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Virtuelle Mitarbeiterbeteiligung: Paradigmenwechsel beim Verfall „gevesteter“ Optionen

Mit Urteil vom 19. März 2025 (10 AZR 67/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) Verfallklauseln in AGB, die den sofortigen oder beschleunigten Verfall „gevesteter“ virtueller Optionen bei Eigenkündigung vorsehen, für unwirksam erklärt. Dies hat erhebliche Folgen für die Gestaltungspraxis.

01.04.2025
Arbeitsrecht
1. Hintergrund

Virtuelle Beteiligungsprogramme (z. B. VSOP/ESOP) sind heute ein zentrales Instrument zur Mitarbeiterbindung, insbesondere in wachstumsstarken Unternehmen und Start-ups. Sie schaffen Anreize zur langfristigen Mitarbeit und sollen die Identifikation mit dem Unternehmen stärken. Diese Programme enthalten in der Regel Verfallklauseln, insbesondere in Form von sog. „Good-Leaver/Bad-Leaver-Klauseln“.

Bei der Gestaltung der Klauseln zum Verfall orientierte sich die Praxis bisher an der Entscheidung des BAG vom 28. Mai 2008 (10 AZR 351/07). Ausgehend vom spekulativen Charakter der Optionsrechte war das BAG der Auffassung, dass ein Entzug aller ausübbaren, aber noch nicht ausgeübten Optionsrechte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstelle. Schließlich seien Optionsrechte als Anreiz und Gewinnchance für zukünftigen Einsatz zu sehen. Dem Arbeitnehmer werde durch Bindungs- und Verfallsklauseln keine bereits verdiente Vergütung, sondern lediglich die Chance auf eine Vergütung entzogen.

2. Die Entscheidung des BAG vom 19. März 2025

An der vorgenannten Rechtsprechung hält das BAG mit seiner neuesten Entscheidung vom 19. März 2025 – 10 AZR 67/24, die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt (Stand 1. April 2025), nicht mehr fest.

In dem Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, hatte ein Arbeitnehmer im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms virtuelle Aktienoptionen erhalten, die im Zuge einer vierjährigen Vesting-Periode schrittweise im Falle eines Ausübungsereignisses (z. B. Börsengang) ausübbar wurden. Nach seiner Eigenkündigung verweigerte der Arbeitgeber die Anerkennung der bereits „gevesteten“ Optionen mit Verweis auf entsprechende Verfallklauseln im Optionsprogramm. Die Employee Stock Option Provisions (ESOP) enthielten dabei folgende Regelungen:

  • „Gevestete“, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen verfallen sofort im Falle einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers.
  • „Gevestete“, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen verfallen sukzessive binnen zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses – und damit deutlich schneller, als sie zuvor erdient wurden.

Das BAG stufte die Regelungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 BGB ein und unterzog sie einer Inhaltskontrolle nach §307 BGB. Ergebnis: Beide Klauseln sind unwirksam. In ausdrücklicher Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschied das Gericht, dass bereits „gevestete“ Optionen Ausdruck erdienter Vergütung seien und nicht ohne sachlichen Grund entwertet werden dürften. Der sofortige oder beschleunigte Verfall stelle eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers dar und wirke faktisch als Kündigungserschwernis – insbesondere, wenn die Ausübbarkeit der Optionen an ein ungewisses Ereignis (z. B. Börsengang) gekoppelt ist.

3. Bedeutung für die Praxis

Das BAG-Urteil stellt einen Paradigmenwechsel dar: Virtuelle Beteiligungen gelten als Teil der Gegenleistung für geleistete Arbeit – mit entsprechendem Schutz. Die Erwägungen des BAG treffen jedoch nur auf bereits gevestete Optionsrechte zu, sodass der Verfall noch nicht gevesteter Optionen im Falle einer Eigenkündigung weiterhin als zulässig zu bewerten ist. Die Entscheidung des BAG dürfte auch auf entsprechende Regelungen in Long Term Incentive Plänen übertragbar sein.

Arbeitgeber mit Beteiligungsprogrammen sind nun gefordert, nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BAG, ihre Beteiligungsprogramme einer Prüfung und gegebenenfalls Anpassung im Einklang mit der neuen Rechtsprechung des BAG zu unterziehen.  Des Weiteren ist mit der Geltendmachung von Ansprüchen von bereits ausgeschiedenen Mitarbeitern zu rechnen, deren bereits gevestete Optionsrechte seinerzeit nach einer Eigenkündigung als verfallen behandelt wurden. Hier wäre insbesondere die Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen oder etwaiger umfassender Erledigungsklauseln in Aufhebungs- oder Abwicklungsvereinbarungen in den Blick zu nehmen.

 

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