Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise bewirkt, wie Veranstaltungen, Schulungen oder Beratungsleistungen angeboten und konsumiert werden. Immer mehr Anbieter verlagern ihre Leistungen ganz oder teilweise ins Internet, sei es über interaktive Live-Formate oder über aufgezeichnete Inhalte, die Nutzer jederzeit abrufen können.
Mit Schreiben vom 8. August 2025 hat das BMF erneut zur umsatzsteuerlichen Behandlung digitaler Veranstaltungsangebote Stellung genommen. Auch wenn die Regelungen aus dem BMF-Schreiben vom 29. April 2024 vollständig ersetzt werden (Rn. 2, 15), sind einige Einordnungen identisch geblieben. Änderungen gibt es hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung von kombinierten Angeboten (Live-Streams und Aufzeichnungen). Es wird darauf hingewiesen, dass sich die Ausführungen ausschließlich auf Leistungen im B2C-Bereich, also an Nichtunternehmer beziehen.
A. Regelungen, die weiterhin Bestand haben
1. Vorproduzierte Inhalte
Als vorproduzierte Inhalte sind weiterhin Leistungen anzusehen, die nur ein geringes Maß an menschlichem Mitwirken erfordern, wie dies zum Beispiel bei E-Learning-Modulen oder einmalig aufgezeichneten Videos der Fall ist. Diese gelten im umsatzsteuerlichen Sinn als auf elektronischem Weg erbrachte Leistungen im Sinne des § 3a Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 UStG. Maßgeblich ist dabei, dass die Bereitstellung automatisiert über das Internet erfolgt und nicht individuell betreut wird. Davon abzugrenzen sind Rundfunk- oder Fernsehdienstleistungen, bei denen vorproduzierte Inhalte zeitgleich durch einen Rundfunk- oder Fernsehsender verbreitet werden. Diese gelten nicht als elektronisch erbrachte Leistung im Sinne des § 3a Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 UStG, sondern sind gesondert unter § 3a Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 UStG einzuordnen. In beiden Fällen richtet sich der Leistungsort nach dem Wohnsitz bzw. dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsempfängers (§ 3a Abs. 5 Satz 1 UStG).
Das BMF-Schreiben vom 8. August 2025 stellt erneut klar, dass für diese auf elektronischem Weg erbrachten Dienstleistungen oder Rundfunk- bzw. Fernsehdienstleistungen die Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 14 (Gesundheit), Nr. 20 (Kunst und Kultur) und Nr. 21/22 UStG (Bildung) oder die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 14 UStG nicht zur Anwendung kommen.
2. Live-Streaming
Bei der Bereitstellung eines Live-Streaming-Angebotes einer Veranstaltung liegt ebenso keine auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistung vor, da die Veranstaltung als maßgebliche Leistung mit mehr als nur einer minimalen menschlichen Beteiligung erbracht wird und ihrer Art nach nicht im Wesentlichen automatisiert erfolgt. Es liegt folglich eine sonstige Leistungen nach § 3a Abs. 3 Nr. lit. a UStG vor. Auch in diesem Fall richtet sich der Leistungsort nach dem Wohnsitz bzw. dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsempfängers (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 S. 2 UStG).
Anders als bei den vorproduzierten Inhalten ist für Live-Streaming-Angebote die unter Ziff. 1 genannten Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14, 20, 21 und 22 UStG anwendbar, sofern die Umsätze von einer nach dieser Vorschrift begünstigten Einrichtung (= personenbezogenes Merkmal) erbracht werden. Ausschlaggebend hierbei ist die Möglichkeit des Publikums mit den Vortragenden zu interagieren (z. B. durch das Stellen von Fragen oder dem digitalen „Handheben“) sowie das höhere Maß an menschlichem Mitwirken.
Liegt keine nach den Steuerbefreiungsnormen begünstigte Einrichtung vor, kommt für den Verkauf einer digitalen Eintrittsberechtigung die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 7 % nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a UStG in Betracht.
