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Wissenszurechnung im Insolvenzanfechtungsrecht – BGH-Urteil vom 25. Mai 2023 AZ IX ZR 116/21

Erfolgt eine Vertragsabwicklung über drei Personen, so ergeben sich häufig rechtliche Probleme. Dies betrifft auch die Insolvenzanfechtung. Die Rechtsprechung hat insoweit herausgearbeitet, dass das Wissen einer Person, die in die Vertragsabwicklung eingeschaltet wurde, dem Anfechtungsgegner zugerechnet werden kann – sodass eine Insolvenzanfechtung möglich ist. Allerdings ergeben sich hier auch Grenzen. Die zeigt auch die oben aufgeführte Entscheidung des BGH. Diesem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

19.09.2023
Insolvenzrecht

Im August 2015 wurde über das Vermögen einer GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die GmbH hatte im November 2014 ein Vertrag mit einer AG geschlossen, nach dem diese auf Aufforderung der GmbH Waren oder Investitionsgüter zu erwerben hatte, die sie dann mit einem Zahlungsziel von 60 Tagen an die GmbH weiterveräußern konnte. Der GmbH wurde dabei ein Bestelllimit in Höhe von EUR 100.000 eingeräumt. Bereits im August 2014 hatte die AG einen Factoringvertrag mit der B abgeschlossen, in dem sie sich verpflichtete, die Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen der B zum Kauf anzubieten und ihr bereits im Voraus abzutreten. In den AGB der B war die Regelung niedergelegt: „Sind oder werden der Firma (hier der AG) Umstände bekannt, welche die Zahlungsunfähigkeit des Debitors und die Durchsetzung einer zum Kauf anzubietenden, angebotenen bzw. angekauften Forderung gefährden könnten, hat sie dem Factor diese Umstände unverzüglich mitzuteilen“. Am 9. Februar 2015 stellte die AG der GmbH eine Rechnung über EUR 53.843,26 und teilte der GmbH mit, dass die Forderung an die B abgetreten worden war und schuldbefreiend nur noch an die B gezahlt werden konnte. Die GmbH zahlt innerhalb der vorgesehenen Zahlungsfrist nicht und verhandelte mit der AG um eine Verlängerung des Zahlungsziels. Dies lehnte die AG ab, setze eine neue Frist und drohte an, dass der GmbH im Fall der nicht zeitgerechten Zahlung die Einkaufslinie gestrichen wird. Die GmbH zahlte daraufhin einen Tag nach der neuen Frist den Betrag an die B.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH erklärte der eingesetzte Insolvenzverwalter die Insolvenzanfechtung und verlangte die Rückzahlung der EUR 53.843,26 von B. Die zunächst angerufenen Gerichte entscheiden unterschiedlich, sodass der Rechtstreit letztlich dem BGH vorgelegt wurde.

Der BGH wies die Klage des Verwalters ab. Er argumentierte, dass zwar davon auszugehen sei, dass die GmbH im Zeitpunkt der Vornahme der Zahlung an die B zahlungsunfähig war und diese Zahlungsunfähigkeit der AG auch bekannt war. Diese Kenntnis sei der B aber nicht zuzurechnen. Auch wenn nach der Rechtsprechung des BGH § 166 Abs. 1 BGB entsprechend auf sogenannte Wissensvertreter anzuwenden sei, ergebe sich vorliegend nichts anderes. Denn Wissensvertreter sei jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn (hier also der B) dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Der Geschäftsherr müsse sich seiner im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen. Die Wissenszurechnung beruhe auf der Erwägung, dass der Geschäftsherr aus einer geschäftsorganisatorisch bedingten Wissensaufspaltung keine Vorteile ziehen soll. Zudem komme diese Wissenszurechnung auch im Rahmen der Insolvenzanfechtung in Betracht. Die Voraussetzungen der Wissenszurechnung seien vorliegend aber nicht erfüllt. Insbesondere ergebe sich ein anderes Ergebnis nicht aus den AGB der B, die die AG binden sollten, Informationen zur Zahlungsunfähigkeit bzw. Forderungsgefährdung unverzüglich mitzuteilen. Denn in dieser AGB-Regelung werde nur die ohnehin gesetzlich vorgesehene Nebenpflicht aus § 402 BGB inhaltlich wiederholt. Auch sei keine Einbeziehung der AG in die arbeitsteilige Organisation der B ersichtlich, zumal die AG an der Forderungseinziehung gerade nicht beteiligt sein sollte.

Abschließend verweist der BGH darauf, das eine Zurechnung von Wissen auch möglich ist, wenn ein Dritter ohne Vertretungsmacht bzw. ohne Auftrag handelt. Dann setze eine Wissenszurechnung aber voraus, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Tätigwerden des Dritten dem Geschäftsherrn bekannt ist und von diesem wenigstens gebilligt wird. Dies sei vorliegend nicht anzunehmen. Zwar habe die AG versucht, die GmbH zur Zahlung zu bewegen, die AG habe für dieses Verhalten aber auch ein eigenes Interesse und der B sei dieser Vorgang nicht bekannt gewesen.

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