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26.01.2022
Der EuGH hat bereits (EuGH, Urteil vom 17. September 2014 – Rs. C-7/13) entschieden, dass im Fall der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft der Organkreis (die sog. Mehrwertsteuergruppe) der Steuerschuldner ist. Steuerschuldner sind danach nicht die einzelnen Mitglieder des Organkreises, sondern das zivilrechtlich nicht existente Konstrukt der „Mehrwertsteuergruppe“. Ob dies jedoch zwingend bedeutet, dass es unionswidrig ist, wenn, wie im deutschen Recht, der Organträger zum Steuerschuldner bestimmt wird, ist umstritten. Vor diesem Hintergrund haben die jüngsten Ausführungen der Generalanwältin Medina im o. g. ersten Vorlageverfahren des XI. Senats des BFH erhebliche Sprengkraft.
In ihren Schlussanträgen vom 13. Januar 2022 (Rs. C-141/20) führt die Generalanwältin nunmehr aus, dass die Regelungen zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft es zwar gestatten, „eng miteinander verbundene Personen, die einer Mehrwertsteuergruppe angehören, für die Zwecke der Erfüllung der Mehrwertsteuerpflichten als einen einzigen Steuerpflichtigen anzusehen.“
Diese Bestimmung sei jedoch dahin auszulegen, „dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die nur das die Gruppe beherrschende Mitglied – das über die Mehrheit der Stimmrechte und über eine Mehrheitsbeteiligung am beherrschten Unternehmen in der Gruppe der steuerpflichtigen Personen verfügt [Organträger] – unter Ausschluss der übrigen Mitglieder der Gruppe als Vertreter der Mehrwertsteuergruppe und als Steuerpflichtigen dieser Gruppe bestimmt.“
Folgt der EuGH den Ausführungen der Generalanwältin, wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass sich für Unternehmer Vorteile ergeben können, weil durch entsprechende Gestaltung im Ergebnis eine Besteuerung der Umsätze der Organgesellschaften unterbleiben würde. Dem deutschen Staat drohen damit erhebliche Steuerausfälle: So wird vertreten, der Organträger könne eine Besteuerung der Umsätze der Organgesellschaften vermeiden, sofern er sich insoweit unmittelbar auf das für ihn günstigere Unionsrecht berufen würde. Denn nach dem Unionsrecht wäre er nicht Steuerpflichtiger für den Organkreis. Die Organgesellschaft könnte ihrerseits demgegenüber ihre Steuerschuldnerschaft mit Verweis auf das nationale Recht ablehnen, da nach den Regelungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes der Organträger Steuerpflichtiger ist. Schließlich scheidet nach bisherigem nationalen Recht auch eine „Organkreisbesteuerung“ als Gruppe aus, da der Begriff der Mehrwertsteuergruppe bisher nicht in nationalen Regelungen verankert ist und keine Anhaltspunkte für steuerliche Rechtsfolgen bietet. Im Ergebnis würden sich Organträger und Organgesellschaften jeweils auf die für sie günstigere Rechtsgrundlage berufen. Folge: Die Umsätze der Organgesellschaften blieben unbesteuert. Dieses Gedankenspiel hat u. E. einen Haken: Nach (ebenso umstrittenen) deutschem Recht muss die Organgesellschaft organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein, d. h. der Organträger muss seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen können. Der Organträger müsste mithin für sich sagen, er sei – nach Unionsrecht – nicht Steuerpflichtiger für die Umsätze der Organgesellschaft, während er für die Organgesellschaft die Auffassung vertreten würde, er sei – nach deutschem Recht – als Organträger Steuerpflichtiger für die Umsätze der Organgesellschaft. Diese Art der „Rosinenpickerei“ birgt u. E. den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens zum Nachteil des deutschen Staates in sich.
Ob sich der EuGH der Auffassung der Generalanwältin anschließt, bleibt abzuwarten. Ferner bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber mit der EuGH-Rechtsprechung umgeht.
Aufgrund des offenen Ergebnisses sollten zunächst entsprechende Umsatzsteuerfestsetzungen beim Organträger offengehalten werden (Einspruch, Vorbehalt der Nachprüfung). Zur Begründung genügt ein Verweis auf die o. g. anhängigen Verfahren beim EuGH.
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