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Sozialversicherungsrechtlicher Status eines Stiftungsvorstandes

Die entgeltliche Tätigkeit eines Stiftungsvorstandes kann eine abhängige und damit sozialversicherungs-rechtliche Beschäftigung darstellen. Die Abgrenzungskriterien einer solchen von einer selbstständigen Tätigkeit hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) in seinem Urteil vom 27. Februar 2019 herausgearbeitet. Das LSG NRW präzisiert damit die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Sozialversicherungspflicht ehrenamtlich tätiger Organmitglieder, die eine Aufwandsentschädigung erhalten.

24.08.2020

1. Der Fall des LSG NRW

Klägerin war eine gemeinnützige selbständige Stiftung bürgerlichen Rechts, mit einem dreiköpfigen Stiftungsvorstand. Gegenstand des Rechtsstreits gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund als Beklagte war die Versicherungspflicht eines Vorstandsmitgliedes (Zeit 2010-2016) im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens.

Zu dessen Zuständigkeit gehörte die strategische Ausrichtung der Klägerin, die Kapitalanlage des Stiftungsvermögens, die Budgetplanung, der Jahresabschluss und der Geschäftsbericht, das Projekt-Controlling und die laufende Bearbeitung der Förderanträge. Das Vorstandsmitglied machte sich in der Regel vor Ort ein Bild über die angefragte Projektförderung (z.B. Besuch von Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Altenheime und Universitäten), wichtige Termine nahm der gesamte Vorstand wahr. Mit den weiteren Vorstandsmitgliedern nahm das Vorstandsmitglied in der Gesellschafterversammlung der GmbH die Gesellschafterrechte wahr.

Der Vorstand traf sich an drei festen Tagen in der Woche. Bei längerer Verhinderung erfolgte die Vertretung durch die anderen beiden Vorstände. Die Klägerin beschäftigte in den Streitzeiträumen eine Mitarbeiterin für administrative Arbeiten, die auf Weisung der Vorstandsmitglieder tätig wurde.

Laut Satzung ist der Vorstand ehrenamtlich tätig; er erhielt eine Aufwandsentschädigung zu einem Stundensatz i.H.v. EUR 75, unter Berücksichtigung des Umfangs der geförderten Projekte und des erforderlichen Tätigkeitseinsatzes unter Abgeltung aller geleisteten Stunden.

Zur Begründung, dass es sich nicht um eine abhängige Beschäftigung handele, führte die Stiftung aus, dass das Vorstandsmitglied nicht an feste Arbeitszeiten gebunden sei, die gewährte Vorstandsvergütung eine Aufwandsentschädigung darstelle und keine Pflicht zur Zeiterfassung bestehe. Der Vorstand sei weder weisungsgebunden, noch sei er irgendjemandem gegenüber rechenschaftspflichtig – ein Kontrollorgan war in der Stiftung nicht installiert. Außer der Bindung an die Stiftungssatzung und das Stiftungsgesetz sei er in der Erfüllung seiner Aufgaben frei.

2. Die Entscheidung des LSG NRW

Selbständige Tätigkeit, Beschäftigungsverhältnis oder Ehrenamt

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV, d.h. nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers, so der Gesetzestext.

Grundlage der Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit sind regelmäßig die zwischen den Beteiligten getroffenen bzw. den danach für diese geltenden Vereinbarungen (in diesem Fall: Satzung, Geschäftsordnung des Vorstandes und Vorstandsbeschlüsse). Auf dieser Grundlage ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der abhängigen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen. Besondere Umstände können zu einer abweichenden Beurteilung führen. Ausdrücklich gelten diese Grundsätze auch für die Organe juristischer Personen des Privatrechts.

Ehrenamtlich Tätige erfahren seit der Rechtsprechung des BSG aus dem Jahr 2017 eine besondere rechtliche Betrachtung: Ehrenämter sind in der gesetzlichen Sozialversicherung trotz Zahlung einer angemessenen, pauschalen Aufwandsentschädigung, grundsätzlich beitragsfrei, solange sie allein Ausfluss der organschaftlichen Stellung einer ein Ehrenamt ausübenden Person und nicht auch für jedermann frei zugänglich seien (Gremienarbeit, Repräsentationsaufgaben). Der sozialversicherungsfreie Bereich des organschaftlichen Aufgabenkreises werde aber verlassen, wenn z.B. operative geschäftsführende Tätigkeiten ausgeübt werden (unser Beitrag vom 8. November 2017).

