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OLG Hamm: Verstöße gegen unternehmensinterne Compliance-Vorschriften als wichtiger Grund für fristlose Kündigung des Geschäftsführervertrages

Verstößt ein Geschäftsführer einer GmbH gegen unternehmensinterne Compliance-Vorschriften, kann hierin eine Pflichtverletzung liegen, welche einen wichtigen Grund für die Kündigung des Geschäftsführervertrages darstellt. Die Kündigung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund wegen erheblicher Compliance-Verstöße setzt keine Abmahnung voraus. Die Einberufung der Gesellschafterversammlung zur Beschlussfassung über die Kündigung des Geschäftsführers ist nicht deshalb unangemessen verzögert, weil zwischen der ersten Information der Compliance-Abteilung und der Gesellschafterversammlung ein Zeitraum von zirka 10 Wochen liegt, sofern zur sorgfältigen Aufklärung des Sachverhalts weiterer Ermittlungs- und Organisationsbedarf bestand.

20.02.2020

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm, vom 29. Mai 2019, Az: 8 U 146/18 finden Sie hier.

 

  1. Der Fall

Ein Geschäftsführer begehrte von seinem ehemaligen Arbeitgeber Vergütungszahlungen sowie Schadensersatz wegen der im Jahr 2015 erfolgten Kündigung des Geschäftsführer-Dienstvertrags. Der Konzern, zu welchem der Arbeitgeber als Tochtergesellschaft gehörte, verfügte über einheitliche Compliance-Richtlinien; unter anderem zur Vermeidung von Korruption. Nach dieser Korruptionsrichtline war für die Einschaltung von Vermittlern und Beratern die vorherige Zustimmung des Bereichsvorstandes einzuholen, wenn die Vermittlungs- beziehungsweise Beratungsprovision mehr als 3 Prozent des Nettoauftragsvolumens betrug.

Der Geschäftsführer einigte sich im Zuge eines Rohstoffgeschäfts mit einem externen Vermittler darauf, die erforderliche Zustimmung des Bereichsvorstandes zu umgehen, indem der schriftliche Provisionsvertrag nur über eine Provision von zirka 2,9 Prozent des Nettoauftragsvolumens abgeschlossen wurde, wobei der vereinbarte Rest der Provision über eine tatsächlich nicht vorhandene Reklamation gutgeschrieben werden sollte. In der Folge veranlasste der Geschäftsführer die vorgenannte Gutschrift.

Am 17. Mai 2015 erlangte ein Mitgeschäftsführer Kenntnis von diesen Vorgängen und informierte die Compliance-Abteilung. Nach einer internen Sachverhaltsaufklärung durch die Compliance-Abteilung stellte die Gesellschafterversammlung den Geschäftsführer am 21. September 2015 von seinen Dienstpflichten frei. Am 25. September 2019 fasste die Gesellschafterversammlung nach Anhörung des Geschäftsführers den Beschluss, die Bestellung des Geschäftsführers zu widerrufen und das Anstellungsverhältnis fristlos zu kündigen. Hiergegen erhob der Geschäftsführer Klage und begehrte u.A. die Fortzahlung seines Gehaltes.

  1. Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht Hamm kam zu dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführers gerechtfertigt war und wies die Klage des Geschäftsführers ab.

Sowohl die Veranlassung der „fingierten“ Reklamationsgutschrift als auch die Umgehung der unternehmensinternen Compliance-Richtline stellten bereits für sich genommen schwerwiegende Pflichtverletzungen des Geschäftsführer-Dienstverhältnisses und damit wichtige Gründe im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Ein solches Verhalten sei aufgrund der herausgehobenen Stellung eines Geschäftsführers besonders geeignet, unternehmensinterne Richtlinien wesentlich zu untergraben. Unschädlich sei, dass der Geschäftsführer vor der fristlosen Kündigung nicht abgemahnt worden war. Ein Abmahnungserfordernis bestünde bei der Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers aus wichtigem Grund grundsätzlich nicht.

