Fachnews
BFH: Pflicht zur Lohnsteuerabführung in der Krise und persönliche Haftung des Geschäftsführers aus steuerlichen Haftungstatbeständen

Wird nach Stellung des Insolvenzantrags über das Vermögen einer GmbH ein vorläufiger Insolvenzverwalter unter Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts bestellt, verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Geschäftsführer der GmbH, damit auch die Pflicht zur Abführung von Abgaben. Werden diese nicht abgeführt, haftet er dafür persönlich (§§ 69, 34 Abgabenordnung). Der Geschäftsführer kann sich nicht allein mit der Behauptung entlasten, der vorläufige Insolvenzverwalter werde seine Zustimmung zur Abgabentilgung verweigern. Nach Ansicht des BFH ist der Geschäftsführer gehalten, den vorläufigen Verwalter in diesem Fall um Zustimmung zur Abgabentilgung zu bitten. Die Beweislast trägt der Geschäftsführer.

26.05.2020

1. Der Sachverhalt des BFH-Urteils

Der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 22. Oktober 2019, AZ: VII R 30/18) lag folgender Fall zugrunde: Eine GmbH, die rund 100 Arbeitnehmer beschäftigte, betrieb einen Autohandel. Sie nahm am 8. Februar 2013 eine elektronische Lohnsteueranmeldung für den Monat Januar 2013 vor. Die entsprechende Lohnsteuer, die am 11. März 2013 hätte gezahlt werden müssen, wurde nicht gezahlt. Die GmbH stellte am 7. März 2013 einen Insolvenzantrag. Daraufhin suchte ein Mitarbeiter der Kanzlei, die später den vorläufigen und endgültigen Insolvenzverwalter stellen sollte, den Geschäftsführer der GmbH auf und erläuterte das weitere Vorgehen. Am 8. März 2013 übersandte er dem Geschäftsführer eine E-Mail, in der er darauf verwies, dass noch am gleichen Tag eine vorläufige Verwaltung angeordnet werden würde und er „ab sofort keine Verfügungen (Barzahlungen, Überweisungen von Bankkonten, Barabhebungen etc. …) mehr ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters“ vornehmen dürfe. Das Insolvenzgericht ordnete dann auch am 8. März 2013 an, dass Verfügungen der GmbH nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Über das Vermögen der GmbH wurde daraufhin das Insolvenzverfahren eröffnet und der bisherige vorläufige Verwalter zum Insolvenzverwalter bestellt. Das zuständige Finanzamt meldete daraufhin die Lohnsteuer für den Januar 2013 zur Insolvenz-Tabelle an. Zur Tabelle festgestellt wurden daraufhin ca. EUR 30.000,00.

Das Finanzamt wandte sich nunmehr an den Geschäftsführer der GmbH und forderte von ihm persönlich die Zahlung des Betrages. Das Finanzamt berief sich dabei auf §§ 69, 34 Abgabenordnung (AO). Gemäß § 69 Satz 1 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Der Geschäftsführer habe als gesetzlicher Vertreter der GmbH zumindest grob fahrlässig die Pflicht verletzt, dafür zu sorgen, dass die Lohnsteuerschuld im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit entrichtet wurde. Der Geschäftsführer erhob gegen seine persönliche Inanspruchnahme Widerspruch. Den Widerspruch ließ das Finanzamt nicht gelten, verwies vielmehr darauf, dass die Insolvenzantragstellung und das vorläufige Insolvenzverfahren, welches eine vorläufige Verwaltung mit Zustimmungsvorbehalt vorsah, ohne Bedeutung für die persönliche Haftung des Geschäftsführers sei.

Der Geschäftsführer erhob daraufhin Klage. Das angerufene Finanzgericht verneinte ein Verschulden des Geschäftsführers und gab der Klage statt, da der vorläufige Insolvenzverwalter unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe, dass er die (Lohnsteuer-)Forderung nicht bedienen werde und eine diesbezügliche Anfrage des Geschäftsführers beim vorläufigen Verwalter daher sinnlos gewesen sei. Gegen diese Entscheidung ging nun wiederum das Finanzamt vor.

2. Die Auffassung des BFH

Der BFH stimmte dem Finanzamt zu und verwies die Sache zurück an das Finanzgericht, da dessen Feststellungen nicht ausreichen würden, um eine abschließende Entscheidung zu treffen. Er verwies darauf, dass der gesetzliche Vertreter einer GmbH hafte, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Insoweit treffe den Geschäftsführer einer GmbH die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen. Zahlungsschwierigkeiten der GmbH würden an jener Pflicht des Geschäftsführers nichts ändern. Auch werde dadurch nicht das Verschulden infrage gestellt. Würden die zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, um die Löhne und die Lohnsteuer zu zahlen, so dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den zurückbehaltenen Mitteln die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer abführen.

