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Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung

Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

19.07.2021
1. Sachverhalt:

Der Entscheidung des BGH (Urteil vom 6. Mai 2021; AZ: IX ZR 72/20) – das Urteil finden Sie hier – lag ein klassischer Sachverhalt zugrunde:

Der spätere Insolvenzschuldner hatte vor der Insolvenzeröffnung verschiedene Forderungen gegenüber einem Gläubiger befriedigt. Die Zahlungen waren erst nach verschiedenen Zahlungserinnerungen und nach Vereinbarung einer Ratenzahlungsvereinbarung erfolgt. Nach Insolvenzeröffnung erklärte der eingesetzte Insolvenzverwalter die Anfechtung gemäß § 133 InsO und verlangte das gezahlte Geld zurück. Nachdem die zunächst angerufenen Gerichte die Klage abgewiesen hatten, wurde der BGH angerufen.

Dieser wies die Sache an das Berufungsgericht zurück und nutzte die Gelegenheit, sehr grundsätzliche Ausführungen zur Vorsatzanfechtung vorzunehmen und dabei eine Neuausrichtung der Vorsatzanfechtung anzukündigen.

2. Entscheidungsgründe:

Der BGH betont zunächst, dass die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners eine innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsache ist und daher regelmäßig auf objektive (Hilfs-)Tatsachen abgestellt werden muss. Diese dürften zudem nicht schematisch, sondern nur im Rahmen eines Gesamtergebnisses herangezogen werden.

Der BGH ergänzt sodann aber, dass die bisherige Rechtsprechung, wonach allein aus der vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit gefolgert werden kann, dass dieser in der Regel auch über den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Bilde ist, einer neuen Ausrichtung bedarf. Die erkannte Zahlungsunfähigkeit belege nicht mit hinreichender Gewissheit die subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO. Hier seien insbesondere die Ausnahmefälle zu beachten, in denen der Schuldner aus der „ex ante-Sicht“ trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise davon ausgehen durfte, noch alle Gläubiger befriedigen zu können. Insbesondere in diesen Fallgestaltungen reiche es nicht aus, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Vornahme der (später angefochtenen) Rechtshandlung nicht alle seine Gläubiger befriedigen konnte – entscheidend sei vielmehr, ob er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, dass er auch künftig nicht dazu in der Lage sein wird. Maßgeblich sei daher, ob der Schuldner wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. Entsprechendes gelte für die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners.

Die Entscheidung des BGH vom 6. Mai 2021 reiht sich in eine Entwicklung ein, die den als zu weitgehend empfundenen Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung eingrenzen will. Insoweit ist nicht nur der Gesetzgeber durch seine InsO-Änderung aus dem Jahr 2017 tätig geworden, der BGH hat in einer Reihe von Urteilen seine ältere Rechtsprechung neu ausgerichtet.

3. Ausblick:

Die neue Entscheidung vom 6. Mai 2021 wird teilweise als tiefgreifende Neuausrichtung, andererseits aber auch als „Sturm im Wasserglas“ empfunden. Zutreffend dürfte eine mittlere Ansicht sein. Zwar formuliert der BGH, dass die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mithin erst für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz spreche, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, dass eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt. Jedoch wird dies vielfach gleichwohl der Fall sein. Andererseits schafft der BGH aber auch Raum für abweichende Feststellungen im Einzelfall. Dies gilt insbesondere für Fallgestaltungen, in denen Zahlungen im Leistungsaustauch vorgenommen wurden oder andere Umstände im Zeitpunkt der Zahlung für eine Bonität des Schuldners sprachen.

4. Folgen für die Praxis:

Die Anwendung der Vorsatzanfechtung in der Praxis wird damit nicht unbedingt leichter, es wird zukünftig mehr auf die Bedingungen des Einzelfalls abzustellen sein. Sondersituationen und Geschäftsabwicklungen im Leistungsaustausch dürften dann vielfach nicht mehr der Insolvenzanfechtung unterliegen. Ein Blick in die aktuelle Rechtsprechung kann hier vielfach Geld sparen. Denn viele Insolvenzverwalter haben diese neue Rechtsprechung noch nicht nachvollzogen und erklären ihre Insolvenzanfechtungen vor dem Hintergrund der alten Rechtsprechung.

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