Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit seinem lang erwarteten Schreiben vom 18. September 2020 zu diversen EuGH- und BFH-Urteilen zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung und den Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug Stellung genommen. Hierbei wurde der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) an die Rechtsprechung angepasst.
I. Rechtsprechung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesfinanzhof (BFH) haben sich seit 2016 in mehreren Urteilen mit der rückwirkenden Rechnungsberichtigung und dem Recht auf Vorsteuerabzug ohne ordnungsgemäße Rechnung beschäftigt (insbesondere EuGH, Rs. C-516/14 (Barlis 06) und C-518/14 (Senatex); BFH, Az. XI R 10/17 und V R 48/17). Diese Urteile setzt nun auch die Finanzverwaltung – nach mehreren Entwürfen (wir berichteten im Beitrag vom 26. November 2018) – mit dem vorliegenden BMF-Schreiben um.
II. Hintergrund
Der Unternehmer ist in der Regel dann zum Vorsteuerabzug aus seinen für das Unternehmen bezogenen Leistungen berechtigt, wenn er im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung i. S. d. §§ 14, 14a UStG mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer ist. Das Problem entsteht, sobald eine Rechnung als nicht ordnungsgemäß in diesem Sinne gilt. Hier stellt sich die Frage, ob und welche Möglichkeiten es gibt, die Rechnung rückwirkend zu berichtigen und wann der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden darf: im Zeitpunkt des Ursprungsdokuments (bei Rückwirkung) oder erst im Zeitpunkt der Rechnungskorrektur (ohne Rückwirkung). Wirtschaftlich steht hinter diesen Fragen das Zinsrisiko (§ 233a AO): Nur bei einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung können Nachzahlungszinsen auf die bereits geltend gemachte Vorsteuer vermieden werden.
III. BMF-Schreiben im Überblick
1. Ohne Rechnung kein Vorsteuerabzug
Das BMF stellt klar: Aus seiner Sicht gibt es grundsätzlich ohne ordnungsgemäße Rechnung keinen Vorsteuerabzug.
Nur ausnahmsweise ist auch bei einer fehlerhaften, nicht berichtigten Rechnung der Vorsteuerabzug zu gewähren, wenn der Unternehmer durch objektive Nachweise belegen kann, dass ein anderer Unternehmer an ihn tatsächlich Lieferungen oder sonstige Leistungen ausgeführt hat, für die eine Umsatzsteuer entstanden und auch tatsächlich abgeführt worden ist. Letzteres setzt nach Auffassung des BMF aber eine Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer voraus; ansonsten würden Zweifel verbleiben, ob und in welcher Höhe die Umsatzsteuer im Zahlbetrag enthalten ist.
2. Rückwirkung nur bei berichtigungsfähiger Rechnung
Berichtigt werden kann nur eine Rechnung, die folgende fünf Kernangaben enthält:
- leistender Unternehmer,
- Leistungsempfänger,
- Leistungsbeschreibung,
- Entgelt und
- gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer.
Fehlt eine dieser Angaben, ist eine rückwirkende Berichtigung ausgeschlossen. Das berichtigte Dokument gilt dann vielmehr erstmals als berichtigungsfähige Rechnung.
Dabei dürfen die o. g. Kernangaben nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie einer fehlenden Angabe gleichstehen. Für Kleinbetragsrechnungen (bis EUR 250,00) gilt dies entsprechend; lediglich die Angaben zum Leistungsempfänger können dahingestellt bleiben. Wir verweisen an dieser Stelle auch auf unseren Beitrag vom 4. September 2020.
3. Ausnahmsweise Rückwirkung auch bei irrtümlichem Reverse Charge
Ist eine Rechnung fälschlicherweise ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis ausgestellt worden (z. B. bei vermeintlicher Geschäftsveräußerung im Ganzen, vermeintlicher Steuerbefreiung oder vermeintlichen Organschafts-Innenumsätzen), kann die Rechnung grundsätzlich nicht rückwirkend berichtigt werden. Gleiches gilt bei irrtümlich zu geringem Steuerausweis (ermäßigter statt Regelsteuersatz) in Bezug auf die Steuerdifferenz: In Höhe der Differenz kann der Vorsteueranspruch erst mit Vorlage der korrigierten Rechnung geltend gemacht werden.
