Es gibt mehrere Bewertungsverfahren, die bei der Bewertung des Grundbesitzes für Zwecke der Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuer angewendet werden können. Gemeinsam ist den verschiedenen Verfahren, dass der gemeine Wert als gesetzliche Bewertungszielgröße gem. § 177 BewG verwendet wird. Verbunden mit der verkehrswertnahen Bewertung ist die Öffnungsklausel des § 198 BewG, wonach der Steuerpflichtige die Option eines Verkehrswertnachweises hat. Mit dem Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz vom 16. Juli 2021 erließ der Steuergesetzgeber die Rechtsgrundlage für den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes. In ihren Erlassen vom 7. Dezember 2022 nahmen die obersten Finanzbehörden der Länder darauf Bezug.
1. Hintergrund
Kommt es infolge einer typisierten Wertermittlung (für unbebaute Grundstücke nach § 179 BewG bzw. für unbebaute Grundstücke nach §§ 182 bis 196 BewG) im Rahmen einer Immobilienbewertung für erbschaft- und schenkungssteuerliche Zwecke zu einem Wertniveau, welches den tatsächlichen gemeinen Wert des Bewertungsobjektes übersteigt, hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, auf die Öffnungsklausel des § 198 BewG zurückzugreifen.
2. Öffnungsklausel
Durch die Öffnungsklausel (sog. Escape-Klausel) kann der Steuerpflichtige den niedrigeren gemeinen Wert (Verkehrswert) nachweisen. Verkehrswert meint den durch den im Ermittlungszeitraum bestimmten Preis, der sich im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstandes der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse orientiert.
Die typisierte Wertermittlung kann unter Umständen erheblich von den tatsächlichen Verkehrswerten abweichen. Die Öffnungsklausel gibt dem Steuerpflichtigen deswegen die Möglichkeit, sämtliche bisher unberücksichtigte individuelle wertbeeinflussenden Umstände im Zuge eines Nachweises des niedrigeren Wertes darzulegen.
3. Verkehrswertnachweise
Der Steuerpflichtige hat die Pflicht, den niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen, eine bloße Darlegung genügt nicht. Nachweis meint die mit an Sicherheit grenzende Darlegung des individuellen Verkehrswerts. Dafür muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass die objektiven Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit richtig sind.
Gegenstand des Verkehrswertnachweises ist das komplette Bewertungsobjekt und mithin die komplette wirtschaftliche Einheit. Er kann entweder mithilfe eines Gutachtens durch einen Sachverständigen für die Grundstücksbewertung bzw. durch den Gutachterausschuss oder mithilfe eines stichtagsnahen Kaufpreises erfolgen.
4. Zulässige Gutachten in Konkurrenz zum stichtagsnahen Kaufpreis
Zur Erstellung eines solchen Gutachtens sind die nachfolgenden Personen berechtigt:
- Personen, die dem zuständigen Gutachterausschuss i. S. der §§ 192 ff. BauGB zugehörig sind,
- öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken,
- Personen, die nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierte Sachverständige sind.
Das Gutachten ist für die Feststellung des Grundbesitzes nicht bindend, sondern unterliegt der Beweiswürdigung durch das Finanzamt.
Stichtagsnaher Kaufpreis meint einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück. Voraussetzung ist, dass die maßgeblichen Verhältnisse für den Nachweis gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag unverändert sind. Maßgeblich für die jeweilige Jahresfrist ist das Datum des notariellen Kaufvertrages.
Ist der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts sowohl gleichzeitig mithilfe eines stichtagsnahen Kaufpreises als auch durch ein Sachverständigengutachten möglich, so ist für die Grundbesitzwertfeststellung stets der Kaufpreis vorzuziehen. Begründet wird diese Vorgehensweise nach Verwaltungsauffassung damit, dass der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr vereinbarte bzw. erzielte Kaufpreis den sichersten Anhaltspunkt für den gemeinen Wert bietet.
5. Fazit
Mit den gleichlautenden Ländererlassen tragen die obersten Finanzbehörden den Änderungen des § 198 BewG bezüglich des Verkehrswertnachweises bei der Bewertung von Grundbesitz Rechnung. Vor dem Hintergrund der Änderungen der Bewertungsparameter für Zwecke der erbschaft- und schenkungssteuerlichen Immobilienbewertung durch das Jahressteuergesetz 2022 ist davon auszugehen, dass der Verkehrsnachweis gemäß § 198 BewG an Bedeutung gewinnen wird.
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