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Umsatzsteuerliche Behandlung von „Corona-Stornogebühren“

Coronabedingte Stornierungen durch den Reisenden oder Reiseveranstalter und damit im Zusammenhang stehende Fragen bestimmen derzeit das Tagesgeschäft vieler Unternehmen der Tourismusbranche. Zivilrechtlich geht es etwa um die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe ein „entschädigungsfreier“ Rücktritt zulässig ist bzw. ob und in welcher Höhe etwaige Stornogebühren von Leistungsträgern bzw. Reiseveranstaltern erhoben werden dürfen. Umsatzsteuerlich schließt sich die Frage an, wie erhobene Stornogebühren bzw. Reisepreiseinbehalte im Rahmen der Margenbesteuerung zu behandeln sind.

14.04.2020

Aus umsatzsteuerlicher Sicht kommt es entscheidend darauf an, ob die vom Reisenden an den Reiseveranstalter bzw. vom Reiseveranstalter an den Leistungsträger zu zahlenden Stornogebühren

  • unmittelbar für eine Leistung des Reiseveranstalters bzw. des Leistungsträgers gezahlt werden oder
  • der Reisende bzw. der Reiseveranstalter nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat.

Im ersten Fall liegt ein steuerbarer und ggf. steuerpflichtiger Leistungsaustausch vor, im letzten hingegen ein nicht steuerbarer Schadenersatz.

 

1. nicht steuerbar bei Rücktritt

Tritt der Reisende vor Reisebeginn vom Reisevertrag zurück und hat er für diesen Fall eine in dem Reisevertrag vereinbarte Entschädigung zu entrichten (Stornogebühr), liegt beim Reiseveranstalter ein sog. echter Schadensersatz vor (Abschn. 25.1 Abs. 14 UStAE), der keine Umsatzsteuer zur Folge hat. Der Reisende zahlt die Stornogebühr nicht für eine Leistung des Reiseveranstalters, sondern weil er nach Gesetz (§ 651h Abs. 1 und Abs. 2 BGB) und Vertrag (i. d. R. über die AGB) dazu verpflichtet ist. Die erhobene Stornogebühr ist nicht steuerbar.

Gleiches nimmt das BMF auch im Verhältnis Leistungsträger-Reiseveranstalter an: Demnach sieht es die Zahlung einer Stornogebühr als nicht steuerbaren Schadensersatz und nicht als Reisevorleistung an. Voraussetzung ist, dass der Reiseveranstalter gegenüber dem Leistungsträger storniert und zivilrechtlich ein Rücktrittsrecht besteht (BMF, Schreiben v. 7. April 1998, IV C 3 – S 7419 – 9/98, Tz. 9. Buchs. a). Der Leistungsträger hat demnach die Stornogebühr ohne Umsatzsteuerausweis in Rechnung zu stellen.

Auch der EuGH hat im sog. Angeld-Fall – im Ergebnis – die Ausübung eines vertraglichen Rücktrittsrechts herangezogen: Danach stellt das Angeld, das bei der Reservierung eines Hotelzimmers geleistet, jedoch im Falle des Rücktritts des Gastes nicht erstattet, sondern einbehalten wird, eine nicht steuerbare Entschädigung dar. Dass das Angeld bei normaler Vertragsabwicklung auf den Preis der erbrachten Dienstleistung des Hotelbetreibers angerechnet wird, bestätige nach Auffassung des EuGH, dass das Angeld keine Gegenleistung für eine eigenständige, bestimmbare Leistung sei (EuGH, C-277/05, Société thermale d’Eugénie-les-Bains).

Fazit: Werden „Corona-Stornogebühren“ bei vertraglich vereinbartem und auch ausgeübtem Rücktritt des Reisenden bzw. des Reiseveranstalters erhoben, unterliegen diese in der Regel nicht der Umsatzsteuer. Da der Reisende gegenüber dem Reiseveranstalter i. d. R. ein Rücktrittsrecht hat (vgl. § 651h Abs. 1 und 2 BGB), stellen Stornogebühren hier immer nicht steuerbaren Schadenersatz dar.

 

2. steuerbar und ggf. steuerpflichtig ohne Rücktritt

Hat sich der Reisende gegenüber dem Reiseveranstalter nicht wirksam vom Vertrag gelöst, d. h. insbesondere nicht storniert, bzw. steht dem Reiseveranstalter gegenüber dem Leistungsträger dagegen kein Rücktrittsrecht zu und/oder hat er sich nicht wirksam vom Vertrag gelöst, sind erhobene (Storno-)Gebühren Entgelt für die Leistungsbereitschaft des Reiseveranstalters bzw. Leistungsträgers (Umkehrschluss aus Abschn. 1.3 Abs. 9 und Abschn. 25.1 Abs. 14 UStAE). Dieses „Stornoentgelt“ ist damit umsatzsteuerlich genauso zu behandeln wie die vereinbarte Leistung.