3. Weitere Präzisierungen des LSG NRW

Das LSG NRW legte diese BSG-Rechtsprechung auf und erklärte explizit, dessen Kriterien zu präzisieren. Seiner Prüfung legte das LSG NRW sechs Kriterien zugrunde:

  • Ausübung von Geschäftsführungsaufgaben über die organschaftlichen Funktionen hinaus
  • Weisungsgebundenheit bei dieser Ausführung und
  • Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Stiftung
  • Vorliegen wesentlicher Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit (eigene Betriebsstätte, wesentliches unternehmerisches Risiko)
  • Objektivierbare Prägung der Tätigkeit als Verfolgung ideeller Zwecke und ohne Erwerbsabsicht (unentgeltlich)
  • Gesamtabwägung

Insbesondere mit der Weisungsgebundenheit und einer Erwerbsabsicht des betreffenden Vorstandsmitglieds setzte sich das Gericht eingehend auseinander.
Das LSG NRW kommt danach zu dem Ergebnis, dass das Vorstandsmitglied im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig geworden ist:

  1. Der Aufgabenkatalog des Vorstandes gehe deutlich über Repräsentationsaufgaben hinaus und umfasse wesentliche Bereiche der operativen Geschäftstätigkeit.
  2. Das Vorstandsmitglied sei weisungsgebunden tätig geworden, da es nicht über rechtliche Möglichkeiten verfügt habe, nicht genehme Weisungen des Vorstandes zu verhindern (Erfordernis einfache Stimmenmehrheit im Vorstand = Überstimmung durch die anderen Vorstandsmitglieder, Vetorecht nur des Vorstandsvorsitzenden). Es habe die Stiftung auch nicht alleine im Rechtsverkehr vertreten können (lediglich Gesamtvertretungsbefugnis des Vorstandes; erteilte Befreiung von § 181 BGB daher unerheblich). Diese Weisungsgebundenheit entspreche der sich aus § 86 Satz 1 BGB i. V. m. §§ 27 Abs. 3, 665 BGB ergebenden Weisungsgebundenheit des Stiftungsvorstandes, so das Gericht weiter. Auch aus den konkreten Aufgaben in der Satzung ergebe sich die Weisungsgebundenheit, z.B. durch die Pflicht zum Aufstellen eines Wirtschaftsplanes (= generelle Weisung) und einer Jahresrechnung (= gewissenhafte Kontrolle der Tätigkeit einzelner Vorstandsmitglieder). Hingegen spreche das Fehlen einer Weisungsgebundenheit hinsichtlich Arbeitszeit und -ort nicht gegen die Annahme einer Weisungsgebundenheit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Vielmehr liege bei der leitenden Funktion des Vorstandsmitglieds eine sog. Verfeinerung der Weisungsgebundenheit zu einer „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ vor.
  3. Aufgrund der konkreten Arbeitsweise des Vorstandes gemäß den Vorgaben der Satzung und der Geschäftsordnung (Gesamtvertretung, Urlaubsabstimmung, gemeinsame auswärtige Termine bzw. abgestimmte Terminwahrnehmung des einzelnen Vorstandsmitglieds, wöchentlich mehrfache Sitzungen) sei das Vorstandsmitglied auch „funktionsgerecht dienend“ – zudem mit operativen Aufgaben – in eine fremde Arbeitsorganisation, die der Stiftung als juristische Person des Privatrechts, eingegliedert.
  4. Finanzielle Zuwendungen sind mit dem Wesen des Amtes als Ehrenamt nur dann vereinbar, wenn ihr Charakter als Aufwendungsersatz, Aufwandsentschädigung oder Verdienstausfallersatz unmissverständlich zum Ausdruck kommt (Satzung, Geschäftsordnung, Organbeschlüsse) und die entsprechenden Zahlungen damit in Einklang stehen. Im vorliegenden Fall sprachen insbesondere die Art der Berechnung der Vergütung und ihre Höhe gegen eine ehrenamtliche Tätigkeit. Die tatsächlich gewährten Zuwendungen stellten weder Ersatz tatsächlicher entstandener Aufwendungen noch Ersatz entgangenen Verdienstes dar. Die Vorstandsmitglieder erhielten über die Erstattung von Aufwendungen hinaus eine hohe Vergütung ihres Zeitaufwandes zwischen jährlich EUR 20.000 – 60.000. Diese Zahlungen stellten auch keinen Ersatz entgangenen Verdienstes dar.

