Aufrechnungen in der Insolvenz bieten seit jeher Zündstoff. Der Gesetzgeber hat hierfür in den §§ 94 ff. InsO besondere Regelungen geschaffen. Einzelheiten sind allerdings vielfach ungeklärt oder umstritten. Der BGH hat seine Rechtsprechung mit Urteil vom 8. Dezember 2022 für Fallgestaltungen, in denen die Aufrechnungslage erst in der Krise hergestellt wurde, näher ausgeformt.
Sachverhalt
Über das Vermögen der W-GmbH wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Im Insolvenzverfahren wurde das fortgeführte Unternehmen an A verkauft. Dieser Verkauf betraf nicht die bereits fertiggestellten Waren. Die Auslieferung sollte allerdings von A gegen ein Entgelt übernommen werden, auch dies wurde im Übernahme-Kaufvertrag geregelt. Die Auslieferung erfolgte sodann. Vor Zahlung des vollständigen Kaufpreises und weniger als einen Monat nach der Auslieferung der fertiggestellten Waren, stellte A einen Insolvenzantrag. Der Insolvenzverwalter der W-GmbH nahm daraufhin wegen der Auslieferung keine Zahlung an A vor und berief sich auf eine Aufrechnung mit dem ausstehenden Kaufpreis. Der Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des A verlangte nunmehr Zahlung und erhob eine entsprechende Klage. Nachdem die zunächst angerufenen Gerichte unterschiedlich urteilten, wurde der BGH angerufen.
Urteil
Der BGH verwies darauf, dass eine Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sei, wenn der Gläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die erleichterte Anfechtung gemäß § 131 InsO komme dabei nur in Betracht, wenn die Rechtshandlung inkongruent war. Die Unterscheidung zwischen kongruent und inkongruent richte sich hier danach, ob der Aufrechnende einen Anspruch auf Abschluss der Vereinbarung hatte, die die Aufrechnungslage entstehen ließ. Denn § 131 InsO bezeichne jede Rechtshandlung als inkongruent, die dem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt, auf die er keinen Anspruch hatte. Eine die Aufrechnungsbefugnis begründende Verknüpfung zwischen Haupt- und Gegenforderung setze allerdings nicht voraus, dass die Aufrechnung ausdrücklich vereinbart wurde. Entscheidend sei regelmäßig vielmehr, dass Haupt- und Gegenforderung aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis erwachsen sind. Sei dies gegeben und sei die Aufrechnung nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden, so sei von einer kongruenten Rechtshandlung auszugehen. Im Ergebnis genüge eine vor Herstellung der Aufrechnungslage vorgenommene Verknüpfung zwischen Haupt- und Gegenforderung, die die Annahme einer Aufrechnungsbefugnis rechtfertigt.
Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Herstellung einer Aufrechnungslage schon deshalb inkongruent sei, weil sie innerhalb der letzten drei Monate vor der Insolvenzantragstellung erfolgte. Zwar habe die Aufrechnung ähnliche Wirkungen wie die Vornahme einer (Einzel-)Zwangsvollstreckungsmaßnahme, eine Gleichbehandlung verbiete sich im konkreten Fall aber schon wegen der gesetzlichen eigenständigen Regelungen der §§ 94 ff. InsO.
Bewertung
Aufrechnungslagen sind in der Insolvenz immer wieder umstritten und höchst praxisrelevant. Dies gilt insbesondere in Fallsituationen, in denen die Aufrechnungslage erst in der Krise hergestellt wurde. Es ist auch durchaus nachvollziehbar, dass in einer solchen Situation Begrenzungen notwendig sind, denn anderenfalls würde die Aufrechnung letztlich für den Gläubiger die Möglichkeit eröffnen, die Teilnahme an der Gläubigergleichbehandlung, die letztlich in der Rechtsstellung des Insolvenzgläubigers mündet, zum Nachteil aller anderen Gläubiger zu umgehen. Dass hier andererseits auch Ausnahmen notwendig sind, hat auch der Gesetzgeber erkannt und in den §§ 94 ff. InsO besondere Regelungen für die Aufrechnung im Insolvenzverfahren geschaffen. Die Entscheidung des BGH vom 8. Dezember 2022 (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2022; AZ IX ZR 175/21) formt diese Regelungen, bezogen auf einen Einzelfall, überzeugend weiter aus. Ob die Argumentation unter Rekurs auf die vergleichbare Situation bei der Einzelzwangsvollstreckung überzeugend ist, sei dabei dahingestellt. Diese Parallelität dürfte eher geeignet sein, die Rechtsprechung zur Klassifizierung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen in der Krise als inkongruent, zu hinterfragen.