Der BFH legt dem EuGH Fragen zur Anwendung der Margenbesteuerung auf sogenannte Kaffeefahrten vor.
I. Sachverhalt – Kaffeefahrten, V R 30/23
Der Unternehmer veranstaltete Ausflugsfahrten mit dem Ziel, den Absatz der von ihm angebotenen Waren zu fördern. Anlässlich dieser landläufig als „Kaffeefahrten“ bezeichneten Ausflugsfahrten wurden die Teilnehmer mit Bussen abgeholt und zu touristisch interessanten Zielen befördert. Im Rahmen der Ausflugsfahrten führte der Unternehmer Verkaufsveranstaltungen außerhalb seiner Geschäftsräume durch, bei denen er den Ausflugsteilnehmern Waren anbot, die diese gegen gesondertes Entgelt von ihm erwerben konnten.
Die Beförderungsleistungen hatte der Unternehmer von diversen Busunternehmen eingekauft. Die von den Busunternehmen in Rechnung gestellten Buskosten überstiegen die eingenommenen Fahrtgelder. Beispielsweise betrug die Kostendeckungsquote in einem der Streitjahre nur etwa 60 %. Die Teilnehmer erhielten im Rahmen der Ausflugsfahrten außerdem – jeweils ohne gesondertes Entgelt – Verpflegung und konnten an einem touristischen Programm (bspw. Schiffsausflugsfahrten) teilnehmen. Diese Leistungen bezog der Unternehmer teilweise ebenfalls von anderen Unternehmen.
Beim Geschäftsmodell von so genannten Kaffeefahrten werden regelmäßig die Preise für die Fahrt/Reise an sich unter den Kosten liegen, weil man die Kunden bzw. die Reisenden zur Teilnahme animieren möchte. Der dadurch entstehende Verlust wird dann durch den Gewinn aus dem Verkauf der angebotenen Waren meistens erheblich überkompensiert.
II. Vorlagefragen des BFH
Der BFH legte dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen mit den drei nachfolgenden Fragen vor:
1. Zunächst geht es darum, ob es sich bei Kaffeefahrten überhaupt um einen Umsatz gemäß der Sonderregelung für Reisebüros handle. Der BFH führt einige Argumente dafür, wie auch dagegen an. Dafür spricht, dass sich die Teilnahme an dieser Ausflugsfahrt nach Maßgabe des Beförderungsaspekts nicht von einer sonstigen Ausflugsfahrt unterscheidet. Andererseits unterscheidet sich die Ausflugfahrt insofern, dass der Unternehmer die Busfahrt nicht wie Reisebüros üblicherweise kostenüberdeckend anbietet, sondern die Kosten mit den Warenumsätzen decken möchte. Aufgrund dessen ergibt sich nach Ansicht des BFH aus der erbrachten Leistung auch nicht ausschließlich ein Nutzen für die Ausflugsteilnehmer. Dadurch könnte ein Wettbewerb zu Reisebüros nicht gegeben sein. Dies kann man aber auch anders sehen: Sofern die Mitreisenden der Kaffeefahrt gegen die Kaufangebote resistent sind oder an der Verkaufsveranstaltung einfach nicht teilnehmen, haben diese eine sehr preisgünstige Fahrt zu dem jeweiligen Ziel nebst touristischem Programm erhalten. Dies erzeugt dann doch einen gewissen Wettbewerbsvorteil.
2. Mit der zweiten Frage möchte der BFH klären, ob die Margenbesteuerung auch bei negativen Margen anwendbar ist. Als Begründung wird angeführt, dass mit der Sonderregelung ein vereinfachter Abzug der Vorsteuer bezweckt werden sollte. Besteuert wird nur die Marge. Im Fall einer negativen Marge kommt es nicht zu einem Ausgleich, obwohl es bei Anwendung der allgemeinen Besteuerungsregelungen zu einer Erstattung kommen würde. Der BFH führt noch an, dass es fraglich sei, ob der unternehmerische Erfolg, der zu einer Gewinnmarge wie auch zu einer negativen Marge führen kann, über die Anwendung der Sonderregelung entscheiden soll.
3. Die dritte Frage bezieht sich darauf, ob es bei negativen Margen zu einer Erstattung an den Unternehmer kommen kann. Für einen Anspruch auf Erstattung eines Betrags bei negativer Marge kann aus Sicht des BFH neben des Vereinfachungscharakters der Sonderregelung, sofern dieser die allgemeinen Mehrwertsteuerregelungen verdrängen kann, auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität sprechen. Denn ohne eine Negativsteuer würden Steuerpflichtige mit Vorsteuerbeträgen für Leistungen, die sie für ihr Unternehmen bezogen haben, wirtschaftlich belastet, weil die auf die Reisevorleistungen gezahlte Vorsteuer zu einem Kostenfaktor würde. Andererseits ist auch zu berücksichtigen, dass die Sonderregelung die Einnahmen aus der Steuer auf die Mitgliedsstaaten ausgewogen verteilen soll. Daher könnte gegen die Anerkennung eines Anspruchs auf Erstattung eines Betrags bei negativer Marge sprechen, dass bei grenzüberschreitenden Fällen eine Vergütung „negativer“ Umsatzsteuer wirtschaftlich im Ergebnis zu einer Erstattung ausländischer Vorsteuerbeträge durch den Staat führen kann, in dem die Reiseleistung steuerpflichtig ist. Zudem sind auch hier die Unterschiede zu bedenken, die sich aus Steuersatzunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten ergeben können und die je nach Ausgestaltung dieser Unterschiede dazu führen können, dass der Steuerpflichtige bei einer Erstattung aufgrund einer negativen Marge günstiger behandelt wird, als bei Anwendung der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung in den verschiedenen Mitgliedstaaten.
III. Praxishinweis
Sollte der EuGH die Anwendung der Margenbesteuerung auch auf Kaffeefahrten beschließen, wäre das für Margenbesteuerer von allgemeinem Interesse.
Ist die Margenbesteuerung anzuwenden und dann auch noch auf negative Margen, könnte sich – wie im Rahmen der Regelbesteuerung – ein Erstattungsanspruch ergeben. Ein derartiger Anspruch wäre für die Reisebranche eine echte Neuerung und würde das Problem des vom EuGH verhängten Verbots einer Gesamtmargenbildung ab 2022 beseitigen, da man nun summarisch tatsächlich zu einer Gesamtmarge kommt.
Wenngleich gute Gründe gegen die Margenbesteuerung für Kaffeefahrten sprechen, bleibt hier abzuwarten, wie der EuGH in dieser Sache entscheidet. In den nächsten zwei Jahren werden wir es wohl wissen.