Pauschale Schätzungen nach der Richtsatzsammlung geraten ins Wanken: Der BFH hat klargestellt, dass nur nachvollziehbar begründete und methodisch saubere Schätzungen zulässig sind. Besonders bei bargeldintensiven Betrieben, etwa Diskotheken, müssen Finanzämter künftig genauer hinsehen – und auf präzisere Methoden wie Nachkalkulationen setzen.
Sachverhalt
Der Kläger betrieb 2013/2014 eine Diskothek in Hamburg und ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Eine Außenprüfung stellte erhebliche formelle Mängel der Buchhaltung fest und nahm daraufhin Hinzuschätzungen zu den Betriebseinnahmen vor. Das Finanzgericht Hamburg erkannte die Schätzungsbefugnis grundsätzlich an, hielt aber die Schätzungsmethode des Finanzamtes (Ausbeutekalkulation) für ungeeignet. Es reduzierte die Hinzuschätzungen und orientierte sich an der amtlichen Richtsatzsammlung, wobei ein Rohgewinnaufschlag von 300 % angenommen wurde. Der Kläger wandte ein, dass diese Sammlung statistisch unzuverlässig und für Diskotheken ungeeignet sei.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof hob das Urteil des FG auf und verwies den Fall zurück. Der BFH bestätigte die Schätzungsbefugnis. Schätzungen müssen aber nachvollziehbar, logisch und auf konkrete betriebliche Tatsachen gestützt sein. Ferner müssen Schätzungen zu einem realistischen Ergebnis führen. Dabei gilt: Genauere Methoden haben Vorrang.
- Vorrangig sind innerbetriebliche Vergleiche wie Nachkalkulationen.
- Äußere Betriebsvergleiche, insbesondere anhand der Richtsatzsammlung, sind nur zulässig, wenn andere Methoden ausscheiden.
Das FG habe weder ausreichend begründet, warum ein innerer Betriebsvergleich ausgeschlossen wurde, noch, warum es die Richtsätze für Gaststätten auf eine Diskothek übertrug. Eine Diskothek unterscheidet sich in Struktur, Einnahmequellen (Eintritt, Getränke, Zusatzleistungen) und Kundschaft deutlich von einer Gaststätte. Solche Unterschiede müssen bei der Wahl der Vergleichsmaßstäbe berücksichtigt und nachvollziehbar begründet werden.
Für den weiteren Verfahrensgang stellte der BFH klar, dass eine Schätzung auf Grundlage der Richtsatzsammlung kaum in Betracht kommt. Stattdessen sei eine Nachkalkulation auf Basis des Wareneinsatzes vorzugswürdig. Dabei können branchenspezifische Rohgewinnaufschläge aus anderen Prüfungen herangezogen werden. Der Kläger trägt die Beweislast für behauptete Freigetränke. Aufgrund der mangelhaften Aufzeichnungen kann auch eine vereinfachte Schätzung zulässig sein.
Kritik an der Richtsatzsammlung
Der BFH äußerte in seinem Urteil deutliche Zweifel an der Eignung der amtlichen Richtsatzsammlung als Grundlage für äußere Betriebsvergleiche. Die Datengrundlage sei methodisch unzureichend und nicht repräsentativ, da die einbezogenen Betriebe nicht zufällig, sondern nach Kriterien wie „Prüfungswürdigkeit“ oder „Normalbetrieb“ ausgewählt werden. Damit fehle die statistische Zufallsauswahl, die für eine verlässliche Vergleichsgrundlage erforderlich wäre. Hinzu kommen systematische Verzerrungen durch den Ausschluss von Verlustbetrieben und die Kappung unterer Richtsatzgrenzen, was zu einer Überhöhung der Werte führt. Des Weiteren müssen auch regionale Unterschiede berücksichtigt werden. Zudem müsse im Einzelfall stets begründet werden, welcher Wert innerhalb der Richtsatzspanne herangezogen wird und wie individuelle Betriebsmerkmale – etwa Lage, Preisniveau oder Kundschaft – berücksichtigt wurden. Das alles erfüllt die Richtsatzsammlung nicht und stellt daher nur ein äußerst ungenaues Hilfsmittel dar und ist nur bei gravierenden Aufzeichnungsmängeln als Schätzungsmethode ggf. vertretbar.
Fazit
Der BFH verschärft die Anforderungen an die Begründung und Methodenauswahl bei steuerlichen Schätzungen. Exakte Methoden wie Nachkalkulationen haben Vorrang vor pauschalen äußeren Schätzungen. Die amtliche Richtsatzsammlung verliert erheblich an Bedeutung, da ihre Datengrundlage nicht repräsentativ und methodisch angreifbar ist.