Für Aufregung hatte das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. April 2015 (AZ: L 7 R 60/12) gesorgt, mit dem eine Notarzttätigkeit auf Honorarbasis als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eingestuft wurde. Hierauf hatte der Gesetzgeber im Jahr 2017 reagiert und für die Honorar-Notärzte im Rettungsdienst angeordnet, dass die Einnahmen in der gesetzlichen Sozialversicherung nicht beitragspflichtig sind. Nun hat das Landessozialgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 16. September 2020 (AZ: L 5 BA 51/18) erneut zur Sozialversicherungspflicht eines Notarztes entschieden.
Die Entscheidung
Der klagende Arzt war hauptberuflich selbstständig niedergelassen und übernahm für verschiedene Auftraggeber, darunter ein Landkreis, Bereitschaftsdienste als Notarzt. Der Arzt und der Auftraggeber hatten ein festes Honorar je Bereitschaftsstunde und je Einsatz vereinbart. Es erfolgte eine Einbindung des klagenden Notarztes in den Schichtplan des Kreises. Der Einsatz des Notarztes erfolgte auf Anforderung der Rettungsleitstelle während der Bereitschaftszeiten. Das Notarztfahrzeug stellte der Kreis zur Verfügung.
Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein stufte den Notarzt als sozialversicherungspflichtig ein, weil er in die Organisationsstruktur des Landkreises eingebunden sei. Der Notarzt unterliege der fachlichen Aufsicht des ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes und könne einzelne Aufträge innerhalb seiner Schicht nicht ablehnen. Für maßgebend erachtete das Gericht ferner, dass der Notarzt auf das Notarztfahrzeug des Kreises zurückgriff. Weniger schwer wiege – so das Gericht -, dass der Arzt vor Ort hinsichtlich der medizinischen Fragen keinen Weisungen unterliege, weil dies der Therapie- und Behandlungsfreiheit eines jeden Arztes geschuldet sei.
Zum Kontext
Die Entscheidung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein liegt ganz auf einer Linie mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Mit Urteil vom 4. Juni 2019 (u. a. B 12 R 11/18 R) hatte das Bundessozialgericht schon die Honorarärzte in Krankenhäusern als sozialversicherungspflichtig eingestuft.
Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG)
Die Entscheidung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein verwundert auf den ersten Blick dennoch, hat doch der Gesetzgeber im Jahr 2017 die Beitragsfreiheit in der gesetzlichen Sozialversicherung für die Honorar-Notärzte im Rettungsdienst beschlossen.
Der Gesetzgeber hat mit dem HHVG die Honorar-Notärzte demgegenüber nicht von der Sozialversicherungspflicht allgemein ausgenommen oder wie in anderen Berufsgruppen Befreiungsmöglichkeiten für die Honorar-Notärzte geschaffen. Er hat für sie lediglich angeordnet, dass die Einnahmen aus der Tätigkeit als Notärztin oder Notarzt unter bestimmten Voraussetzungen nicht der Beitragspflicht unterliegen.
Die Kriterien
Nach § 23 c Abs. 2 SGB IV unterliegen die Einnahmen aus Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst nicht der Beitragspflicht,
- wenn diese Tätigkeiten entweder neben einer anderen Beschäftigung außerhalb des Rettungsdienstes im Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich erfolgen oder
- wenn die Notärztin oder der Notarzt einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt nachgeht oder als Arzt in privater Niederlassung tätig ist (sog. Zusätzlichkeit).
Die Beitragspflicht besteht demnach fort, wenn der Beruf des Notarztes im Rettungsdienst hauptberuflich ausgeübt wird. In diesem Fall ist das Kriterium der Zusätzlichkeit nicht erfüllt.
Ferner legt der Gesetzeswortlaut Wert darauf, dass die (anderweitige) Haupttätigkeit außerhalb des Rettungsdienstes erfolgt. Die Beitragspflicht entfällt folglich nicht, wenn der Notarzt für mehrere verschiedene Auftraggeber im Rettungsdienst als Notarzt tätig ist.
Die anderweitige Tätigkeit muss außerdem einen gewissen Umfang, nämlich mindestens 15 Stunden wöchentlich, umfassen.
Interessant ist die Beurteilung der Frage, wie die Beitragspflicht zu beurteilen ist, wenn Notärzte bei ein und demselben Auftraggeber verschiedene Tätigkeiten ausüben. Dies betrifft insbesondere Ärzte in Krankenhäusern, die durch Arbeitsvertrag verpflichtet sind, Rettungsdienste zu übernehmen. Wendet man hierbei die Rechtsprechung zum einheitlichen Beschäftigungsverhältnis an, läge in der Tätigkeit des Notarztes im Rettungsdienst keine anderweitige Beschäftigung bezogen auf die Krankenhaustätigkeit vor. Allerdings unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Tätigkeit und Beschäftigung. Dies spricht wiederum dafür, dass auch beim selben Arbeitgeber zum einen eine Krankenhaustätigkeit und zum anderen eine Tätigkeit als Notarzt im Rettungsdienst ausgeübt werden kann. In diesem Fall wären die Einnahmen für die Notarzttätigkeit nicht zu verbeitragen.
Die Vorschrift ist außerdem ausdrücklich auf Notärztinnen und Notärzte im Rettungsdienst beschränkt. Eine analoge Anwendung für Honorar-Notärzte in Krankenhäusern oder für Rettungssanitäter scheidet wegen des eindeutigen Wortlautes der Vorschrift aus.
Fazit
Nach der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung wird es dabei verbleiben, dass Honorar-Notärzte als sozialversicherungspflichtig eingestuft werden. Sind jedoch die gesetzlichen Vorgaben des § 23 c Abs. 2 SGB IV erfüllt, unterliegen die Einnahmen aus der Tätigkeit als Notarzt im Rettungsdienst nicht der Beitragspflicht. Meldepflichten bestehen in diesem Fall nicht.
Die Vorschrift gilt allerdings nicht rückwirkend. Nach der Übergangsregelung des § 118 SGB IV gilt § 23 c Abs. 2 SGB IV nicht für Einnahmen aus einer vor dem 11. April 2017 vereinbarten Tätigkeit als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst. Daher gibt es Anlass, jedenfalls Verträge, die vor dem 11. April 2017 datieren, erneut abzuschließen. Eine inhaltliche Änderung ist hierbei nach derzeitigen Erkenntnissen nicht erforderlich.