Der EuGH wendet die Margenbesteuerung auch auf den bloßen Weiterverkauf von Flugtickets an. Zusätzliche Dienstleistungen oder Informations- und Beratungsleistungen sind hierfür nicht erforderlich. Zudem teilt er der in Praxis oft gewünschten opt-out-Möglichkeit eine Absage: Liegen die Voraussetzungen der Margenbesteuerung vor, ist diese zwingend anzuwenden. Eine Wahl zur Regelbesteuerung scheidet aus.
1. Sachverhalt – Dragoram Tours, C-763/23
Dragoram Tours, ein rumänisches Reisebüro kauft Flugtickets (Zielorte jeweils in der EU) im eigenen Namen von Fluggesellschaften ein und verkauft diese anschließend im eigenen Namen zuzüglich Provision an seine Kunden weiter. Falls gewünscht, berät und informiert Dragoram seine Kunden. Darüber hinaus erbringt Dragoram keine weiteren Zusatzleistungen.
2. Margenbesteuerung auch bei Einzelleistungen
Der EuGH stellt klar, dass sich bereits aus seiner bisherigen Rechtsprechung (Alpenchalets, C-552/17; Hotelkonsolidierer, C-108/22) ergäbe, dass der bloße Ein- und Verkauf von Flugtickets unter die Margenbesteuerung falle, auch wenn der Flugticketverkauf nicht mit zusätzlichen Leistungen, abgesehen von Information und Beratung, verbunden sei.
Zudem lehnt der EuGH ein Wahlrecht zwischen Margen- und Regelbesteuerung mit Blick auf den klaren Wortlaut der europäischen Richtlinienvorgabe ab. Daraus ergibt sich eindeutig ein Vorrang der Margenbesteuerung. Sind deren Voraussetzungen erfüllt, ist die Sonderregelung zwingend anzuwenden. Die Möglichkeit der Regelbesteuerung besteht dann nicht.
3. Praxishinweis
Nach der jüngsten EuGH-Rechtsprechung findet die Margenbesteuerung somit bereits beim Ein- und Weiterverkauf auch nur einer einzelnen touristischen Leistung statt. Dies widerspricht der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung. Danach ist grundsätzlich ein Leistungsbündel (Beförderung + weitere Leistung) erforderlich, um den Anwendungsbereich der Margenbesteuerung (§ 25 UStG) zu eröffnen. Eine Einzelleistung reicht nur dann aus, wenn es sich um den Ein- und Verkauf von Beherbergungsleistungen handelt.
So klar die EuGH-Rechtsprechung für klassische touristische Single-Leistungen nun zu sein scheint (Nur-Hotel, Nur-Flug), so unklar ist die Frage, wann eine andere Einzelleistung hinreichend touristisch ist, um den Anwendungsbereich der Reiseleistungen zu eröffnen.
Fragen wirft auch die Abgrenzung zu einem früheren EuGH-Fall zum Ein- und Verkauf von Busbeförderungsleistungen auf (Star Coaches, C-220/11), den der EuGH allerdings in seinem o. g. jüngsten Flugticket-Beschluss leider nicht zitiert. Damals hatte der EuGH entschieden, dass ein Beförderungsunternehmen (Star Coaches), das lediglich die Beförderung von Personen durchführt, indem es an Reisebüros Busbeförderungsleistungen (entweder mit eigenen Bussen oder durch seinerseits eingekaufte Subunternehmer) erbringt, und das keine weiteren Dienstleistungen wie die Unterbringung, eine Reiseführer- oder Beratungstätigkeit ausführt, keine Umsätze tätigt, die unter die Margenbesteuerung fallen. Die Leistungen von Star Coaches und die Leistungen eines Reisebüros oder Reiseveranstalters stimmten nach Auffassung des EuGH keineswegs überein. In diesem Urteil stellt der EuGH folglich maßgeblich darauf ab, ob die Tätigkeit des Unternehmers, der „üblichen“ Tätigkeit eines Reisebüros oder Reiseveranstalters ähnelt, denn nur für diese sei die spezielle Margenbesteuerung geschaffen worden. Wird dagegen nur eine einzelne Busbeförderungsleistung ohne weitere touristische Leistungen erbracht, liegt nach Auffassung des EuGH mithin keine Reisebüro- bzw. Reiseveranstalterleistung vor.
Fraglich ist auch, wann ein Unternehmer, der im eigenen Namen und auf eine eigene Rechnung Reiseleistungen verkauft als Margenbesteuerer oder als Regelbesteuerer gilt. So geht die Finanzverwaltung bisher beim Flugticketverkauf davon aus, dass hier sowohl Elemente des Eigenhandels (Verkauf im eigenen Namen) als auch der Vermittlung (Handeln in fremdem Namen und für fremde Rechnung) eine Rolle spielen. Mit diesen Fragen hat sich der EuGH indes nicht befasst.
Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung reagieren wird. Auf den ersten Blick ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum der bloße Ein- und Weiterverkauf von Flugbeförderungsleistungen (EuGH 2024: Margenbesteuerung) anders zu behandeln ist, als der bloße Ein- und Weiterverkauf von Busbeförderungsleistungen (EuGH 2012: Regelbesteuerung).
Bis zu einer Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses können betroffene Unternehmer wohl auf Vertrauensschutz für die bisherige Behandlung als Regelbesteuerer hoffen. Ob künftig auch Unternehmer unter die Margenbesteuerung fallen (sollen), die etwa nur eine reine (Bus-)Beförderungsleistung von einem (Bus-)Beförderungsunternehmer einkaufen und im eigenen Namen an ihre Kunden weiterverkaufen, kann jedenfalls mit der jüngsten EuGH-Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden.
Unternehmer, die touristische Einzelleistungen von Subunternehmern einkaufen und diese an ihre Kunden weiterverkaufen, sollten die Entwicklungen in Rechtsprechung und Finanzverwaltung im Blick behalten und ggf. einen „Plan B“ entwerfen, um auch künftig wirtschaftlich sinnvoll arbeiten zu können