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Überprüfung der Zinshöhe für AdV-Zinsen durch das Bundesverfassungsgericht

Mit Vorlagebeschluss vom 8. Mai 2024 (Az. VIII R 9/23) hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) dazu entschlossen, die Frage hinsichtlich der Höhe der Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorzulegen, um zu überprüfen, ob die Zinshöhe mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das in diesem Zusammenhang beim BFH anhängige Verfahren wird daher ausgesetzt.

26.08.2024
Beratung für Steuerberater und Rechtsanwälte

Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens wird häufig auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Steuerschuld gestellt. Unterliegt der Steuerpflichtige im Einspruchsverfahren, werden nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO Zinsen auf den ausgesetzten Betrag fällig. Diese Zinsen betragen trotz der Änderung des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO weiterhin 0,5 % pro Monat, mithin 6 % pro Jahr (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

Der Kläger und Revisionskläger hatte aufgrund eines Rechtsbehelfsverfahrens seine Einkommensteuererklärung betreffend die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Da er in diesem Verfahren unterlag, setzte das Finanzamt entsprechend Zinsen auf den ausgesetzten Betrag fest. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde nach Entscheidung des BVerfG vom 8. Juli 2021 (Az. 1 BvR 2237/14) zu den Nachzahlungs- und Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO als unbegründet zurückgewiesen.

Das vorinstanzliche Finanzgericht Münster hatte noch die Auffassung vertreten, die Höhe der Zinsen verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG; eine Ungleichbehandlung läge nicht vor, weil der Steuerpflichtige die Aussetzung der Vollziehung aktiv selbst beantragen müsse. Das Rechtsstaatsprinzip sowie das Prinzip des Übermaßverbots seien hierdurch nicht verletzt. Hiergegen richtete sich der Kläger mit der Revision und rügte die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Insbesondere sei die Einheit der Rechtsordnung verletzt; die Höhe des Zinssatzes stehe außer Verhältnis zur „Gegenleistung“. Insofern sei auch die Rechtsprechung des BFH zum wucherähnlichen Kreditgeschäft im Sinne des § 138 BGB zu berücksichtigen.

Der BFH setzte das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aus und holt somit eine Entscheidung des BVerfG in dieser Sache ein. Dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt wurde die Frage, ob der Zinssatz nach § 237 in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 15. April 2019 gegen Artikel 3 Abs. 1 GG verstoße. Hiervon sei der Senat überzeugt.

Als Begründung führte der BFH insbesondere Folgendes an:

  • Die Frage hinsichtlich der Zinshöhe sei für die Klage entscheidungserheblich.
  • Der Wortlaut der Norm des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO sei eindeutig; nur die Vollverzinsung des § 233a AO sei nach § 238 Abs. 1a AO mit einem abweichenden Zinssatz zu ermitteln. Auch eine planwidrige Gesetzeslücke sei nicht erkennbar. Die Frage nach der Rechtsprechung zum wucherähnlichen Kreditgeschäft (§ 138 Abs. 2 BGB) entfalle somit. Dies habe jedoch keinen Einfluss auf die Entscheidungserheblichkeit der Frage. Auch die Möglichkeit des Zinsverzichts wirke sich nicht auf die Entscheidungserheblichkeit aus.
  • Der Entscheidungsspielraum des Steuergesetzgebers sei bei steuerlichen Nebenleistungen im Gegensatz zur Bestimmung von Steuergegenständen und Steuersatzes eingeschränkt.
  • Es liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen vor, da Steuerpflichtige, deren Rechtsbehelfsverfahren erfolglos blieben im Gegensatz zu denen, die sich gegen ein Rechtsbehelfsverfahren entschieden haben, Zinsen für die Aussetzung der Vollziehung zu zahlen hätten. Dies sei zwar aufgrund des Liquiditätsvorteils dem Grunde, aber nicht der Höhe nach gerechtfertigt.
  • Zinsschuldner nach § 233a AO würden seit dem 1. Januar 2019 (Beginn der Anwendung der gesetzlichen Neuregelung zur Vollverzinsung) gegenüber Zinsschuldnern nach § 237 AO ungleich behandelt. Die Ungleichbehandlung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
  • Die Ungleichbehandlung könne nicht damit gerechtfertigt werden, dass es aufgrund der Antragspflicht in der Hand des Steuerpflichtigen liege, das Risiko einer Verzinsung nach § 237 AO einzugehen, da auch eine von Seiten des Finanzamtes aufgedrängte Aussetzung der Vollziehung nicht hingenommen werden muss.
  • Die Aussetzung der Vollziehung würde als Form des vorläufigen Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützt; auf sie bestehe ein verfassungsrechtlich garantierter Anspruch, sobald die Voraussetzungen vorliegen.
  • Mangels aufschiebender Wirkung von Rechtsbehelfsverfahren im Abgabenrecht bestehe ein gesteigertes Bedürfnis nach einem vorläufigen Rechtsschutz. Die Zinshöhe dürfe die Entscheidung, diesen vorläufigen Rechtsschutz (Aussetzung der Vollziehung) in Anspruch zu nehmen, nicht beeinträchtigen. Ein hoher Zinssatz sei daher unverhältnismäßig, da auch Steuerpflichtigen mit nicht ausreichenden Mitteln der vorläufige Rechtsschutz zustehen müsse.
  • Auch der fehlende Einfluss des Steuerschuldners auf das Ende des Zinslaufs führe zu dem Erfordernis einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfung.
  • Das unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung zu berücksichtigende Argument, durch die Zinsen würden unnötige Rechtsbehelfsverfahren vermieden, sei in einer Niedrigzinsphase nicht relevant. Die rückwirkende Änderung der Zinshöhe für die Vollverzinsung sei zudem widersprüchlich zur Beibehaltung der übrigen Zinssätze.

Der BFH begründet seine Entscheidung zur Vorlage der Frage an das BVerfG auffällig tiefgründig. Erfreulich ist, dass der BFH seine kritische Haltung gegenüber der Höhe der Zinsen beibehält. Diese hatte er bereits mit seinem Beschluss vom 26. Mai 2021 (Az. VII B 13/21) hinsichtlich der Höhe der Säumniszuschläge und verdeckten Zinsanteilen durchblicken lassen (unser Newsbeitrag vom 17. Januar 2022).

Auf jeden Fall sollte gegen die Festsetzung von Aussetzungszinsen Einspruch eingelegt und das Ruhen es Verfahrens beantragt werden, bis das BVerfG sich zu dieser Sache äußert. Gern unterstützen wir Sie hierbei.

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