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Temporäre Senkung der Umsatzsteuersätze – Was ist jetzt zu tun?

Überraschend hatte die Regierungskoalition im Rahmen ihres Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets angekündigt, den Regelsteuersatz von 19 % auf 16 % sowie den ermäßigten Steuersatz von 7 % auf 5 % vorübergehend vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2020 zu senken. Inzwischen hat das Bundesministerium der Finanzen eine Formulierungshilfe für ein Zweites Corona-Steuerhilfegesetz vorgelegt. Die finale Beschlussfassung des Bundesrates zum Gesetzesentwurf erfolgt möglicherweise bereits am 26. Juni 2020. Damit wird die geplante vorübergehende Senkung der Umsatzsteuersätze voraussichtlich mit Wirkung ab 1. Juli 2020 in Kraft treten.

09.06.2020
I. Kurzfristiger Handlungsbedarf

Inzwischen hat das Bundesministerium der Finanzen eine Formulierungshilfe für ein Zweites Corona-Steuerhilfegesetz vorgelegt. Auf Basis der Formulierungshilfe werden die Koalitionsfraktionen einen Gesetzesentwurf einbringen. Wegen der Eilbedürftigkeit will sich das Bundeskabinett bereits am 12. Juni 2020 mit dem Maßnahmenpaket befassen. Die finale Beschlussfassung des Bundesrates zum Gesetzesentwurf erfolgt möglicherweise bereits am 26. Juni 2020. Damit wird die geplante vorübergehende Senkung der Umsatzsteuersätze voraussichtlich mit Wirkung ab 1. Juli 2020 in Kraft treten. Diese Änderung wird neben der bereits im Gesetzgebungsverfahren befindlichen befristeten Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für Speisen (vom 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021) gelten.

Angesichts der äußerst kurzen Zeitspanne besteht dringender Handlungsbedarf für alle umsatzsteuerlichen Unternehmer: zunächst sind zeitnah die technischen Voraussetzungen für die Umsetzung der befristeten Senkung der Umsatzsteuersätze zu schaffen. Zudem sind ggf. bereits vorab umsatzsteuerliche und zivilrechtliche Rechtsfragen zu klären, um umsatzsteuerliche Risiken zu vermeiden und den rechtlichen Handlungsrahmen zu kennen.

Obwohl sich die Finanzverwaltung noch nicht geäußert hat, ist insbesondere wegen der Kurzfristigkeit der Einführung ein Anwendungsschreiben zu wünschen bzw. erwarten, das auch Übergangs- und Vereinfachungsregelungen vorsieht. Bis dahin geben wir Ihnen nachfolgend – auf Basis des derzeitigen Kenntnisstands – einen Überblick über die von der Umsatzsteuersenkung betroffenen typischen Problembereiche, anhand derer der unternehmensindividuelle Handlungsbedarf eingeschätzt werden kann. Detailliertere Handlungsempfehlungen können nur für den jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung eines etwaigen BMF-Schreibens gegeben werden. Gern unterstützen wir Sie hier bei der erforderlichen Umstellung.

1. Geplant: sechsmonatige Senkung der Umsatzsteuersätze

  • befristete Senkung der Umsatzsteuersätze vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020
  • Regelsteuersatz von 19 % auf 16 %
  • Ermäßigter Steuersatz von 7 % auf 5 %

2. Betroffen: alle Unternehmen

  • Unternehmen, die umsatzsteuerpflichtige Ausgangsleistungen erbringen und/oder zum Vorsteuerabzug berechtigt sind
  • Unternehmen, die ausschließlich steuerfreie Umsätze erbringen, die den Vorsteuerabzug ausschließen (z. B. Krankenhäuser, Wohnungsimmobilienunternehmer, Kleinunternehmer)
  • Unternehmer, die als Leistungsempfänger die Steuer schulden (Reverse-Charge)

3. Entscheidend: Steuersatz im Zeitpunkt der Leistungserbringung

  • entscheidend: Zeitpunkt der Leistungserbringung (§ 27 Abs. 1 UStG), hier steckt der Teufel im Detail (Lieferzeitpunkt, Dauerleistungen, Werkleistungen etc.)
  • irrelevant: Entgeltvereinnahmung, Rechnungsdatum, Vertragsschluss
  • Leistungserbringung bis 30. Juni 2020 /ab 1. Januar 2021: 19 % oder 7 %
  • Leistungserbringung 1. Juli bis 31. Dezember 2020: 16 % oder 5 %