Im vorliegenden Fall sei auch die Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB für die außerordentliche Kündigung gewahrt worden. Diese beginne mit Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen und nicht bereits mit dem Aufkommen erster Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigen könnte. Die ermittlungsbedingte Verzögerung könne jedoch darin ihre Grenzen finden, dass dem Geschäftsführer eine unangemessene Verzögerung der Einberufung der Gesellschafterversammlung zugemutet werde. Diese Frist beginne jedoch solange nicht, wie der Arbeitgeber aus verständigen Gründen und nach pflichtgemäßem Ermessen zur Aufklärung des Kündigungssachverhaltes weitere Ermittlungen anstelle. Insoweit läge keine unangemessene Verzögerung vor.

Bei juristischen Personen ist die Kenntnis des zur Kündigung berechtigten Organs entscheidend, bei der GmbH also grundsätzlich der Gesellschafterversammlung (Kenntnis der Organmitglieder in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende an der kollektiven Willensbildung). Diese Kenntnis der Gesellschafter (als Organmitglieder) liegt erst dann vor, wenn der für die Tatsachenkenntnis maßgebliche Sachverhalt hinsichtlich der Entlassung des Geschäftsführers einer Gesellschafterversammlung unterbreitet wird.

Die Gesellschafterversammlung als Kündigungsberechtigte im Sinne des § 626 BGB habe erst am 25. September 2015 die erforderliche Kenntnis des Sachverhaltes erlangt. Die Beschlussfassung am gleichen Tage sei fristgerecht gemäß § 626 Abs. 2 BGB gewesen.

  1. Anmerkungen und Praxishinweis

Die Entscheidung stärkt die Bedeutung von unternehmensinternen Compliance-Richtlinien. Dabei kommt dem Verhalten eines Geschäftsführers aufgrund seiner Vorbildfunktion hinsichtlich der Beachtung von Compliance-Regelungen eine besondere Bedeutung zu.

Bereits der bloße Verstoß eines Geschäftsführers gegen Compliance-Regelungen kann einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm kann entnommen werden, dass es im Grunde auch unerheblich ist, ob dem Unternehmen hierdurch ein Schaden entstanden ist.

Zusätzlich zu dem Vorliegen eines wichtigen Grundes ist stets eine Interessenabwägung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zwischen den Interessen des Arbeitgebers und jenen des Arbeitnehmers vorzunehmen. Diese hat sich an den Umständen des Einzelfalls zu messen.

Die Wertung des Oberlandesgerichts Hamm, dass sich der Beginn der Frist nach § 626 Abs. 2 BGB aus unternehmensinternen Gründen verschieben kann, kann als Signal für Compliance-Abteilungen verstanden werden. Insbesondere soll die Möglichkeit einer sachgerechteren Ermittlung der zugrundeliegenden Umstände sowie einer sachdienlichen Koordinierung gesellschaftsrechtlicher Verfahren (Einberufung von Gesellschafterversammlungen; Anhörung beteiligter Mitarbeiter, usw.) bestehen.

Eine gründliche Ermittlung des Kündigungssachverhaltes und damit eine sorgfältige Vorbereitung der Entlassung eines Geschäftsführers verringert zudem Haftungsrisiken aufgrund ungerechtfertigter Kündigungen. Aus Praxissicht sollten die erforderlichen Sachverhaltsermittlung stets in der „gebotenen Eile“ durchgeführt werden. Für die Verantwortlichen auf Unternehmensseite empfiehlt sich eine nachvollziehbare Begründung für ermittlungsbedingte Verzögerungen im Zusammenhang mit der Einberufung der Gesellschafterversammlung. Insbesondere ist auch auf die gesellschaftsrechtlichen Beschlussvoraussetzungen (Gesellschaftsvertrag) für die Entscheidung über die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses zu achten.

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