Ausnahmsweise wirkt der spätere Steuerausweis jedoch in einem vermeintlichen Reverse-Charge-Fall (§ 13b UStG). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass das Ursprungsdokument einen Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld enthält.
4. Rückwirkung auch bei Stornierung und Neuausstellung
Das BMF schließt sich auch der jüngsten Rechtsprechung des BFH zu dem in der Praxis weit verbreiteten Rechnungsstorno mit Neuausstellung einer Rechnung (statt der „bloßen“ Rechnungsergänzung i. S. d. § 31 Abs. 5 UStDV) an und lässt auch die neuausgestellte Rechnung auf den Zeitpunkt der Ursprungsrechnung zurückwirken.
5. Keine Korrektur von Voranmeldungen innerhalb eines Kalenderjahres
Erfreulich ist, dass nach dem BMF-Schreiben auf eine rückwirkende Korrektur von Voranmeldungen innerhalb eines Besteuerungszeitraumes verzichtet werden kann.
6. Rückwirkung auch zum Nachteil des Leistungsempfängers möglich
Der Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs stellt kein Wahlrecht da. Der Vorsteuerabzug ist zwingend im Zeitpunkt der Leistungserbringung und dem erstmaligen Vorliegen der berichtigungsfähigen Rechnung vorzunehmen. Nachteilig kann die Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung daher dann sein, wenn zwischen Ursprungsdokument und berichtigter Rechnung ein Jahreswechsel liegt und die Veranlagung für das vorhergehende Jahr verfahrensrechtlich nicht mehr geändert werden kann.
Denn, dass eine Rechnung mit Wirkung für die Vergangenheit berichtigt werden kann, führt nicht zu einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. So sieht es auch der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2020 vor. Dies bedeutet konkret, dass die berichtigte Rechnung keine Änderung der Veranlagung im Steuerbescheid bewirkt.
Zur Verdeutlichung folgendes Beispiel:
Bei der Rechnungseingangsprüfung stellt der Unternehmer bei einer Dezemberrechnung für 01 fest, dass die USt-IdNr. des Leistenden fehlt, im Übrigen ist sie ordnungsgemäß. Daher fordert er zunächst eine berichtigte Rechnung an, die ihm aber erst im Januar 02 vorliegt. Erst im Januar 02 meldet er insoweit die Vorsteuer an. Richtigerweise hätte er den Vorsteuerabzug jedoch bereits im Dezember 01 geltend machen müssen: Denn bei der Dezemberrechnung handelt es sich um eine berichtigungsfähige Rechnung, die Januarrechnung wirkt somit zurück. Wird nun im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung der Vorsteuerabzug für das Folgejahr 02 versagt und ist das Jahr 01 „steuerlich zu“, verliert der Leistungsempfänger rückwirkend endgültig seinen Vorsteueranspruch und ist insoweit definitiv belastet.
IV. Praxishinweis
Nach nunmehr vier Jahren des Schweigens durch die Finanzverwaltung setzt das BMF erfreulicherweise die seit den o. g. Urteilen gängige Praxis auch im UStAE um. Aus unionsrechtlicher Sicht verbleiben gleichwohl an einigen Stellen Zweifel an der Auffassung des BMF, insbesondere im Hinblick auf die Versagung des Vorsteuerabzugs ohne Rechnung.
Zudem sollte die zulässige Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rechnungseingangsprüfung weiterhin erforderlich bleibt, um etwaige Vorsteueransprüche zu sichern.
Die Grundsätze des BMF-Schreibens gelten für alle offenen Fälle. Es wird jedoch für Rechnungsberichtigungen, die bis zum 31. Dezember 2020 übermittelt werden, nicht beanstandet, wenn die Vorsteuer erstmalig im Zeitpunkt der Berichtigung geltend gemacht wird.
Bei Fragen in diesem Zusammenhang sprechen Sie uns gern an.
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