4. Risiko: falscher Zeitpunkt der Leistungserbringung

  • Ausgangsleistung:
    • irrtümlich zu hoher Umsatzsteuersatz: zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer wird gegenüber dem Finanzamt geschuldet (§ 14c UStG), ggf. zivilrechtlicher Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers, weil er zu viel Umsatzsteuer gezahlt hat
    • irrtümlich zu niedriger Umsatzsteuersatz: Nachzahlungsrisiko in Höhe der Steuersatzdifferenz, ggf. zivilrechtlicher Nachzahlungsanspruch gegenüber dem Leistungsempfängers – Frage der Durchsetzbarkeit
  • Eingangsleistung:
    • irrtümlich zu hoher Umsatzsteuersatz: kein Vorsteuerabzug in Höhe der Differenz
    • irrtümlich zu niedriger Umsatzsteuersatz: Nachzahlungsrisiko in Höhe der Steuersatzdifferenz
II. To do’s im Überblick

1. Identifizierung unternehmensspezifischer Themen

  • Bestimmung des richtigen Leistungszeitpunkts
    • insbesondere relevant bei Dauerleistungen, d.h. Leistungen, die über einen längeren Zeitraum erbracht werden (z.B. Miete, Leasing, Wartung, Strom, Mobilfunkanschluss, Lizenzen, Abonnements, etc.)
    • Handelt es sich um eine wiederkehrende, eine zu einem bestimmten Zeitpunkt endende Leistung oder ggf. Teilleistungen?
    • Werkleistungen und Werklieferungen
    • Zeitpunkt der Leistung bei Provisionen oft unsicher
  • Anzahlungen
    • Anzahlungen vor dem 1. Juli 2020 für die Leistungserbringung zwischen 1. Juli und 31. Dezember 2020 führen zu einer Berichtigung von 19% bzw. 7% auf 16% bzw. 5% für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung (§ 27 Abs. 1 S. 3 UStG).
    • Bei erhaltenen/geleisteten Anzahlungen für Dauerleistungen ist zu prüfen, ob sich im gesamten Leistungszeitraum der Steuersatz ändert.
    • Bei Steuererhöhungen räumte die Finanzverwaltung in der Vergangenheit – ohne gesetzliche Grundlage – zum Teil Vereinfachungsregelungen ein. Ob dies nun ähnlich sein wird, ist derzeit noch offen.
  • ggf. Anpassung von (Alt-)Verträgen, die als Rechnungen gelten, Anpassung von Dauerrechnungen
    • Liegen Brutto- oder Nettopreisvereinbarungen vor?
    • Gibt es zivilrechtliche Ausgleichsansprüche nach § 29 UStG?
    • Enthalten sonstige relevante Abrechnungspapiere, Daueraufträge etc. Angaben zur Umsatzsteuer?
    • Gibt es Daueraufträge für die Bezahlung /Einziehung?
  • Auswahl weiterer Einzelfragen:
    • Gutscheine
    • Pfandsysteme
    • Rückvergütungen (z.B. Jahresboni) und Skonti, Rabatte etc.
    • sonstige Änderungen der Bemessungsgrundlage (z.B. Forderungsausfall)
    • Rückgabe von Waren (Rücklieferung oder Rückgängigmachung der ursprünglichen Lieferung)
    • Lohnabrechnung bei Überlassung von Pkw an Mitarbeiter zur privaten Nutzung
    • Reisekostenabrechnung
  • ggf. kann die Senkung der Umsatzsteuersätze durch zeitliche Verschiebung von Transaktionen (Ein- oder Verkauf) in den Zeitraum der Umsatzsteuersenkung oder Vereinbarung größerer Leistungspakte genutzt werden
    • relevant für nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmen bzw. Unternehmen mit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Kunden (wie z. B. Immobilienunternehmen, Krankenhäuser und Pflegeheime, öffentliche Verwaltung, Privatkunden) und daher regelmäßig Bruttopreise vereinbaren

2. Technische Anpassungen im Auftrags- und Rechnungswesen

  • Anpassung der unternehmensindividuellen Kassen-, ERP- und Kontrollsysteme für sechs Monate
  • je nach System: ggf. zusätzliche temporäre Steuerschlüssel, Einrichtung gesonderter Buchhaltungskonten für Erlös- und Aufwandskonten (innergemeinschaftliche Erwerbe, Reverse-Charge-Verfahren und Einfuhrumsatzsteuer nicht vergessen)
  • Anbindung an die elektronische Übermittlung im Rahmen der Umsatzsteuer-Voranmeldungen (hier wird es geänderte Formulare bzw. gesonderte Kennzahlen geben)
  • Anpassung der Layouts der Rechnungen auf die neuen Steuersätze

3. Deutlich erhöhter Überwachungs-, Schulungsbedarf wegen der zu erwartenden Unsicherheiten und Fehleranfälligkeiten bei zwei Umstellungszeitpunkten

Über die weiteren Entwicklungen halten wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden.

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