In der Gesamtabwägung sprachen daher die deutlich überwiegenden Gesichtspunkte für eine abhängige Beschäftigung.

4. Fazit für die Praxis

Eine Vorstandstätigkeit, die lediglich auf einer Organstellung beruht (Gremienarbeit, Repräsentation), führt nicht zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gemäß § 7 SGB IV. Werden aber darüberhinausgehende Tätigkeiten übernommen, müssen zusätzlich die Voraussetzungen eines (weiteren) Beschäftigungsverhältnisses geprüft werden. Wegen der Besonderheiten des deutschen Stiftungsrechts ist diese Schwelle in das operative Geschäft bei Stiftungsvorständen schnell überschritten, denn gesetzlich vorgesehen ist allein das Organ Vorstand, nicht aber auch ein Willensbildungs- und Kontrollorgan. Soll auch bereits die Aufstellung eines Wirtschaftsplans und einer Jahresrechnung Ausdruck einer Weisungsgebundenheit sein, gemeinsam mit den für Organe juristischer Personen übliche Mehrheitsentscheidungen, ist die abhängige Beschäftigung nach diesen Kriterien quasi gesetzt.

Neben der Gesamtabwägung erhält damit die vom BSG eingeführte und nun vom LSG NRW fortgeführte Abgrenzung „unentgeltlich“ (nicht mit Erwerbsabsicht) ausgeübter Vorstandstätigkeit besondere Relevanz. Die Zahlung einer Aufwandsentschädigung ist zunächst kein Hindernis, allerdings darf diese kein verdecktes, marktübliches Honorar darstellen (verdeckte Entlohnung einer Erwerbstätigkeit). Wie schon das BSG vermeidet es nun auch das LSG, feste Obergrenzen für ehrenamtsunschädliche Zuwendungen festzulegen. Vielmehr führt es für den Einzelfall Auslegungshilfen an, an denen sich die Stiftungspraxis künftig orientieren kann, z. B. die Ehrenamts- oder die Übungsleiterpauschale des § 3 Nr. 26 bzw. 26a EStG oder die Vergütungsobergrenzen des Umsatzsteuergesetzes (Entschädigung in Höhe von bis zu EUR 50 je Stunde bis zu einer Gesamtsumme von insgesamt 17.500 EUR pro Jahr, § 4 Nr. 26b) UStG). Weitere Hinweise gibt das Gericht auf Aufwandsentschädigungen eines Vorsitzenden des Vorstands bzw. des Verwaltungsrates eines Sozialversicherungsträgers mit bis zu 50.000 Versicherten (das 2 bis 4fache des einfachen Satzes von 70 EUR pro Sitzungstag, d.h. maximal 280 EUR pro Sitzungstag) bzw. einen ersten stellvertretenden Bürgermeister einer Stadt von 50.001 bis 150.000 Einwohnerinnen und Einwohnern von monatlich 1.600 EUR. Einzelheiten dazu entnehmen Sie bitte dem Volltext des Urteils vom 27.2.2019 – Az. L 8 R 398/17

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, unter Az. B 12 R 15/19 R ist Revision zum Bundessozialgericht eingelegt.

Im Ergebnis bleibt – nicht nur wegen der letztlich ausschlaggebenden Gesamtbetrachtung – festzuhalten, dass für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung stets die sehr konkreten Umstände des Einzelfalls zu betrachten sind.

Für Fragen zu den Themenbereichen Stiftung, Stiftungsorgane und Sozialversicherungspflicht stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Sprechen Sie uns an.

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Dr. Almuth Werner
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Nicole Jochheim
Nicole Jochheim

Senior Associate, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Fachanwältin für Sozialrecht

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