Allein durch die Insolvenzantragstellung sei der Geschäftsführer nicht daran gehindert gewesen, die Lohnsteuer abzuführen. Gleiches gelte für die Bestellung eines sogenannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters, denn auf diesen geht mit der Bestellung eben nicht die Verfügungsmacht über das Vermögen des späteren Insolvenzschuldners über. Zwar könnte fraglich erscheinen, ob im Fall der Bestellung eines schwachen vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt ein Verschulden entfällt, wenn der vorläufige Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt diese Zustimmung versagt. Jedoch könne dies dahinstehen, da der Geschäftsführer im vorliegenden Fall den vorläufigen Verwalter gar nicht befragt hat, ob er die fälligen Lohnsteuerzahlungen vornehmen darf. Auch könne dahinstehen, ob ein Verschulden schon entfällt, wenn der vorläufige Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt deutlich zu erkennen gegeben hat, dass er die Zustimmung nicht erteilen wird. Denn auch diese Situation liege hier nicht vor. Unbeachtet sei zudem, dass die Zahlung der Lohnsteuer der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterlegen hätte, das Finanzamt die Zahlung mithin nicht hätte behalten dürfen, denn ein solcher hypothetischer Kausalverlauf, der eine Rückerstattung der Zahlung berücksichtigt, sei nicht zu beachten.

3. Fazit

Dem Urteil des BFH ist nur teilweise zuzustimmen. Zutreffend dargetan ist zunächst die Pflicht des Geschäftsführers einer GmbH, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer zu sorgen. Auch ändert die Insolvenzantragstellung als solche nichts an dieser Pflicht. Die Bestellung eines vorläufigen Verwalters kann dieser Verpflichtung aber insoweit eine Grenze setzen, als dem Geschäftsführer damit die Verfügungsmacht über das Vermögen der GmbH (und damit auch die Verfügungsmacht über die Konten der GmbH) genommen wird. Dies ist jedenfalls so, wenn das Insolvenzgericht einen starken vorläufigen Verwalter bestellt. Im Fall der Bestellung eines schwachen vorläufigen Verwalters ist dies zwar nicht generell anzunehmen, wohl aber in dem Fall, in dem der Geschäftsführer für diese Zahlung die Zustimmung des Verwalters benötigt, dieser die Erteilung der Zustimmung aber ablehnt – denn in diesen Fallgestaltungen hat der Geschäftsführer es schlicht nicht in der Hand, die Steuern an das Finanzamt zu überweisen.

Fraglich erscheint es uns, ob der Geschäftsführer um die Erteilung einer Zustimmung auch nachsuchen muss, wenn es eigentlich auf der Hand liegt, dass der vorläufige Verwalter seine Zustimmung verweigern wird. Dies dürfte als reine Formalie nicht gefordert werden. Denn der vorläufige Verwalter ist in seiner amtlichen Stellung gehalten, das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Zahlung von Verbindlichkeiten anstehen, die nicht betriebsnotwendig und im anstehenden Insolvenzverfahren als Insolvenzforderungen einzustufen sind. Dies gilt umso mehr, wenn die Zahlung, die nun vorgenommen werden könnte, sofort nach Insolvenzeröffnung aufgrund der Regelungen der Insolvenzanfechtung angefochten werden muss und damit in die Masse zurück zu erstatten ist.

Auch wenn unserer Auffassung nach dieser BFH-Entscheidung mithin inhaltlich nicht zu folgen ist, ist sie in der Praxis gleichwohl zu beachten. Geschäftsführer sollten also auch im Fall der Bestellung eines vorläufigen Verwalters prüfen, ob sie ihrer Pflicht aus §§ 69, 34 AO ausreichend nachgekommen sind. Diese Pflicht umfasst nach der BFH-Rechtsprechung auch die (eigentlich überflüssige) Nachfrage bei dem vorläufigen Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt, ob die fällige Steuerzahlung erfolgen darf. Dem Geschäftsführer ist anzuraten, diese Anfrage schriftlich abzufassen und um eine schriftliche Beantwortung zu bitten (Nachweispflicht des Geschäftsführers).

Den Volltext des Urteils finden Sie hier.

Für Fragen rund um die Themen Geschäftsführerhaftung in der Krise oder Insolvenzanfechtung stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Sprechen Sie uns an.

Besuchen Sie auch unser Corona-Newsportal. Darin stellen wir kontinuierlich Neuigkeiten zu rechtlichen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen in der Corona-Krise für Sie zusammen.

Corona-Newsportal Wie Sie als Unternehmen die Krise meistern 

Wir beraten persönlich

Ihre Ansprechpartner
Prof. Dr. Ulf Gundlach
Prof. Dr. Ulf Gundlach

Partner, Rechtsanwalt, Staatssekretär a. D.

Dr. Almuth Werner
Dr. Almuth Werner

Partnerin, Rechtsanwältin

eureos Infoservice

Wir behalten den Überblick für Sie: Mit unserem multidisziplinären Newsletter informieren wir Sie einmal monatlich über aktuelle Fachthemen und senden Ihnen Einladungen zu unseren Fach- und Netzwerkveranstaltungen.

Jetzt anmelden