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BAG, Rechtsprechungsänderung: Unbillige Weisung muss der Arbeitnehmer nicht befolgen! Beschluss vom 14. September 2017, Az. 5 AS 7/17

Ein Arbeitnehmer muss eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht befolgen, wenn keine die Weisung billigende rechtskräftige Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen vorliegt.

13.10.2017

I. Sachverhalt und Hintergrund

Der klagende Arbeitnehmer wollte u. a. festgestellt wissen, dass er nicht verpflichtet war, einer Weisung der beklagten Arbeitgeberin vom Februar 2015 Folge zu leisten.

Zuletzt war der klagende Arbeitnehmer in Dortmund eingesetzt. Im Jahr 2013/2014 setzte sich der Kläger erfolgreich gegen seine Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs zur Wehr. Weil sodann andere Mitarbeiter der beklagten Arbeitgeberin eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ablehnten, versetzte ihn die Beklagte nach Berlin. Der Kläger nahm seine Arbeit am Standort Berlin nicht auf und weigerte sich, ungeachtet zweier Abmahnungen, der Weisung der Beklagten Folge zu leisten. Aus diesem Grunde kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos. Der entsprechende Kündigungsrechtsstreit ist beim 2. Senat anhängig (Az.: 2 AZR 329/16).

II. Entscheidungsinhalt

Dem hier in Rede stehenden Beschluss des 5. Senats ging eine Anfrage des 10. Senats zu einem vom 10. Senat des BAG als Revisionsinstanz zu entscheidenden, anhängigen Rechtsstreit voraus. Zu klären war, ob der Kläger (Arbeitnehmer) einer Weisung der Beklagten (Arbeitgeber) nachkommen musste.

Der 10. Senat des BAG ist der Auffassung, dass die Weisung wirksam ausgesprochen, aber inhaltlich unbillig war. Der Kläger sei nicht – auch nicht vorläufig – verpflichtet, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung durch ein Arbeitsgericht eine unbillige Weisung zu befolgen. Nach der Auffassung des 10. Senats des BAG hätte der Kläger als Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Beibehaltung seines Arbeitsplatzes in Dortmund. Demnach habe die Versetzung nach Berlin ein intensives Ausmaß für den Kläger, da wegen der weiten Entfernung zwischen Berlin und dem Wohnort des Klägers zwangsläufig eine Veränderung des Lebensmittelpunktes für die Zeit des Einsatzes geboten war. Hiergegen habe die Beklagte nicht hinreichend substantiiert dargelegt, welche betrieblichen Interessen demgegenüber vorrangig zu berücksichtigen wären.

Die bisherige, insoweit abweichende Rechtsprechung des 5. Senats des BAG war dadurch geprägt, dass ein Arbeitnehmer eine unbillige Weisung solange befolgen musste, bis ein Arbeitsgericht die Unverbindlichkeit der Weisung rechtskräftig festgestellt hatte. Hatte ein Arbeitnehmer die erteilte Weisung vorläufig nicht befolgt, so setzte er sich der Gefahr einer Abmahnung und gegebenenfalls sogar einer Kündigung wegen Arbeitsverweigerung aus.

Da der 10. Senat des BAG von der Rechtsprechung des 5. Senats abweichen möchte, hat er beim 5. Senat des BAG angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung zur Verbindlichkeit von Weisungen des Arbeitgebers festhalten will.

Der 5. Senat des BAG hat daraufhin den Beschluss gefasst, dass er seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgibt. Die abschließende Entscheidung des 10. Senats des BAG steht noch aus. Es ist zu erwarten, dass der 10. Senat entscheiden wird, dass Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung ihres Arbeitgebers bis zu einer anderweitigen rechtskräftigen Entscheidung nicht (mehr) Folge leisten müssen.

III. Folgen der Entscheidung

Diese Entscheidung hat eine große Relevanz für die Praxis. Das BAG wird seine bisher gefestigte arbeitgeberfreundliche Rechtsprechung im Hinblick auf das Weisungsrecht des Arbeitgebers (Direktionsrecht nach § 106 GewO) aufgeben. Dies hat in der Praxis zur Folge, dass das Risiko der Unbilligkeit einer Weisung nun beim Arbeitgeber liegt. Der Arbeitnehmer ist – auch nicht vorläufig – an eine unbillige Weisung des Arbeitgebers gebunden. So liegt es nun am Arbeitgeber, ein gerichtliches Verfahren einzuleiten und auf Feststellung zu klagen, dass die Weisung wirksam war, falls der Arbeitnehmer eine Weisung nicht befolgt.

In Zukunft sollten Arbeitgeber bereits im Vorfeld die Weisungen – bezogen auf alle möglichen Inhalte des Weisungsrechts – genauer auf ihre Billigkeit hin überprüfen. Je einschneidender die Folgen für den Arbeitnehmer sind, umso eher steht die Frage der Unbilligkeit im Raum. Die Unsicherheiten in der Praxis bzgl. der Befolgung einer erteilten Weisung werden bei den Arbeitgebern dazu führen, dass diese vorsorglich zu einer erteilten Weisung eine Änderungskündigung aussprechen werden, falls die einseitige Änderung der Arbeitsbedingungen nicht mittels Direktionsrecht, sondern nur mit einer Änderung des Arbeitsvertrags durchsetzbar ist.

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