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Abkehr vom grundsätzlichen Ausschluss unzulässiger Doppelangebote?!

Die Vergabekammer Sachsen hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass durch die Neuregelung des § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A die Abgabe von mehreren Hauptangeboten grundsätzlich zulässig ist, auch wenn sich diese nur im Preis unterscheiden (VK Sachsen, Beschluss vom 18. August 2021 – 1/SVK/016-21 [IBR 2022, Seite 142]).

19.05.2022
1. Bisherige Rechtslage

Bislang wurde in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Abgabe mehrerer Hauptangebote nur unter bestimmten – engen – Voraussetzungen zulässig sei.

Neben der Grundvoraussetzung, dass der Auftraggeber parallele Angebote ausdrücklich zugelassen hat, war weitere Voraussetzung, dass sich die Angebote nicht nur im Preis, sondern vor allem auch in technischer Hinsicht unterschieden müssen. Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, handelte es sich nach dem bisherigen Verständnis um unzulässige Doppelangebote, die vom Wettbewerb auszuschließen sind (VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. Juni 2018 – 3 VK LSA 33/18 unter Verweis auf: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Oktober 2012 – Verg 34/12; OLG München, Beschluss vom 29. Oktober 2013 – Verg 11/13; VK Bund, Beschluss vom 29. Januar 2014 – VK 1-123/3; so auch zur alten Rechtslage: VK Sachsen, Beschluss vom 23 Juli 2019 -1/SVK/016-19).

Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Urteil vom 29. November 2016 in dem Verfahren X ZR 122/14 (Vorinstanz war das OLG Sachsen-Anhalt mit dem Urteil vom 27. November 2014 – 2 U 152/13) entschieden, dass die Einreichung paralleler Hauptangebote „nur in engen Grenzen statthaft ist“. Hierbei wurde auch ausgeführt, dass die Begründung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt bzw. der bisherigen Rechtsprechung für einen generellen Ausschluss von zwei Hauptangeboten, welche sich lediglich im Preis unterscheiden würden, nicht überzeuge.

Die als Ausschlussgrund herangezogene abstrakte Gefahr einer Manipulation des Vergabewettbewerbs dadurch, dass der Bieter nur eines seiner Angebote durch Nachreichung fehlender Unterlagen zuschlagsreif machen könne, sei kein spezifisches Problem der Einreichung mehrerer Hauptangebote, sondern könne sich prinzipiell genauso bei Einreichung einer einzigen Offerte ergeben. Deshalb bestünden Bedenken gegen die eher rechtspolitisch geprägte Befürwortung von Angebotsausschlüssen wegen der abstrakten Gefahr, Bieter könnten von den rechtlich zulässigen Möglichkeiten der Nachreichung von Erklärungen einen selektiven und damit unredlichen Gebrauch machen.

In der Sache hat sich der BGH aber zu diesem Punkt nicht abschließend geäußert. Die Kritik des BGH bezog sich auf die vorgenommene Begründung der Vorinstanz zum generellen Ausschluss von mehreren Hauptangeboten. Für den konkreten Fall waren die Ausführungen des BGH nicht entscheidungserheblich.

2. Entscheidung der VK Sachsen

Die VK Sachsen hat nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass durch die Neuregelung des § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A die Abgabe mehrerer Hauptangebote bei Bauvergaben grundsätzlich auch dann zulässig ist, wenn diese sich nur im Preis unterscheiden.

Damit ist eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, nach der preislich unterschiedliche, aber inhaltlich identische Angebote als vergaberechtlich unzulässige Doppelangebote auszuschließen sind, erfolgt.

In seiner Begründung hat die VK Sachsen auch auf ein Informationsschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Bau und Heimat vom 26. Februar 2020 verwiesen. In diesem Auslegungserlass des BMI wird ausgeführt:

„Die Abgabe mehrerer Hauptangebote ist grundsätzlich zugelassen.

Auch die Unterbreitung mehrerer Hauptangebote, die sich nur im Preis unterscheiden, ist nach Auffassung des BMI zulässig, solange keine belastbaren Anhaltspunkte für missbräuchliches Bieterverhalten vorliegen. Jedoch besteht, da die Abgabe mehrerer Hauptangebote in Gänze ausgeschlossen werden kann, erst recht die Möglichkeit, allein die Abgabe mehrerer Hauptangebote auszuschließen, die sich nur im Preis unterscheiden. Im Interesse der Gewährleistung eines effektiven Wettbewerbs ist von der Möglichkeit des Ausschlusses mehrerer Hauptangebote jedoch restriktiv Gebrauch zu machen.“

3. Einschränkung: unredliches Verhalten kann zum Ausschluss führen

Auch wenn für Bauvergaben nunmehr gilt, dass die Abgabe mehrerer Hauptangebote zulässig ist, muss nach Auffassung der Vergabekammer Sachsen aber in jedem Fall geprüft werden, ob die Abgabe mehrerer Hauptangebote nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt.

Im vorliegenden Fall hatte der Bieter zwei unvollständige Hauptangebote abgegeben und lediglich auf entsprechendes Nachfordern des Auftraggebers für das höhere Hauptangebot seine Unterlagen vervollständigt. Aufgrund der Kenntnis des Submissionsergebnisses wusste der Bieter, dass seine beiden Angebote die preislich günstigsten Angebote waren. Er hat sich dann ganz offenbar bewusst nur zur Vervollständigung des auf Rang 2 liegenden Hauptangebotes entschieden, um seinen Ertrag zu steigern und die Nachforderung für das billige Hauptangebot nicht bedient.

Hierin sah die VK Sachsen das unredliche Verhalten, welches im Ergebnis zum Ausschluss führte.

4. Ausblick

Nach der VOB/A 2019 sind mehrere Hauptangebote generell zugelassen. Es kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese Hauptangebote sich technisch unterscheiden müssen. Auch preislich unterschiedliche Hauptangebote können nicht per se ausgeschlossen werden.

Es obliegt dem Auftraggeber festzustellen, ob die Abgabe mehrerer Hauptangebote rechtsmissbräuchlich erfolgt.

Dem Auftraggeber kann dem Grunde nach nur angeraten werden, zukünftig mehrere Hauptangebote nur dann ausdrücklich zuzulassen, wenn sich diese in der fachlich technischen Ausführung unterscheiden.

Anderenfalls sollte von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht werden.

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