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BGH: Vorauszahlungen als „verbotene Zahlungen nach Insolvenzreife“

Schon die Einzahlung eines vertraglich vereinbarten Vorschusses auf ein debitorisches Konto des Schuldners unterfällt dem Zahlungsverbot – unabhängig davon, ob der Schuldner die Zahlung dieses Vorschusses hätte durchsetzen können.

09.06.2020

1. Der Sachverhalt des BGH-Urteils (verkürzt)

Über das Vermögen einer Kommanditgesellschaft (KG) wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die KG betrieb eine Charterfluglinie. Sie vereinnahmte die entsprechenden Vorauszahlungen auf einem Geschäftskonto, das nicht ausgeglichen war. Der Insolvenzverwalter forderte von dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH aufgrund dieser Zahlungen auf das debitorisch geführte Konto eine Zahlung von ca. EUR 4 Mio. und berief sich auf eine persönliche Haftung des Geschäftsführers aufgrund der Verletzung des Zahlungsverbots bei Insolvenzreife (gemäß § 130 a Absatz 2 Satz 1 Fall 2 HGB). Während das Landgericht Hamburg dem Klageantrag folgte, wies das Oberlandesgericht Hamburg die Klage zurück. Letztlich wurde der Bundesgerichtshof (BGH) angerufen, den Rechtstreit zu entscheiden. Der BGH folgte wiederum dem Klageantrag des Insolvenzverwalters.

2. Die Argumente des BGH

Der BGH verwies in seiner Entscheidung (Urteil vom 11. Februar 2020, AZ II ZR 427/18) darauf, dass die (Voraus-)Zahlungen nach Insolvenzreife auf ein debitorisches Konto gelangten. Solche Zahlungen würde die verteilungsfähige Vermögensmasse der insolventen Gesellschaft zulasten ihrer Gläubiger schmälern, da die kontoführende Bank die Einzahlungen mit dem ausgereichten Kredit verrechnet. Der Einzug einer Forderung auf ein debitorisches Konto sei daher wirtschaftlich nicht anders zu bewerten als der Fall, in dem der Geschäftsführer einen erhaltenen Barbetrag verwendet, um eine Forderung der Bank zu befriedigen. Dies ergebe sich auch, wenn die Zahlung eine Vorauszahlung sei. Ohne Bedeutung sei es dabei, ob die (Voraus-)Zahlung auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten in die Masse gelangt wäre. Entscheidend sei vielmehr, dass der Geschäftsführer die Vorauszahlungen auf noch zu erbringende Flüge auf das debitorische Konto veranlasste. Habe der Geschäftsführer das für die Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung stehende Vermögen der GmbH aber geschmälert, hänge seine persönliche Ersatzpflicht nicht davon ab, ob der Vermögenswert, der Gegenstand der Zahlung ist, der insolventen Gesellschaft im Falle eines pflichtgemäßen Verhaltens zur Verfügung gestanden hätte. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Schutzzweck der insolvenzrechtlichen Zahlungsverbote (hier also § 130 a Absatz 2 Satz 1 HGB) auf die Erstattung derjenigen Mittel gerichtet ist, die aus dem Vermögen der insolventen Gesellschaft abgeflossen sind. Es gehe mithin nicht um den Ersatz eines Schadens.

3. Fazit und Praxishinweis

Das Thema „Zahlungsverbote“ hat nach wie vor eine hohe Relevanz. Insolvenzverwalter prüfen regelmäßig die Möglichkeit, durch die persönliche Inanspruchnahme der Geschäftsführer eine Massemehrung zu erzielen. Verstöße gegen das Zahlungsverbot können dabei auch wirtschaftlich erhebliche Beiträge zur Massemehrung leisten. Allerdings werden auch immer wieder Bedenken gegen dieses „scharfe Schwert des Insolvenzverwalters“ erhoben. Das OLG Hamburg hatte dementsprechend argumentiert, dass die insolvente Gesellschaft bei pflichtgemäßem Verhalten die Zahlungen gar nicht erhalten hätte: Denn die GmbH hätte, wenn sie nach Eintritt der Insolvenzreife einen Insolvenzantrag gestellt hätte, gar keinen Anspruch auf Vorschusszahlung gehabt, da es sicher gewesen sei, dass die geschuldete Gegenleistung, also die Durchführung der Flüge, nicht mehr erbracht wird. Auch hätten die Geschäftspartner der KG keine Zahlungen mehr geleistet, da die Insolvenzreife der Schuldnerin erkennbar geworden wäre. Diese Überlegungen des OLG Hamburg hat der BGH eindeutig zurückgewiesen. Dem BGH ist dabei zuzustimmen, dass die Zielrichtung des Zahlungsverbots gerade darin besteht, die Verminderung der Insolvenzmasse zu vermeiden. Die entsprechende Verpflichtung des Geschäftsführers kennt nur enge Ausnahmen.

Zwar greift das Zahlungsverbot nicht, wenn „die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar“ waren. Diese Ausnahme des § 130 a HGB (oder der entsprechenden Zahlungsverbote der § 64 GmbHG, §§ 92 Absatz 2, 93 Absatz 3 Nr. 6 AktG) soll aber ein tatsächliches pflichtgemäßes Handeln des Geschäftsführers privilegieren. Die Ausnahme hat daher eine ganz andere Zielrichtung und soll einen Fall der Pflichtenkollision oder die Möglichkeit einer Sanierung aufgreifen. Die Ausnahme greift mithin nicht, wenn der Geschäftsführer pflichtwidrig zum Nachteil bestimmter Personen handelt – und dabei faktisch der Hausbank wirtschaftliche Vorteile einräumt. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Zahlungsverbote nach wie vor eine strenge Haftung für jedes Mitglied der Geschäftsleitung vorsieht, das seiner Pflicht zur Insolvenzantragstellung nicht nachkommt.

Das Urteil im Volltext finden Sie hier.

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