Hierunter lässt sich – im Ergebnis – auch der Einbehalt der geleisteten Anzahlung bei sog. „No-Shows“ bzw. „Unflown Revenues“ fassen. In diesen Fällen erscheint der Reisende am Abreisetag nicht und tritt die ihm angebotene Reise nicht an (vgl. schon Henkel, SRTour 03/2015, 7 ff.; Jorczyk, SRTour 07/2009, S. 11; SRTour 10/2007, S. 6 ff.). Die Einbehalte sind steuerbar und ggf. steuerpflichtig.

Die Begründungen von BFH und EuGH weichen hier allerdings teilweise voneinander ab: Der BFH (V R 36/09) leitet die Steuerbarkeit aus der Anzahlungsbesteuerung ab, ließ die Frage des Leistungsaustauschs im zugrundeliegenden Fall jedoch ausdrücklich offen. Danach bleibt es bei nicht rückgewährten Flugentgelten für steuerpflichtige Flüge bei der bereits im Vereinnahmungszeitpunkt durchgeführten Anzahlungsbesteuerung, wogegen bei nicht steuerbaren internationalen Flügen (§ 26 Abs. 3 UStG) auch die einbehaltenen No-Show-(Anzahlungs-)Beträge unbesteuert bleiben.

Demgegenüber erkennt der EuGH (C-250/14, Air France-KLM) bereits mit Ausstellung des Flugtickets eine steuerbare Leistung (Leistungsbereitschaft). Zur Begründung führt er unter anderem das Recht der Fluggesellschaften an, die nicht in Anspruch genommenen Flüge anderweitig weiterzuverkaufen, ohne dass sie gegenüber dem ursprünglichen Fluggast zur Rückerstattung des Preises verpflichtet wären. Abschließend stellt der EuGH fest, dass der von den Fluggesellschaften einbehaltene Betrag nicht der Entschädigung für einen ihnen infolge des Nichtantritts eines Fluges durch einen Fluggast entstandenen Schaden dient, sondern dass es sich dabei selbst dann um ein Entgelt handelt, wenn der Fluggast gar nicht befördert wurde.

Fazit: Wenn dem Reisenden gegenüber dem Reiseveranstalter bzw. dem Reiseveranstalter gegenüber dem Leistungsträger

  • vertraglich kein Rücktrittsrecht zusteht und/oder
  • er sich nicht wirksam vom Vertrag gelöst, also nicht storniert hat (z. B. No-Show bzw. Unflown Revenue),

unterliegen damit im Zusammenhang stehende Zahlungen bzw. Reisepreiseinbehalte („Corona-Stornogebühren“) für EU-Reisen beim margenbesteuernden Reiseveranstalter in der Regel der Umsatzsteuer. Da beim Reisenden i. d. R. ein Rücktrittsrecht besteht, sind Zahlungen grundsätzlich nur dann steuerbar, wenn er tatsächlich nicht storniert. Beim Leistungsträger entsteht Umsatzsteuer, wenn auch die vereinbarte Leistung Umsatzsteuer ausgelöst hätte.

Praxishinweis: Es ist hier genau zu trennen, ob für eine als „nicht stornierbar“ oder „nicht rückzahlbar“ bezeichnete Rate tatsächlich kein Rücktrittsrecht besteht oder damit vielmehr gemeint ist, dass zwar ein Rücktrittsrecht besteht, aber die Stornogebühr mit 100 % des Leistungspreises angesetzt wird.

 

3. Verrechnung der Stornogebühren mit geleisteten Anzahlungen

Praxishinweis: Werden nach o. g. Grundsätzen als nicht steuerbar zu beurteilende Stornogebühren mit bereits geleisteten Anzahlungen des Reisenden bzw. des Reiseveranstalters auf steuerpflichtige Leistungen verrechnet, kann der Reiseveranstalter bzw. der Leistungsträger in der Regel die Umsatzsteuer-Voranmeldungen im Zeitpunkt der Stornierung korrigieren und die insoweit abgeführte Umsatzsteuer zurückerstattet bekommen. Denn diese An- bzw. Restzahlungen waren bereits mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums ihrer Vereinnahmung zu besteuern (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4 UStG).

