Die Corona-Krise trifft auch die Ver- und Entsorgungslandschaft. Notwendig sind Maßnahmen zur Absicherung und Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit. Auch das Verhältnis zu Vertragspartnern ist tangiert. Für Ersteres gibt es Handlungsempfehlungen der Bundesbehörden und Erlasse der obersten Landesbehörden. Für Letzteres hat der Gesetzgeber mit Art. 240 § 1 EGBGB Sonderregelungen geschaffen. Der Beitrag erläutert die Konsequenzen und zeigt Handlungsoptionen auf.
Strom, Gas, Wasser, Abwasser, Abfall, Telekommunikation – vor allem Privathaushalte (ver-)brauchen in diesen Zeiten mehr denn je. Die Sicherstellung der Ver- und Entsorgung in diesen Bereichen wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Im Fokus der Medien und auch der Gesetzgebung stehen primär die Abnehmer, d. h. Privatpersonen und Unternehmen. Was aber bedeutet das eigentlich für die Ver- und Entsorger? Vorweggenommen werden kann Folgendes: Deren Mehraufwand ist enorm!
O. g. Bereiche sind den kritischen Infrastrukturen (KRITIS) zuzuordnen, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als wesentlich angesehen werden. Die Sicherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit ist daher prioritär, wird aber durch die aktuelle Situation erheblich beeinflusst.
1. Organisatorische Maßnahmen
Die einleitend erwähnten behördlichen Empfehlungen und Erlasse, z. B. für die Wasserver- und Abwasserentsorgung, verlangen eine Identifikation der Schlüsselprozesse, ein Krisenmanagement für den Anlagenbetrieb, Personalorganisation und Kundenbetreuung. Organisationshandbücher mit Notfallkonzepten im Katastrophenfall und hierzu bereits geschulte Mitarbeiter erweisen sich nun als hilfreich und erleichtern die Umsetzung.
Die Definition von Phasen mit unterschiedlich intensiven Folgen sind dort idealerweise bereits vorformuliert. Abgestufte Maßnahmen zur Risikoreduzierung des Totalausfalls bei einer Infektion von Mitarbeitern, z. B. durch Aufteilung der Belegschaft in ggf. wechselnden Teams, müssen so nicht erst neu entwickelt werden.
In besonderem Maße ist die Leitungsebene gefragt. Sie hat auch für ausreichend Materialvorräte und deren Lagerung zu sorgen. Eine gesteigerte Beobachtung der Verbrauchsentwicklung sowie von möglichen Störungen ist wesentlich. Schließlich ist für Wechselwirkungen mit anderen Versorgungsbereichen Vorsorge zu treffen. Dies betrifft z. B. die Klärschlammentsorgung, wenn die Stromkapazitäten der Verbrennungskraftwerke nicht ausreichen. Hier sind frühzeitig alternative Entsorgungswege zu sichern. Ansonsten drohen empfindliche Geldbußen, u. a. aus umweltrechtlichen Vorschriften. Auch kann dies haftungsrelevant werden.
Die gesteigerten Organisationsanforderungen führen zu einem erhöhten finanziellen Aufwand. Hinzu kommt, dass mit einem Anstieg von Forderungsausfällen zu rechnen ist, da Kunden nicht zahlen können. Bei privatrechtlich gestalteten Lieferbeziehungen beeinflussen die sogleich noch zu erläuternden zivilrechtlichen Sonderregelungen die Liquidität der Ver- und Entsorger zusätzlich, zumindest vorübergehend. All dies kann zu einer Abweichung von den Kalkulationsgrundlagen führen. Tarifsteigerungen in der Zukunft wären daher nicht verwunderlich.
2. Leistungsstörungen
Ein wesentlicher weiterer Aspekt sind mögliche Leistungsstörungen. Entscheidende Bedeutung dürften der Verschuldensfrage und der Beweislastverteilung zukommen.
Auf Seiten der Ver- und Entsorger
Auf Unternehmensseite zeigt sich eine Störung vor allem, wenn die Versorgung unterbrochen werden muss. Dies kann im Zusammenhang mit der Krisensituation unterschiedliche Gründe haben. Zwangsläufig stellen sich hier Rechtsfragen vor allem zu Entgelt- und Schadensersatzforderungen:
Führt z. B. die Unterbrechung wegen Ausschöpfung vorhandener Kapazitäten dazu, dass auch der Grundtarif für die Vorhalteleistung nicht mehr gefordert werden kann? Zumindest für den Zeitraum der durch die Kapazitätsausschöpfung vollständig unterbrochenen Belieferung dürfte das zu bejahen sein. Dann jedoch bedarf es einer letztlich mindestens taggenauen anteiligen Berechnung.
