In seinem am 06. November 2018 ergangenen Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers bei der Verwirklichung seines Resturlaubsanspruchs begrenzt ist: Der Resturlaub verfällt nicht bereits dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer um einen Urlaubsantrag bittet, der Arbeitnehmer dem aber nicht nachkommt – vielmehr muss der Arbeitnehmer auch eingehend über den drohenden Verfall des Urlaubs aufgeklärt werden. Da das Bundesurlaubsgesetz grundsätzlich den Verfall von Urlaubstagen mit Ablauf des Kalenderjahres vorsieht, muss das deutsche Recht entsprechend europarechtskonform ausgelegt werden.
Sachverhalt und Hintergrund
In dem entschiedenen Fall war der klagende Arbeitnehmer bei der Max-Planck-Gesellschaft angestellt. Sein befristeter Arbeitsvertrag endete am 31. Dezember 2013. Der Arbeitgeber bat ihn mit Schreiben vom 23. Oktober 2013 seinen Resturlaub möglichst noch vor Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Der Arbeitnehmer nahm indessen nur zwei seiner insgesamt 53 restlichen Urlaubstage, am 15. November und 2. Dezember 2013. Hinsichtlich der übrigen Urlaubstage verlangte er am 23. Dezember 2013 schriftlich die Auszahlung der nicht genommenen Urlaubstage gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG. Der Arbeitgeber verweigerte die Auszahlung unter Verweis auf § 7 Abs. 3 BUrlG, wonach der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Der Arbeitnehmer zog vor Gericht.
Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob § 7 Abs. 3 BUrlG gegen europäisches Recht verstoße und – bejahendenfalls – welche Folgen sich daraus für ein Arbeitsverhältnis ergeben.
Entscheidungsinhalt
Der EuGH betonte zunächst, dass es sich bei dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union handele. Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG sehe vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe. Eine nationale Regelung, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums vorsieht, widerspreche insoweit nicht den Bestimmungen der Richtlinie – dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen.
Der EuGH erläuterte auch, wie der Arbeitgeber diese Anforderungen erfüllen kann: Er müsse (und könne) seinen Arbeitnehmer zwar nicht zwingen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen. Er sei aber verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordere, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteile, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nehme, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen werde. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer also auf die drohende Rechtsfolge des ersatzlosen Verlustes der Urlaubstage hinweisen. Hierfür trage der Arbeitgeber die Beweislast. Erbringe der Arbeitgeber diesen Beweis, zeige sich, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet habe, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen – dann erlösche der Urlaubsanspruch einschließlich eines ggf. bestehenden Abgeltungsanspruchs.
Folgen für die Praxis
In der Arbeitswirklichkeit wird diese Entscheidung – wie auch im Fall des EuGH – vor allem von Bedeutung, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den 31. Dezember bzw. den 31. März fällt. Mit diesen Stichtagen endet gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG der Bezugszeitraum für die Verwirklichung des Jahresurlaubs bzw. der Übertragungszeitraum. Das deutsche Recht ordnet dann – seinem Wortlaut nach – den grundsätzlichen Verfall der Resturlaubstage an; damit kommt auch der Zahlungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG nicht mehr in Betracht.
Aber auch im laufenden Arbeitsverhältnis kann es zum Streit darüber kommen, ob restliche Urlaubstage spätestens zum 31. März des Folgejahres verfallen.
Um angesichts der Rechtsprechung des EuGH nicht nach den genannten Stichtagen noch Urlaubsansprüche gewähren zu müssen, sollten Arbeitgeber rechtzeitig vor deren Ablauf prüfen, ob ein hoher Resturlaubsbestand eines Mitarbeiters vorliegt. Wenn dies der Fall ist, empfiehlt es sich, die betroffenen Mitarbeiter schriftlich über folgendes in Kenntnis zu setzen:
- Anzahl der Resturlaubstage,
- Aufklärung über das Erlöschen der nicht genommenen Urlaubstage zum 31. Dezember bzw. zum 31. März gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG,
- Mitteilung darüber, dass der Arbeitgeber seine Mitarbeiter nicht zwingen kann, Urlaub zu nehmen,
- Aufforderung, zeitnah entsprechende Urlaubswünsche abzugeben,
- nochmaliger Hinweis darauf, dass ein Untätigbleiben des Arbeitnehmers einen freiwilligen Verzicht auf die Inanspruchnahme bzw. Abgeltung des entsprechenden Resturlaubs darstellt.
Hat der Arbeitgeber diese Vorgehensweise dokumentiert, gilt der Arbeitnehmer als hinreichend aufgeklärt und kann einem Verfall der Urlaubstage nur durch die Beantragung von Urlaub beim Arbeitgeber entgehen.
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