Doppelte Grunderwerbsteuer bei Share Deals? Der Bundesfinanzhof (BFH) äußert ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit von mehrfachen Steuerfestsetzungen bei zeitlich auseinanderfallendem Signing und Closing. Damit setzt er ein wichtiges Zeichen für die Praxis und eröffnet Spielraum für Steuerpflichtige, gegen doppelte Belastungen vorzugehen. Die endgültige Klärung dürfte für Unternehmen und Berater wichtige Handlungssicherheit schaffen.
1. Sachverhalt
Im Rahmen eines sogenannten Share Deals erwarb die Antragstellerin mit notariellem Vertrag vom 11. März 2024 (Signing) sämtliche Anteile an einer grundbesitzenden GmbH. Die tatsächliche Übertragung der Anteile (Closing) erfolgte am 29. März 2024 nach Kaufpreiszahlung. Obwohl beide Vorgänge dem Finanzamt angezeigt wurden, setzte dieses mit zwei separaten Bescheiden vom 30. Mai 2024 jeweils Grunderwerbsteuer fest:
- einmal gegenüber der GmbH wegen des Wechsels im Gesellschafterbestand (§ 1 Abs. 2b GrEStG) und
- einmal gegenüber der Antragstellerin wegen der Anteilsvereinigung (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG).
Beide Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO). Gegen letzteren Bescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung . Das Finanzgericht wies den Antrag zunächst ab, doch der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Beschwerde nun statt.
2. Entscheidung
Der BFH hob mit Beschluss vom 9. Juli 2025 (Az. II B 13/25) den ablehnenden Beschluss des Finanzgerichts auf und gewährte die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung führte er aus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer doppelten Grunderwerbsteuerfestsetzung bestehen, wenn ein einheitlicher Vorgang – der Erwerb sämtlicher GmbH-Anteile – zugleich unter § 1 Abs. 2b GrEStG und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG fällt.
Insbesondere stellte der BFH klar: Es ist rechtlich fraglich, ob bei einem Anteilsübergang, bei dem das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (Signing) und die tatsächliche Anteilsübertragung (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG festgesetzt werden darf – insbesondere dann, wenn dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bereits bekannt ist, dass das Closing erfolgt ist. Genau dies war im Streitfall gegeben.
Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG spricht laut BFH gegen die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach eine parallele Anwendung der Normen möglich sei. Denn § 1 Abs. 3 GrEStG sei nach seinem Einleitungssatz subsidiär zu den Tatbeständen des § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG – dieser Vorrang sei nicht auf zeitlich gleichlaufende Erwerbsvorgänge beschränkt, wie es die Verwaltung meint.
Darüber hinaus wiegt besonders schwer, dass dem Finanzamt zum Zeitpunkt des Erlasses beider Bescheide bekannt war, dass die Anteilsübertragung im Rahmen des Closings am 29. März 2024 bereits erfolgt war – und somit der Erwerbstatbestand nach § 1 Abs. 2b GrEStG verwirklicht war. Gleichwohl erließ es am selben Tag zusätzlich einen weiteren Bescheid nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG.
Eine solche Doppelbesteuerung desselben Vorgangs steht nicht nur mit dem materiellen Anwendungsvorrang des § 1 Abs. 2b GrEStG im Widerspruch, sondern wirft auch die Frage auf, ob nicht bereits aus verfahrensrechtlicher Sicht – etwa über § 164 Abs. 2 AO – eine Korrektur angezeigt wäre. Denn: § 16 GrEStG schließt die Anwendung anderer Korrekturregelungen nicht aus, sodass der Weg über § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG im konkreten Fall gar nicht erforderlich gewesen wäre.
Auch die Gesetzesbegründungen und die kritische Kommentarliteratur untermauern die Einschätzung des BFH: Der Gesetzgeber wollte eine doppelte steuerliche Belastung für ein und denselben Anteilserwerb ausdrücklich vermeiden. Eine unterlassene oder verzögerte Anzeige kann daher nicht automatisch eine doppelte Besteuerung rechtfertigen.
3. Fazit
Der Beschluss des BFH bringt Licht in eine bislang ungeklärte Streitfrage bei der Besteuerung von Share Deals: Kann ein identischer Anteilsübergang zweimal der Grunderwerbsteuer unterliegen, wenn sich die Vorgänge auf unterschiedliche Ergänzungstatbestände stützen lassen?
Nach Auffassung des BFH bestehen ernstliche Zweifel an dieser Praxis. Die Entscheidung ist ein wichtiger Hinweis für die Beratungspraxis – insbesondere bei komplexen gesellschaftsrechtlichen Transaktionen mit grundbesitzenden Unternehmen.
Steuerpflichtige, die mit ähnlichen Doppelbesteuerungsszenarien konfrontiert sind, sollten prüfen lassen, ob eine Aufhebung nach § 164 Abs. 2 AO oder eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht kommt.
Die Hauptsacheentscheidung bleibt abzuwarten – sie könnte Grundsatzcharakter für die künftige Behandlung von Share Deals im Grunderwerbsteuerrecht haben.