Mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen verschiedene Mitgliedstaaten (insbesondere gegen Irland: EuGH, Urt. v. 9. April 2013 – C 85/11, DStR 2013, 806 und Schweden, Urt. v. 25. April 2013 – C 480/10, MwStrR 276) legen die Europarechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zur umsatzsteuerlichen Organschaft nahe.
Die deutsche Regelung beruht auf Art. 11 Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL). Diese EU-Vorschrift ermöglicht jedem EU-Mitgliedstaat, in seinem Gebiet ansässige Personen, die rechtlich zwar unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen (Unternehmer) zu behandeln und dadurch eine sog. Mehrwertsteuergruppe zu bilden. In der Konsequenz werden Leistungsbeziehungen zwischen den Organschaftsmitgliedern umsatzsteuerlich wie Innenumsätze behandelt.
2. Nationale Umsatzsteuer-Organschaft
Der deutsche Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) von seinem Wahlrecht zur Einführung der umsatzsteuerlichen Organschaft Gebrauch gemacht. Allerdings sieht die deutsche Regelung über die gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische enge Verbundenheit im Sinne des Art. 11 MwStSystRL hinaus folgende weitere Voraussetzungen für das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft vor:
- Organträger und Organgesellschaft sind jeweils für sich zumindest teilweise umsatzsteuerrechtliche Unternehmer.
- Die Organgesellschaft ist eine juristische Person.
- Die Organgesellschaft ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in das Unternehmen des Organträgers finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eingegliedert (Über-/Unterordnungsverhältnis).
Nähere Informationen über die Voraussetzungen der organisatorischen Eingliederung finden Sie in unserem Newsletter vom 16. Juli 2013. Darin berichteten wir über die diesbezügliche Stellungnahme der Finanzverwaltung, der einige Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vorausgegangen waren. In einem weiteren Urteil vom 8. August 2013 (Az. V R 18/13) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Anforderungen an die organisatorische Eingliederung weiter verschärft. Organisatorisch ist die Organgesellschaft in den Organträger eingegliedert, wenn der Organträger die Organgesellschaft in der laufenden Geschäftsführung beherrscht. Insofern hielt es der BFH bisher für ausreichend, dass der Organträger eine von seinem Willen abweichende Entscheidung der Organgesellschaft verhindern kann. Nunmehr verlangt der BFH in ausdrücklicher Abkehr seiner bisherigen Rechtsprechung, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft auch tatsächlich durchsetzen kann. Im entschiedenen Fall entfiel daher die organisatorische Eingliederung, wenn für die Organgesellschaft ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt bestellt wird.
3. Europarechtswidrigkeit
Diese Beschränkungen führen im Lichte der neueren EuGH-Rechtsprechung jedoch zu Bedenken im Hinblick auf die europarechtliche Vereinbarkeit der nationalen Regelungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft.
a) Beschränkung auf Unternehmer und juristische Personen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 9. April 2013 (C85/11) in einem das irische Umsatzsteuerrecht betreffenden Fall ebenso wie in mehreren Parallelverfahren entschieden, dass auch Nichtunternehmer (z.B. reine Holdinggesellschaften, Vereine, etc.) Teil einer umsatzsteuerlichen Organschaft sein können. Der EuGH stützt sich neben dem Wortlaut der Regelung, der „Personen“ und nicht „Steuerpflichtige“ als Mitglieder einer Organschaft bezeichnet, auch auf den Zweck der Vorschrift. Danach soll durch eine Zusammenfassung von mehreren Rechtsträgern eine Verwaltungsvereinfachung und eine Missbrauchsverhinderung ermöglicht werden. Ableiten lässt sich aus dieser Rechtsprechung zudem, dass eine generelle Einschränkung des Personenbegriffs, wie sie etwa in der deutschen Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf „juristische Personen“ zu finden ist, nach Art. 11 MwStSystRL unzulässig ist. Im Ergebnis kommt auch das Finanzgericht München in seinem Urteil vom 13. März 2013 (3 K 235/10) im Wege einer unionrechtskonformen Auslegung zu dem Schluss, dass die deutschen Eingliederungsvoraussetzungen entgegen des Gesetzeswortlauts nicht auf juristische Personen beschränkt sind.
Diese tendenzielle Erweiterungen auf Nichtunternehmer als Organmitglieder und Personengesellschaften als Organgesellschaften steht im Widerspruch zur bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH und hat, sollte sie sich auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung durchsetzen, erhebliche Auswirkungen, die jedoch auch neue Gestaltungsspielräume bezüglich der betrieblichen Abläufe eröffnen.
b) Beschränkung auf ein Über-/Unterordnungsverhältnis
Im Gegensatz zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG spricht Art. 11 MwStSystRL nicht von einer finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers, sondern lediglich von einer diesbezüglichen engen Verbundenheit. Während der BFH diese einschränkende Anforderung eines Über-/Unterordnungsverhältnisses durch den nationalen Gesetzgeber bislang als europarechtskonform betrachtete, begegnet diese restriktive Handhabe der umsatzsteuerlichen Organschaft ebenfalls europarechtlichen Bedenken (vgl. Slapio, UR 2013, 407, 411f.).
4. Fazit
Die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft sind in Bewegung. Mit Spannung darf erwartet werden, wie sich der BFH zu den neueren europäischen Entwicklungen positioniert. Über aktuelle Entwicklungen informieren wir Sie gern. Festzuhalten bleibt, dass insbesondere durch die Aufnahme von Personengesellschaften in einen Organkreis die umsatzsteuerliche Belastung innerhalb von Gesellschaftsstrukturen reduzieren kann. Aus haftungsrechtlicher Sicht führt eine umsatzsteuerliche Organschaft hingegen dazu, dass die Organgesellschaft nach § 73 AO beispielsweise für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Organträgers haftet, was vor allem in Insolvenzfällen nach Unternehmenskäufen relevant werden kann. Wünscht der Steuerpflichtige diese Ausweitung der Organschaft auf zum Beispiel Personengesellschaften, kann er sich, da die Mehrwertsteuersystemrichtlinie unbedingt und inhaltlich hinreichend bestimmt ist, direkt auf die Richtlinie und somit auch auf die Auslegung derselben durch den EuGH berufen. Ob dies vorteilhaft ist, hängt von der Prüfung des Einzelfalls ab. Gern sind wir bereit, Sie dabei zu unterstützen.
Für weitere Rückfragen und Informationen stehen wir Ihnen jederzeit gern zur Verfügung.
Ansprechpartner:
Sören Münch, Steuerberater
Dr. Kerstin Bohne, Rechtsanwältin