 

4. Höhe der Stornogebühr – „Brutto- oder Nettogröße“?

Stornogebühren werden Reiseveranstaltern vom Leistungsträger mal mit, mal ohne Umsatzsteuer, mal als Netto-, und – derzeit vermehrt – als Bruttobetrag ohne Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Handelt es sich nach den o. g. Grundsätzen um nicht steuerbare Stornogebühren, hängt die konkrete Höhe von den vertraglichen Vereinbarungen ab. Während bei einer Bruttopreisvereinbarung (inkl. gesetzlich geschuldeter USt) die Umsatzsteuer unselbstständiger Entgeltbestandteil ist, haben sich die Vertragsparteien bei einer Nettopreisvereinbarung (zzgl. gesetzlich geschuldeter USt) darauf geeinigt, dass die Umsatzsteuer selbstständiger Entgeltbestandteil ist. Praktisch bedeutet dies, dass die Umsatzsteuer bei einer Nettopreisvereinbarung Gegenstand eines separaten Vertragsanspruches ist, der in Abhängigkeit einer tatsächlichen Umsatzsteuerpflicht entweder einen Anspruch auf Umsatzsteuerzahlung oder – im Fall der Nichtsteuerbarkeit bzw. Umsatzsteuerfreiheit – schlicht keine Verpflichtung zur Zahlung von Umsatzsteuer begründet. Demgegenüber ist die Umsatzsteuer bei einer Bruttopreisvereinbarung bloßer Kalkulationsposten des leistenden Unternehmers oder – anders ausgedrückt – liegt das Umsatzsteuerrisiko beim leistenden Unternehmer.

Praxishinweis: Regelmäßig richten sich vertragliche Stornogebühren nach einem pauschalisierten Prozentsatz. Ist die vertraglich vereinbarte Bezugsgröße dieses Prozentsatzes der Bruttopreis, ist eben dieser (anteilige) Bruttopreis als nicht steuerbarer Schadenersatz ohne Umsatzsteuerausweis abzurechnen. Ist vertraglich hingegen der Nettopreis als Bezugsgröße des Prozentsatzes vereinbart, ist auch (nur) der (anteilige) Nettopreis als nicht steuerbarer Schadenersatz ohne Umsatzsteuerausweis abzurechnen. Ob eine solche Vereinbarung zivilrechtlich tatsächlich zulässig bzw. „gerichtsfest“ ist, bleibt letztlich einer zivilgerichtlichen Prüfung vorbehalten.

Zur Verdeutlichung folgende fiktive Beispiele:

Bruttopreisvereinbarung

Ein Reiseveranstalter hat bei einem fremden Busunternehmen einen Bus für „EUR 1.190,00“ angemietet. Vertraglich ist der Reiseveranstalter ab einem bestimmten Zeitpunkt der Stornierung verpflichtet, 50 % des Gesamtmietpreises als pauschale Entschädigung zu zahlen. Der Busunternehmer hat dem Reiseveranstalter eine Rechnung über die Stornogebühr in Höhe von EUR 595,00 ohne Umsatzsteuerausweis zu stellen.

Nettopreisvereinbarung

Ein Reiseveranstalter hat bei einem fremden Busunternehmen einen Bus für „EUR 1.000,00 zzgl. gesetzlich geschuldeter USt“ angemietet. Vertraglich ist der Reiseveranstalter ab einem bestimmten Zeitpunkt der Stornierung verpflichtet, 50 % des Gesamtmietpreises als pauschale Entschädigung zu zahlen. Der Busunternehmer hat dem Reiseveranstalter eine Rechnung über die Stornogebühr in Höhe von EUR 500,00 ohne Umsatzsteuerausweis zu stellen.

Praxishinweis: Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung sowohl im B2C- als auch B2B-Bereich davon aus, dass ein vereinbarter Preis grundsätzlich auch die hierauf zu entrichtende Umsatzsteuer einschließt, falls nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde oder sich ein abweichender Handelsbrauch entwickelt hat (BGH, I ZR 318/99).

Fehlt im Vertrag zwischen Leistungsträger und Reiseveranstalter der Zusatz „zzgl. gesetzlich geschuldeter USt“ (so wie etwa in der Hotellerie üblich), ist daher grundsätzlich von einer Bruttopreisvereinbarung auszugehen. Aus Sicht des Leistungsträgers führt eine Bruttopreisvereinbarung bzgl. der Stornogebühren somit faktisch zu einem „Plus“ in Höhe der Umsatzsteuer, während der Reiseveranstalter auch insofern definitiv belastet bleibt. Er hat – im Stornofall – gegenüber dem Leistungsträger keinen Anspruch auf Erstattung der mit dem „Brutto-Einkaufspreis“ an den Leistungsträger gezahlten Umsatzsteuer.

 

5. Fazit: Zivilrecht gibt umsatzsteuerliche Behandlung vor

Anhand von Stornogebühren zeigt sich die enge Verzahnung von Zivil- und Umsatzsteuerrecht. Durch die Anknüpfung an vertraglich eingeräumte Rücktrittsrechte stellt das Zivilrecht hier regelmäßig die „Weichen“ für die umsatzsteuerliche Behandlung von im Zusammenhang mit Stornierungen erhobenen Zahlungen bzw. Reisepreiseinbehalten: Diese unterliegen regelmäßig – wegen der vereinbarten Rücktrittsrechte – nicht der Umsatzsteuer.

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