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Ergänzung des § 32 BGB geplant: Ermöglichung digitaler Organsitzungen von Vereinen und Stiftungen

Organsitzungen von Vereinen und Stiftungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers auch nach dem Auslaufen der pandemiebedingten Sonderregelungen des GesRuaCOVBekG zum 31. August 2022 in Form von Videokonferenzen durchgeführt werden können, ohne dass es hierfür einer entsprechenden Satzungsgrundlage bedarf (BT-Drucksache 20/2532 vom 1. Juli 2022).

19.07.2022
1. Aktuelle Gesetzesregelung in § 32 BGB (Verein), § 86 i. V. m. § 32 BGB (Stiftung)

Grundsätzlich müssen Mitgliederversammlungen (§ 32 Abs. 1 S. 1 BGB) und Vorstandssitzungen (§ 28 i. V. m. § 32 Abs. 1 S. 1 BGB) von Vereinen bzw. Organsitzungen von Stiftungen (§ 86 S. 1 i. V. m. §§ 28, 32 Abs. 1 S. 1 BGB) in Präsenz durchgeführt werden. Die Möglichkeit digitaler Versammlungsformen („virtuelle Versammlung“) besteht derzeit nur, wenn dies in der Satzung ausdrücklich vorgesehen ist oder alle Mitglieder/Organmitglieder einer digitalen Form (vor jeder Sitzung) ausdrücklich zustimmen.

Eine Ausnahme von der Beschlussfassung in Präsenzsitzungen sieht das BGB in § 32 Abs. 2 BGB lediglich in Form des sog. schriftlichen Verfahrens vor, bekannt als sog. Umlaufverfahren.

Im Rahmen der Corona-Pandemie wurde in § 5 Absatz 2 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG) eine Sonderregelung geschaffen, die den Vereinen und Stiftungen die Durchführung von Organsitzungen, also auch Mitgliederversammlungen, mittels elektronischer Kommunikation auch ohne eine entsprechende Regelung in ihrer Satzung ermöglicht. Diese Regelung, von der in der Praxis umfänglich Gebrauch gemacht wurde, tritt zum 31. August 2022 außer Kraft.

2. Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Ergänzung des § 32 BGB

Der Gesetzesentwurf des Bundesrates sieht vor, den § 32 BGB um einen Absatz 1a zu ergänzen:

(1a) Der Vorstand kann auch ohne Ermächtigung in der Satzung vorsehen, dass Vereinsmitglieder an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der Bild- und Tonübertragung teilnehmen und Mitgliederrechte auf diesem Wege ausüben können.

Enger als derzeit im GesRuaCOVBekG vorgesehen, ist die Möglichkeit der virtuellen Teilnahme auf Videokonferenztechnik beschränkt. Begründet wird dies im Gesetzesentwurf des Bundesrates damit, dass nur eine per Videokonferenz durchgeführte Mitgliederversammlung/Organsitzung tatsächlich mit einer in Präsenz durchgeführten Veranstaltung vergleichbar sei.

Gleichzeitig wurde der Gesetzesentwurf so formuliert, dass der Vorstand die Mitglieder nicht dazu verpflichten kann, an einer Versammlung virtuell teilzunehmen. Stattdessen soll es den Vereinsmitgliedern bzw. Mitgliedern anderer Organe (Verein/Stiftung) auch nach der Ergänzung des § 32 BGB freistehen, ob sie der Versammlung vor Ort oder mittels Videokonferenztechnik beiwohnen. So soll verhindert werden, dass Mitglieder, die nicht auf entsprechende Kommunikationsmedien zugreifen können, von der Versammlung ausgeschlossen werden. Andernfalls bestünde die Gefahr des Missbrauchs einer entsprechenden Regelung zur Schwächung oder sogar Aushöhlung der Mitgliederrechte. Deshalb soll die Möglichkeit, eine Mitgliederversammlung vollständig mittels Videokonferenztechnik durchzuführen, auch in Zukunft nur zulässig sein, wenn sich alle Mitglieder ausdrücklich damit einverstanden erklären – oder eine entsprechende Satzungsgrundlage vorhanden ist.

Abweichende Satzungsregelungen bleiben also von der geplanten Gesetzesänderung unberührt und können auch weiterhin durch Beschluss des für Satzungsänderungen zuständigen Organs neu oder in veränderter Form in Vereins- und Stiftungssatzungen aufgenommen werden.

3. Ziele der geplanten Ergänzung in § 32 BGB

Die Gesetzesänderung soll zur Stärkung der Rechte von Organmitgliedern beitragen, indem diesen die Möglichkeit eröffnet werde, unabhängig von Anreise, Krankheit oder anderen persönlichen Umständen (kleine Kinder, Pflegedienste) an Versammlungen/Sitzungen teilzunehmen und ihre Rechte auszuüben bzw. Pflichten wahrzunehmen. Zugleich soll die Flexibilität bei der Festlegung des Ortes und der Zeit von Versammlungen und Sitzungen erhöht werden.

