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Sonstige Leistungen in den Hoheitsbereich unterliegen nicht der Entnahmebesteuerung? – Schlussanträge zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft – Teil 2

Ungeklärt ist derzeit insbesondere die Grundsatzfrage, ob das bisher vertretene deutsche Verständnis, wonach der Organträger Steuerpflichtiger und somit Steuerschuldner ist, mit dem Unionsrecht im Einklang steht. Sowohl der XI. Senat (XI R 16/18) als auch der V. Senat (V R 40/19) des BFH haben hierzu in zwei Verfahren den EuGH zur Vorabentscheidung angerufen. Inzwischen sind für beide Verfahren die Schlussanträge der Generalanwältin veröffentlicht worden.

10.05.2022

Unseren Newsbeitrag zum ersten Vorlageverfahren finden Sie hier.

In dem zweiten Verfahren, das der V. Senat des BFH dem EuGH vorgelegt hat, nimmt die Generalanwältin auch zu der weiteren Frage Stellung, ob unentgeltliche Leistungen aus dem Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen für den Bereich seiner Hoheitstätigkeit als unentgeltliche Wertabgaben zu besteuern sind (Az. C 269/20).

1. Ausführungen der Generalanwältin im Einzelnen

Im Schlussantrag zur Vorlage des V. Senats fasst die Generalanwältin zunächst ihre Ausführungen im parallelen Schlussantrag zum Vorlageverfahren des XI. Senats zusammen. Danach verstößt die deutsche Regelung gegen Unionsrecht, weil nur die herrschende Gesellschaft der Mehrwertsteuergruppe (Organträger) als der Steuerpflichtige der Mehrwertsteuergruppe bestimmt wird, während die anderen Mitglieder der Gruppe (Organgesellschaften) als nicht steuerpflichtig gelten.

Zudem wird zum Teil aus der Formulierung, „jedes Mitglied dieser Mehrwertsteuergruppe weiterhin selbständiger Steuerpflichtiger“ geschlossen, es seien zwischen den Gruppenmitgliedern scheinbar steuerpflichtige Umsätze möglich. Dies widerspräche allerdings dem bisherigen nationalen wie europäischem Verständnis, wonach es sich bei den Umsätzen innerhalb des Organkreises mangels Selbständigkeit um nicht steuerbare Innenumsätze handelt. Ob diese Interpretation tatsächlich beabsichtigt war und der EuGH dem folgen wird, bleibt nun abzuwarten.

Neben der Frage des „richtigen“ Steuerpflichtigen ging es bei der Vorlage des V. Senats zudem um die Frage, ob die umsatzsteuerrechtliche Organschaft auch den nichtwirtschaftlichen Bereich im engeren Sinn (Hoheitsbereich) umfasst. Konkret geht es um die umsatzsteuerliche Behandlung von Umsätzen der Tochterorgangesellschaft an den Organträger, einer Stiftung öffentlichen Rechts, die neben dem unternehmerischen Bereich (Klinikbetrieb) auch einen hoheitlichen Bereich (universitärer Lehrbetrieb) hat. Das Finanzamt hat die an den hoheitlichen Bereich erbrachten Reinigungsleistungen als Innenumsätze angesehen, aber aufgrund der Verwendung für unternehmensfremde Zwecke aber eine Entnahme unterstellt. Das Niedersächsische FG (Urteil v. 16. Oktober 2019 – 5 K 309/17) geht hingegen von einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit im engeren Sinne aus, so dass keine Entnahme vorliegt.

Dieser Auffassung ist auch die Generalanwältin und führt aus, dass die sog. Entnahmebesteuerung nur in Bezug auf den Bereich der „unternehmensfremden Zwecke“ Anwendung findet, d.h. auf Dienstleistungen, die der Steuerpflichtige für seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals erbringt. Dagegen sei die Entnahmebesteuerung nicht auf den Bereich der nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten im engeren Sinne, d.h. nicht auf die Hoheitstätigkeiten, anwendbar.

2. Praxishinweis

 Auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts, gemeinnützige Einrichtungen und gemischte Holdings bleibt somit spannend, ob und ggf. wie sich der EuGH zur Besteuerung von sonstigen Leistungen in den nichtwirtschaftlichen Bereich im engeren Sinne des Organträgers äußert.

Ob sich der EuGH den Ausführungen der Generalanwältin anschließt, bleibt abzuwarten. Sollte der EuGH den Schlussanträgen folgen, müsste sodann der BFH darüber entscheiden, welche Folgen sich für Deutschland ergeben und schließlich dieses Urteil des BFH durch die Finanzverwaltung auch über den entschiedenen Einzelfall hinaus allgemein angewandt werden. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Aufgrund des offenen Ergebnisses sollten gleichwohl zunächst entsprechende Umsatzsteuerfestsetzungen beim Organträger offengehalten werden (Einspruch, Vorbehalt der Nachprüfung). Zur Begründung genügt ein Verweis auf die o. g. anhängigen Verfahren beim EuGH.

Für Fragen rund um die umsatzsteuerliche Organschaft stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Sprechen Sie uns an.

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Doreen Adam

Partnerin, Steuerberaterin, Fachberaterin für das Gesundheitswesen (DStV e. V.)

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