Erfolgt das Live-Streaming-Angebot im Rahmen einer Dienstleistungskommission im Sinne des § 3 Abs. 11 oder Abs. 11a UStG, welche gerade im Bereich der Musikveranstaltungen (Konzerte, Orchesterauftritte etc.) weit verbreitet sind, dann gilt die Steuerbefreiung insbesondere nach § 4 Nr. 20 lit. a UStG oder -ermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 lit. a UStG sowohl für die Leistungen an den Auftragnehmer als auch für dessen Leistungen an den Endkunden. Die für die Steuerbefreiung notwendigen personenbezogenen Merkmale der an der Leistungskette Beteiligten sind weiterhin für jede Leistung innerhalb einer Dienstleistungskommission gesondert in die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung einzubeziehen.
B. Neuregelungen für Leistungskombinationen: Rücknahme der strittigen Einheitsregelung
Mit dem Schreiben vom 8. August 2025 hat das BMF die bisher stark kritisierten Regelungen zur sogenannten einheitlichen Leistung eigener Art (sui generis) gestrichen. Nach der alten Regelung waren Kombinationen aus Live-Streams und Aufzeichnungen grundsätzlich als eine einheitliche, insgesamt steuerpflichtige Leistung zu behandeln, welche der Regelbesteuerung unterlag. Stattdessen verweist das BMF nun auf die allgemeinen umsatzsteuerlichen Grundsätze zur Einheitlichkeit der Leistung (vgl. Abschnitt 3.10 UStAE). Danach ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Unternehmer dem Leistungsempfänger gegenüber mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt. Maßgeblich ist dabei die Sichtweise des Durchschnittsverbrauchers. Die bloße Preisgestaltung, etwa durch einen Paketpreis oder separaten Aufpreis für Aufzeichnungen, ist somit nicht entscheidend.
Entsprechend kommen künftig folgende Varianten bei Onlineveranstaltungen in Betracht:
- einheitliche Leistung eigener Art;
- einheitliche Leistung im Haupt- und Nebenleistungsverhältnis (Hauptleistung = Live-Stream, Nebenleistung = Aufzeichnung);
- selbständige Hauptleistungen.
Die Neuregelungen sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Übergangsweise können sich Anbieter jedoch bis zum 31. Dezember 2025 weiterhin auf die Regelungen des bisherigen BMF-Schreibens vom 29. April 2024 berufen.
C. Praxistipp
Wir empfehlen den Anbietern von Online-Veranstaltungen (z. B. Universitäten/Hochschulen bzw. Weiterbildungsgesellschaften) beim Verkauf von Online-Tickets zu prüfen, ob der Leistungsempfänger ein Unternehmer oder ein Nichtunternehmer ist und ob die Kundendaten (insbesondere der Wohnsitz) korrekt und vollständig erfasst worden. Nur so kann der richtige Leistungsort ermittelt und die Umsatzsteuer auf der Rechnung korrekt ausgewiesen werden. Unvollständige oder fehlerhafte Angaben können zu Problemen führen, insbesondere bei grenzüberschreitenden Verkäufen.
Die Neubeurteilung bei Leistungskombinationen stellt nun nicht mehr per se eine umsatzsteuerpflichtige, einheitliche Leistung eigener Art dar. Diese Änderung eröffnet mehr Spielraum für die steuerliche Beurteilung kombinierter Angebote: So kann eine Leistung, die sowohl aus einem Live-Element (z. B. interaktiver Unterricht) als auch einer abrufbaren Aufzeichnung besteht, unter bestimmten Voraussetzungen insgesamt von der Umsatzsteuer befreit sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Live-Anteil im Vordergrund steht und die Aufzeichnung nur ergänzend bereitgestellt wird.
Dies kann aber auch zu Nachteilen im Bereich der Vorsteuer führen. Denn sollten Leistungen steuerfrei werden, ist ein Vorsteuerabzug grundsätzlich ausgeschlossen. Anbieter sollten daher nicht nur ihre Entgeltmodelle überprüfen, sondern auch die Ausgestaltung ihrer Kursangebote insgesamt neu kalkulieren und bei Bedarf anpassen.