Man hofft zudem, dass damit mehr Bürgerinnen und Bürger Vereinen beitreten und sich dort aktiv betätigen, das ehrenamtliche Engagement also gestärkt wird. Dies gilt entsprechend für Stiftungen bzw. ihre Organe.

Festzustellen ist schließlich auch, dass sich Besprechungen, Sitzungen und Versammlungen im Wege der elektronischen Kommunikation – sei es vollständig digital oder hybrid im Rahmen der Corona-Pandemie zunehmend etabliert und bewährt haben.

4. Auffassung der Bundesregierung zur Ergänzung des § 32 BGB

Die Bundesregierung befürwortet in einer Stellungnahme eine weitergehende Ergänzung des § 32 BGB, als sie vom Bundesrat vorgeschlagen wurde. Konkret heißt dies: Für die virtuelle Durchführung von Versammlungen und Sitzungen soll jede geeignete „elektronische Kommunikation“ zulässig sein, nicht nur Bild- und Tonübertragung („Videokonferenztechnik“), z. B. Onlinechat, Telefonschalte o. ä. Diese Flexibilität soll dem breiten Anwendungsbereich der Regelung Rechnung tragen: Sie  gilt nicht nur für Mitgliederversammlungen, sondern durch Verweisung in § 28 BGB für Sitzungen des Vereinsvorstandes bzw. durch Verweisung in § 86 Satz 1 BGB auf § 32 BGB auch für Sitzungen des Stiftungsvorstandes sowie weiterer fakultativer Organe. Zudem sieht der Entwurf der Bundesregierung vor, dass in der Einladung angegeben werden muss, wie die virtuelle Teilnahme oder Ausübung der anderen Rechte möglich ist.

5. Inkrafttreten

Das Inkrafttreten des neuen § 32 Abs. 1a BGB war für den 1. September 2022 geplant. Leider ist der Gesetzentwurf nicht vor der Sommerpause beschlossen worden und auch eine für den Herbst 2022 geplante Weiterleitung an den Rechtsausschuss ist nicht erfolgt. Vereine und Stiftungen können nach dem Auslaufen der Sonderregelungen des Covid-Pandemiegesetzes aktuell keine Online- oder Hybridsitzungen abhalten, in denen Beschlüsse gefasst werden können. Es bleibt ihnen – als Alternative zu Präsenzsitzungen – nur die Möglichkeit, sich online auszutauschen und im Umlaufverfahren zu beschließen, auf der Grundlage bestehender Satzungsbestimmungen bzw. des § 32 Abs. 2 BGB („Auch ohne Versammlung der Mitglieder ist ein Beschluss gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären“).

Weiterhin können wir nur raten, bei geplanten Satzungsänderungen moderne Kommunikationsformen für alle Organe aufzunehmen, siehe „Praxistipp“.

6. Praxistipp

Die Ergänzung des § 32 BGB um einen neuen Absatz 1a ist für die Arbeit von Vereinen und Stiftungen äußerst relevant. Allemal hilfreich ist die Regelung dahingehend, dass nunmehr kein Handlungsdruck besteht, die Bestimmungen zu Organsitzungen durch Satzungsänderungen bis Ende August zu modernisieren.

Ob allerdings die neuen Möglichkeiten hybrider Sitzungen dem einzelnen Verein oder der individuellen Stiftung genügen, hängt von deren jeweiligen Bedürfnissen ab. Der Entwurf fokussiert stark – sicherlich wegen der gesetzlichen Verankerung in § 32 BGB – auf die in der Regel jährlichen Mitgliederversammlung und vernachlässigt Sitzungen fakultativer Organe von Stiftungen. Vor allem den häufig tagenden Organen, z. B. Vorstandssitzungen von Vereinen und Stiftungen, wird die hybride Form nicht gerecht und bleibt hinter dem Bedarf von reinen Onlinemeetings ohne „Versammlungsort“ zurück. Denn: Ein Versammlungsort setzt nach bisheriger Praxis eine „Versammlung“, eine reale Zusammenkunft von zwei Organmitgliedern voraus. So lehrte es die Erfahrung mit Registergerichten bezgl. § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG. Will also ein zweiköpfiger Vorstand rein „online“ tagen, muss er auf eine Satzungsgrundlage zurückgreifen. Aber auch bei beispielsweise sechs Organmitgliedern müssen zwei Personen an einem Versammlungsort zusammenkommen, um anderen die Ausübung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zu erleichtern. Eine klare Bestimmung in der Stiftungs- oder Vereinssatzung, dass Sitzungen/Versammlungen (auch) ausschließlich als reine Onlinemeetings/im Wege elektronischer Kommunikation ohne Versammlungsort durchgeführt werden können, ist sicherlich die bessere Alternative zu einer in der praktischen Anwendung halbherzigen, jedenfalls aber unsicheren gesetzlichen Regelung.

Die Bundestagsdrucksache 20/2532 vom 1. Juli 2022 mit allen Anlagen finden Sie unter:

https://dserver.bundestag.de/btd/20/025/2002532.pdf

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