In seinem Urteil vom 16. Juli 2024 befasste sich der BGH mit der Frage, ob die Abberufung von Martin Kind als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH nichtig war, weil er gegen die satzungsmäßige Kompetenzverteilung verstieß.
Hintergrund der Entscheidung
Der Hannoverscher Sportverein von 1896 e. V. hat seine Profiabteilung in die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ausgegliedert. Komplementärin dieser KGaA ist die Hannover 96 Management GmbH (im Folgenden die Beklagte), deren Alleingesellschafter wiederum der Verein ist. Sämtliche Kommanditanteile der KGaA werden mittelbar über die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG von Martin Kind und weiteren Investoren gehalten. Martin Kind war der Geschäftsführer der Beklagten und steuerte somit auch die KGaA. Aufgrund von anhaltenden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Verein und den Investoren, wollte der Verein Herrn Kind als Geschäftsführer der Beklagten abberufen. Dies wäre ihm grundsätzlich als Alleingesellschafter auch ohne weiteres möglich gewesen. Allerdings sieht die Satzung der Beklagten vor, dass die Bestellung und die Abberufung des Geschäftsführers durch den fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft und nicht durch die Gesellschafterversammlung erfolgt. Der Aufsichtsrat ist zur Hälfte mit Repräsentanten des Vereins und zur anderen Hälfte mit Investorenvertretern besetzt. Die Investorenseite war mit einer Abberufung von Martin Kind nicht einverstanden. Damit bestand im Aufsichtsrat eine Pattsituation, die eine Abberufung Kinds durch den Aufsichtsrat verhinderte. Der Verein konnte auch nicht einfach die Satzung der Beklagten ändern, da in einem sogenannten Hannover-96-Vertrag zwischen dem Hannoverscher Sportverein von 1896 e. V., der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG vereinbart ist, dass der Verein die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ändert, ergänzt oder ersetzt.
Im Juli 2022 fassten dann Vertreter des Vereins in einer Gesellschafterversammlung der Beklagten entgegen der Kompetenzverteilung in der Satzung den Beschluss, Martin Kind „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer“ der Beklagten abzuberufen. Martin Kind erhob dagegen Klage und begehrte die Feststellung, dass der Beschluss über seine Abberufung nichtig ist. Er hatte damit auch vor dem LG Hannover und dem OLG Celle Erfolg. Der BGH entschied jedoch anders.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH, Urteil vom 16. Juli 2024 – II ZR 71/23 –, hob die Entscheidung auf und wies die Klage von Martin Kind ab.
Der BGH stellte zunächst klar, dass ein Gesellschafterbeschluss analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig sei, wenn er mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind. In Abgrenzung zu einer Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, derentwegen ein Beschluss der Gesellschafterversammlung angefochten werden kann (§ 243 Abs. 1 AktG), könne nur eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen. Das Wesen der GmbH i. S. v. § 241 Nr. 3 AktG ergäbe sich nicht aus den individuellen Satzungsregelungen der jeweils in Rede stehenden Gesellschaft, weil das Wesen der GmbH durch das GmbHG und die abstrakt-generellen Strukturmerkmale des GmbH-Rechts bestimmt werde und damit nicht zur Disposition der Gesellschafter stünde.
Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung mache einen Gesellschafterbeschluss daher „nur“ anfechtbar, aber nicht nichtig. Das gelte auch für den Verstoß gegen die Kompetenzverteilung zwischen fakultativem Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung. Auch aus dem Zustimmungsvorbehalt des Hannover-96-Vertrags ergäbe sich nichts anderes. Die Beachtung von derartigen Stimmbindungsverträgen gehöre nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Verletze ein Gesellschafter ein solches mit einem Mitgesellschafter getroffenes Abkommen, indem er abredewidrig abstimmt, so sei der auf diese Weise zustande gekommene Beschluss grundsätzlich nicht anfechtbar und erst recht nicht nichtig. Der Streit um die Rechtsfolgen des Verstoßes sei stattdessen unter den an der Bindung Beteiligten und nicht mit der Gesellschaft auszutragen. Der BGH hat dabei die Frage, ob ein Stimmbindungsvertrag mit einem Nichtgesellschafter zulässig ist, offengelassen. Auch im Falle der Zulässigkeit könnten sich nämlich aus einem Verstoß gegen derartige Vereinbarungen gesellschaftsrechtlich keine weitergehenden Folgen ergeben, als bei einem Verstoß gegen Vereinbarungen mit Mitgesellschaftern. Die bewusste Missachtung des Stimmbindungsvertrages führe auch nicht zur Sittenwidrigkeit des Beschlusses.