Was ist, wenn organisatorische Maßnahmen die Kapazitätserschöpfung hätten verhindern können? Im Bereich der privatrechtlichen Gestaltung der Kundenverhältnisse stellt sich sofort die Frage der Beweislastverteilung. Im Streitfall wird den Versorger letztlich die sekundäre Beweislast treffen und er wird sich entlasten müssen, alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen zu haben. Gelingt dies nicht, stehen zudem Schadensersatzansprüche von Kunden im Raum.
Was ist, wenn Störungen auf ein unsachgemäßes Verhalten der Kunden zurückzuführen ist? Z. B. werden in Abwasserentsorgungsanlagen zunehmend unzulässige Partikel gefunden, die die Anlagen verstopfen. U. a. werden Feuchttücher als Alternative zum derzeit raren Toilettenpapier genutzt. Wer genau die unzulässige Einleitung vorgenommen hat, wird in den wenigsten Fällen nachweisbar sein, sodass Schadensersatzforderungen gegen Kunden ins Leere laufen. Umgekehrt werden sich ggf. die Entsorger entlasten müssen, dass die Störung nicht durch sie verursacht wurde. Sie sind deshalb gut beraten, solche Vorfälle beweisgeeignet zu dokumentieren.
Auf Seiten der Kunden
Auf Kundenseite werden primär fehlende Zahlungseingänge relevant sein. Verzug und Schadensersatz wären die Folgen. Die meisten Versorger verzichten, für die Zeit der Gültigkeit der Allgemeinverfügung, bereits von sich aus auf Mahn- und Vollstreckungsmaßnahmen. Was aber passiert danach?
Für privatrechtliche Leistungsbeziehungen regelt Art. 240 § 1 EGBGB für sog. wesentliche Dauerschuldverhältnisse, die bereits vor dem 8. März 2020 bestanden, ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht. Es steht Verbrauchern und Kleinstunternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme bis zu EUR 2 Millionen zunächst bis zum 30. Juni 2020 zu, wenn sie infolge von Umständen, die auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind, ihre Zahlungen nicht oder zumindest nicht existenzgefährdend erbringen können. Die Vorschrift ist zwingend (Art. 240 § 1 Abs. 5 EGBGB).
Es handelt sich um eine Einrede. Kunden müssen sich also hierauf berufen und die Voraussetzungen darlegen und beweisen. Sie müssen begründen, dass sie zur Zahlungsverweigerung berechtigt sind, insbesondere dass der Liquiditätsengpass auf Corona beruht. Die Versorger sollten eine plausible Begründung akzeptieren, um sich nicht selbst angreifbar zu machen. Aus Beweissicherungsgründen sollte eine schriftliche Begründung gefordert werden. Detaillierte Nachweise sollten nur in Zweifelsfällen vorzulegen sein. Im Übrigen kann das nachgeholt werden. Es ist aber zu empfehlen, die Anerkennung des Leistungsverweigerungsrechtes unter den Vorbehalt der Nachforderung von Nachweisen zu stellen.
Auch bei berechtigt erhobener Einrede entfällt die Zahlungspflicht nicht. Sie wird lediglich hinausgeschoben und der Verzugseintritt wird gehemmt. Mit Ablauf des Stichtages 30. Juni 2020 lebt sie wieder auf, d. h. im Zweifel sind dann alle Forderungen auf einmal zu zahlen. Es ist damit zu rechnen, dass die Kunden dies mehrheitlich nicht werden leisten können. Ratenzahlungsvereinbarungen sind dann das Mittel erster Wahl. Eine konkretisierte Begründung und Nachweise für den Liquiditätsengpass können nun nachgefordert werden. Eine pünktliche Ratenzahlung kann mit Zinsnachlässen belohnt werden. Dies dürfte zumindest bis zur Höhe des Refinanzierungszinses unproblematisch, hinsichtlich der Zinsen insgesamt zumindest vertretbar, kommunalrechtlich zulässig sein. Darüberhinausgehende Zugeständnisse sind dagegen kritisch. Wird der Nachweis der coronabedingten Liquiditätsschwäche nicht erbracht, muss notfalls die Forderung zzgl. Zinsen oder entstandenem Zinsnachteil eingeklagt werden. Dies sollte zeitnah geschehen, um dem Einwand der Verwirkung zu entgehen.
3. Fazit
Ver- und Entsorger müssen spätestens jetzt ein Krisenmanagement entwickelt haben. Zu ihrem eigenen Schutz sollte dies, sowie jegliche krisenbedingten besonderen Vorfälle und Zusatzaufwendungen, beweissicher dokumentiert werden. Dies gilt vor allem bei privatrechtlicher Gestaltung der Leistungsbeziehungen. Im Bereich Kundenbetreuung tätige Mitarbeiter sollten zum Umgang mit dem Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 240 § 1 EGBGB geschult sein. Größere Unternehmen können sich nicht darauf berufen. Sie könnten aufgrund einer behaupteten Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) aber ggf. ähnliche Folgen im Wege der Vertragsanpassung fordern. Dem könnte durch Ratenzahlungsvereinbarungen oder andere individuelle Lösungen zuvorgekommen werden.
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