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Generalanwalt des EuGH: Umsatzschlüssel als Regelaufteilungsmaßstab

Der Bundesfinanzhof hat dem EuGH im Rahmen seines Vorabentscheidungsersuchen (Az. C-332/14) erneut grundlegende Fragen zur Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG sowie zur Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG vorgelegt.

15.12.2015

Vorausgegangen sind eine ganze Reihe von Urteilen, mit denen der BFH im Anschluss an eine bereits Ende 2012 ergangene Entscheidung des EuGH über die Vorsteueraufteilung zu befinden hatte. Wegen unterschiedlicher Auffassung der beiden für das Umsatzsteuerrecht zuständigen BFH-Senate (XI. und V.), hat der EuGH nun erneut Gelegenheit hierzu Stellung zu nehmen.

In seinen kürzlich veröffentlichten Schlussanträgen geht der Generalanwalt davon aus, dass die nationale Regelung gegen die europäische Vorgabe der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verstoße und in Deutschland daher grundsätzlich nur der Umsatzsteuerschlüssel anwendbar sei.

I. Hintergrund

Nach § 15 UStG sind Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen soweit möglich einer bestimmten Nutzung zuzuordnen. Demnach ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, sofern die Vorsteuerbeträge aus den Eingangsleistungen direkt einem den Vorsteuerabzug ausschließenden Ausgangsumsatz (z.B. bestimmte steuerfreie Umsätze) zugeordnet werden können bzw. besteht – umgekehrt – die Berechtigung zum Vorsteuerabzug bei direkter Zuordnung zu umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen. Erst wenn eine solche direkte Zuordnung nicht möglich ist und das Unternehmen Ausgangsumsätze erzielt, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist die Vorsteuer nach einem sachgerechten Aufteilungsmaßstab in einen abzugsfähigen und einen nicht abzugsfähigen Teil aufzuteilen.

II. Die Schlussanträge im Einzelnen

Die aktuelle BFH-Vorlage betrifft u.a. die Frage der Höhe des Vorsteuerabzugs aus Baukosten sowie aus laufenden Kosten für ein Wohn- und Geschäftshaus, mit dem sowohl steuerfreie als auch steuerpflichtige Vermietungsumsätze erzielt werden.

Bei gemischt genutzten Gebäuden ist nach der nationalen Regelung des § 15 Abs. 4 S. 3 UStG als Aufteilungsmaßstab für die Aufteilung der Vorsteuerbeträge faktisch stets der Flächenschlüssel anzuwenden. Denn auf den Umsatzschlüssel darf erst dann zurückgegriffen werden, wenn keine andere wirtschaftliche Zuordnung möglich ist.

1. Nationaler Aufteilungsmaßstab verstößt gegen EU-Recht

Diese im nationalen Recht vorrangige Vorsteueraufteilung nach der wirtschaftlichen Zurechnung ist dem Unionsrecht im Grundsatz fremd. Das Unionsrecht stellt vielmehr auf den – im Übrigen früher auch im deutschen UStG verankerten – Umsatzschlüssel als Regelaufteilungsmaßstab ab. Nach Auffassung des Generalanwalts verstößt die aktuell geltende eingeschränkte Anwendbarkeit des Umsatzschlüssels daher gegen das höherrangige EU-Recht.

Zudem setzt die in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gewährte Erlaubnis einer alternativen Aufteilungsmethode voraus, dass der Mitgliedstaat vorab klar und mit der nötigen Genauigkeit entscheidet, welche Umsätze davon betroffen sind. Auch diese Voraussetzungen erfüllt § 15 Abs. 4 S. 3 UStG nach Auffassung des Generalanwalts nicht, da er unterschiedslos auf alle gemischt genutzten Gegenstände oder Dienstleistungen anzuwenden ist.

2. Faktisches Wahlrecht des Steuerpflichtigen

Da die nationale Regelung gegen die europäische Vorgabe verstoße, ist der Generalanwalt der Auffassung, dass in Deutschland nur der Umsatzschlüssel anwendbar sei. Da Deutschland jedoch die Umsätze nicht klar bestimmt habe, auf die alternative Berechnungsmethoden zur Erzielung eines gegenüber dem Umsatzschlüssel präziseren Ergebnisses anzuwenden sind, könne dem Steuerpflichtigen die Anwendung dieser anderen Methoden auch nicht entgegengehalten werden. Folgt der EuGH dem Vorschlag des Generalanwalts, bestünde demnach bis zu einer Änderung des deutschen Umsatzsteuergesetzes ein faktisches Wahlrecht, sich zunächst auf den günstigsten Aufteilungsmaßstab zu berufen, d.h.

  • mit dem Unionsrecht auf den vorrangigen Umsatzschlüssel bzw.
  • mit dem noch geltenden nationalen Recht auf einen anderen Schlüssel, vorausgesetzt, dieser führt zu einer präziseren wirtschaftlichen Zurechnung.

III. Auswirkungen auf die Praxis

Bezogen auf gemischt-genutzte Gebäude besteht nach derzeit geltendem nationalem Recht vorrangig faktisch der Flächenschlüssel. Dieser begünstigt in der Regel den Fiskus, da umsatzsteuerpflichtig vermietete Flächen regelmäßig höhere Quadratmeterpreise erzielen als nicht umsatzsteuerpflichtig vermietete. Hingegen führt der derzeit in Deutschland nachrangige Umsatzschlüssel bei gemischt genutzten Gebäuden zumeist zu einer höheren Quote der abzugsfähigen Vorsteuer als der Flächenschlüssel. Insbesondere für Immobilienunternehmen ergäben sich somit erhebliche Auswirkungen, sofern der EuGH dem Vorschlag des Generalanwalts, wie bisher häufig geschehen, folgen sollte und sich der BFH dadurch auch veranlasst sieht, die Unionsrechtswidrigkeit des nachrangigen Umsatzschlüssels festzustellen.

Wenngleich der Immobilienbereich Auslöser für die Regelung in § 15 Abs. 4. S. 3 UStG war, ist die Norm nach ihrem Wortlaut auf alle Wirtschaftszweige anwendbar und erweist sich daher – je nach Einzelfall und Branche – als vor- oder nachteilig. Vorteile bietet ein alternativer Aufteilungsmaßstab beispielsweise bei der

  • Vermittlung von Reisen oder Versicherungen,
  • im Bank- und Sparkassengeschäft oder bei der
  • Erbringung bestimmter elektronischer Dienstleistungen,

weil er mit einer – im Vergleich zum Umsatzschlüssel – höheren Vorsteuerabzugsquote einhergeht. Daher sollten Unternehmen branchenunabhängig prüfen, inwieweit sie von diesem Verfahren betroffen sind und Steuerfestsetzungen – bis zur Entscheidung des EuGH und Folgeentscheidung des BFH – ggf. offen gehalten werden könnten bzw. sollten.

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