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BAG: Kein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch

Kündigungsschutzverfahren enden sehr häufig durch einen gerichtlichen Vergleich. In diesem Zusammenhang werden auch Regelungen zum Umgang mit etwaigen Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen getroffen. Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 3. Juni 2025 (9 AZR 104/24) eine für die Vergleichspraxis bedeutende Entscheidung über die Verfügbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs veröffentlicht.

17.06.2025
Arbeitsrecht

Das Urteil, dessen Entscheidungsgründe zum jetzigen Zeitpunkt (Stand: 13. Juni 2025) noch nicht veröffentlicht sind, erging über die Klage eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs für 7 Urlaubstage aus dem Jahr 2023, in welchem der Kläger durchgängig arbeitsunfähig war. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.04.2023. Noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses schlossen die Parteien einen Prozessvergleich. Neben einer Abfindung (10.000 EUR) und dem Beendigungszeitpunkt (30.04.2023) regelte der Vergleich: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“. Den Parteien war bekannt, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war und seinen Urlaub aus dem Jahr 2023 nicht mehr in Anspruch nehmen konnte.

Das BAG hat diese Entscheidung in seiner Pressemitteilung vom 3. Juni 2025 (zur Pressemitteilung) unter Einbeziehung europarechtlicher und bundesurlaubsrechtlichen Wertungen begründet:

Rechtswidrigkeit des Verzichts

Die Übereinkunft „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“ war in der vorliegenden Fallgestaltung offensichtlich rechtswidrig und deshalb gem. § 134 BGB i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unwirksam. Angesichts der Kenntnis über die durchgängige Arbeitsunfähigkeit und der damit verbundenen Nichtinanspruchnahme des Urlaubs bedeutete diese Regelung einen Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub nach § 3 BurlG bzw. einen Verzicht auf Urlaubsabgeltung. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG verbietet solche für Arbeitnehmer nachteilige Abweichungen vom BUrlG.

Europarecht

Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung) bestimmt, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub – außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden kann. Hieraus lässt sich – so das BAG – ableiten, dass der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten kann.

Kein Tatsachenvergleich

Bei der Formulierung „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“ handelt es sich um einen sog. Tatsachenvergleich. Im Gegensatz zum Rechtsvergleich, der das rechtliche „Schicksal“ von Ansprüchen regeln sollen, wollen die Parteien beim Tatsachenvergleich eine bestehende Ungewissheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausräumen. Eine solche Unsicherheit bestand aber nach Auffassung des BAGs nicht, weil den Parteien die durchgängige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers im betreffenden Urlaubsjahr bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bekannt war. Infolgedessen lag auch hier eine Abweichung zuungunsten des Arbeitnehmers vor, die gem. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unwirksam war.

Bedeutung für die Praxis

Das BAG hat mit seiner Entscheidung einmal mehr die Bedeutung des gesetzlichen Mindesturlaubs hervorgehoben. In diesem Zusammenhang war es in der vorliegenden Fallgestaltung sogar unschädlich, dass der Arbeitnehmer den Prozessvergleich in Kenntnis der rechtlichen Bedenken zur Wirksamkeit des Verzichts abgeschlossen und gleichwohl Urlaubsabgeltung nachträglich eingeklagt hat (widersprüchliches Verhalten).

Die hiesige Entscheidung des BAG bezog sich auf den Vergleichsschluss während des bestehenden Arbeitsverhältnisses, weil ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub bzw. Urlaubsabgeltung in diesem Fall nicht möglich ist. Auch in früheren Entscheidungen hat das BAG einen Verzicht auf Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche in Aufhebungsverträgen, Vergleichen oder auch in Abgeltungsklauseln im laufenden Arbeitsverhältnis abgelehnt.

Bei einer Vereinbarung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann ein Verzicht auf die Urlaubsabgeltung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wirksam sein, weil es sich hierbei um einen reinen Geldanspruch handelt und der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt nicht mehr schutzbedürftig ist (BAG vom 14. Mai 2013 – 9 AZR 844/11). Dies ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig.

Zusammenfassend ist vor einem Vergleichsschluss stets sorgfältig zu prüfen,

  • ob und in welchem Umfang noch Urlaubsansprüche bestehen,
  • ob und in welchem Umfang diese noch in Anspruch genommen werden können (im laufenden Arbeitsverhältnis, z.B. durch Erteilung oder Anrechnung auf Freistellung),
  • ob und inwieweit diese abgegolten werden müssen (bei beendetem Arbeitsverhältnis),
  • ob im Einzelfall ein Verzicht zulässig ist.

 

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