Der BGH führte schließlich aus, dass die Abberufung auch nicht mangels Einhaltung der für eine Satzungsänderung einzuhaltenden Formvorschriften nichtig sei. Nach der Rechtsprechung des BGH sei eine einen Einzelfall regelnde Satzungsdurchbrechung im Grundsatz auch ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung möglich, wenn sie sich auf eine punktuelle Regelung beschränkt, bei der sich die Wirkung des Beschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft. Nichtig seien hingegen Satzungsdurchbrechungen, die einen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand begründen, wenn die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften nicht eingehalten werden. Sie bedürften der notariellen Beurkundung, die auch die genau bestimmte Änderung des Satzungstextes umfasse, der dann zum Handelsregister angemeldet werden müsse. Die Abberufung eines Geschäftsführers stelle lediglich eine punktuelle Maßnahme dar, weil sie keinen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand begründe. Der Verstoß betreffe allein das Zustandekommen des Beschlusses. Die Beendigung des Organverhältnisses sei kein satzungswidriger rechtlicher Zustand. Sie wäre auch eingetreten, wenn der Geschäftsführer sein Amt in Übereinstimmung mit der Satzung verloren hätte.
Im Ergebnis war der Beschluss über die Abberufung von Herrn Kind als Geschäftsführer daher zwar anfechtbar, aber nicht nichtig. Ein anfechtbarer Beschluss ist zwar fehlerhaft aber gleichwohl wirksam. Er kann nur im Wege einer Anfechtungsklage angegriffen werden. Der (Fremd-)Geschäftsführer einer GmbH ist jedoch – anders als der Vorstand einer Aktiengesellschaft – nicht zur Erhebung einer Anfechtungsklage befugt. Mit seiner allgemeinen Feststellungsklage konnte sich Herr Kind daher nur gegen einen nichtigen, also nicht nur anfechtbaren, Beschluss wehren. Seine Klage wurde deshalb abgewiesen.
Praxishinweis
Für die Neubestellung ist laut der Satzung der Aufsichtsrat und nicht die Gesellschafterversammlung zuständig. Kommt im Aufsichtsrat keine Einigung zustande, hat die Gesellschafterversammlung eine Ausfallkompetenz zur Bestellung des Geschäftsführers.
Der Verein hatte bisher Erfolg mit seiner Strategie, Herrn Kind unter Umgehung des Aufsichtsrats aus der Geschäftsführung der Beklagten zu entfernen. Derartige Strategien sollten jedoch mit äußerstem Bedacht gewählt werden. Einerseits dürfte sich nach Maßnahmen wie dieser die weitere Zusammenarbeit (noch) schwieriger gestalten, da sie mit einem erheblichen Verlust des Vertrauens in die eigene Vertragstreue einhergehen und einen Konflikt auf eine neue Eskalationsstufe treiben kann. Auch die Werbung neuer Partner oder Investoren könnte erschwert werden. Andererseits sollte geprüft werden, ob die Maßnahme tatsächlich zu einem dauerhaften Erfolg führt. So könnte im Fall von Hannover 96 etwa ein Schadensersatzanspruch der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG gegen den Verein auf Rückgängigmachung der Abberufung bestehen, sofern der Hannover-96-Vertrag wirksam ist. Gegenwärtig wurde noch kein Nachfolger von Martin Kind bekanntgegeben, sodass abzuwarten bleibt, wie sich die Neubesetzung der Geschäftsführung der Hannover 96 Management GmbH weiter gestaltet.
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