wird. Im Falle eines nichtigen Gewinnverwendungsbeschlusses kann die Gesellschaft durch die Zahlung der Dividende hingegen nicht von einer Verbindlichkeit befreit werden. Hier kommt es nun auf den ersten Blick zu einer bizarren Situation. Denn der Aktionär, der beim Bezug der Dividende bösgläubig ist, weil er um die Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses weiß, erhält, im Gegensatz zum gutgläubigen Aktionär, die Dividende nicht unentgeltlich im Sinne des § 134 Abs. 1 InsO. Grund dafür ist, dass die Gesellschaft als Gegenleistung im Sinne des § 134 InsO den Rückzahlungsanspruch aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG erhält. Anders ist dies beim gutgläubigen Aktionär. Die Gesellschaft wird hier nämlich weder von einer Verbindlichkeit befreit noch erhält sie einen Rückzahlungsanspruch aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG oder aus Bereicherungsrecht.
2. Rückzahlungsanspruch für die Jahre 2011 und 2012
Der BGH hat dem Insolvenzverwalter in seiner Entscheidung vom 30. März 2023 für die Geschäftsjahre 2011 und 2012 einen Rückzahlungsanspruch gemäß §§ 143, 129, 134 InsO zugesprochen.
Im vom BGH entschiedenen Fall hatte die Aktionärin keinen Dividendenanspruch für die Jahre 2011 und 2012, weil die Jahresabschlüsse und die darauf beruhenden Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig waren. Dies war aufgrund der Bilanznichtigkeitsklagen des Insolvenzverwalters rechtskräftig festgestellt worden. Auch wenn die Aktionärin an den Verfahren über die Wirksamkeit der Jahresabschlüsse und der Gewinnverwendungsbeschlüsse nicht beteiligt war, wirkten die klagestattgebenden Urteile gemäß § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG auch gegen sie, sodass im Folgeprozess zwischen dem Insolvenzverwalter und der Aktionärin das Fehlen der Dividendenansprüche für die Jahre 2011 und 2012 mangels wirksamer Gewinnverwendungsbeschlüsse als festgestellt galt.
3. Zurückverweisung hinsichtlich der Dividenden für die Jahre 2009 und 2010
Hinsichtlich der Dividenden für die Jahre 2009 und 2010 wurde die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Grund dafür ist, dass es hier an einer rechtskräftigen Entscheidung über die anfängliche Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der Gewinnverwendungsbeschlüsse fehlt. Rechtskräftig festgestellt wurde lediglich, dass die Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 durch die neu aufgestellten Jahresabschlüsse nichtig geworden sind. Maßgeblich für die Anfechtbarkeit der Zahlungen an die Aktionärin ist jedoch gemäß § 140 InsO der Zeitpunkt der Zahlung, die einige Jahre vor der Neuaufstellung der Jahresabschlüsse erfolgt ist. Dementsprechend muss nun erst im Rahmen des Prozesses über die Insolvenzanfechtung inzident festgestellt werden, ob auch eine anfängliche Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der Gewinnverwendungsbeschlüsse vorlag.
III. Praxishinweis
Die Entscheidung bedeutet einen Einschnitt für Aktionäre, da sie dem Risiko ausgesetzt sind, gutgläubig empfangene Dividenden nachträglich zurückzahlen zu müssen. Der insolvenzanfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch aus § 134 Abs. 1 InsO beinhaltet eine Anfechtungsfrist von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und unterliegt einer dreijährigen Verjährungsfrist.
Das Urteil zeigt auf, dass eine effektive Verteidigung gegen die Insolvenzanfechtung von Dividenden kaum noch möglich ist, wenn der Insolvenzverwalter zuvor erfolgreich eine Bilanznichtigkeitsklage gegen die insolvente Gesellschaft erhoben hat. Eine dahingehende Berechtigung des Insolvenzverwalters wurde vom BGH mit Urteilen vom 21. April 2020 anerkannt (BGH, Urteil vom 21.04.2020 – II ZR 56/18; BGH, Urteil vom 21.04.2020 – II ZR 412/17). Das die Nichtigkeit feststellende Urteil wirkt dann gemäß § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG gegenüber allen Aktionären, sodass die Folgeprozesse über die Rückzahlung der Dividenden weitestgehend vorentschieden sind. Den Aktionären bleibt allenfalls noch die Entreicherungs- oder Verjährungseinrede. Zur effektiven Verteidigung müssten die Aktionäre daher bereits dem Prozess über die Bilanznichtigkeitsklage als Nebenintervenient auf Seiten der Gesellschaft beitreten. Im Vorfeld sollten jedoch Kosten(risiko) und Nutzen eines Streitbeitritts in Anbetracht der im Einzelfall gegebenen voraussichtlichen Höhe des anfechtungsrechtlichen Rückzahlungsanspruches sorgfältig abgewogen werden.