Der BFH ändert seine bisherige Rechtsprechung in zwei wesentlichen Punkten: Erstens gibt er seine Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen ohne unmittelbaren Zusammenhang zu entgeltlichen, steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen auf. Zweitens verneint er die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe, wenn kein unversteuerter Letztverbrauch droht.
BFH Urteil vom 16. Dezember 2020, AZ: XI R 26/20 (Änderung der Rechtsprechung)
Mit seinem Urteil setzt der BFH die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Mitteldeutsche Hartstein-Industrie“ (EuGH, Urteil vom 16. September 2020, AZ: C-528/19) um. Nunmehr
- ist für das Recht auf Vorsteuerabzug bereits ein mittelbarer Zusammenhang mit einer unternehmerischen Tätigkeit ausreichend und
- unterbleibt die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe (§ 3 Abs. 1b oder § 3 Abs. 9a UStG), wenn kein unversteuerter Letztverbraucher droht.
Im Streitfall errichtete die Klägerin eine öffentliche Straße, um ihren geplanten Steinbruch zu erschließen. Voraussetzung der Gemeinde war, dass die Straße unentgeltlich der Gemeinde zur Nutzung überlassen wird. Die Vorsteuer aus den Errichtungskosten machte die Klägerin geltend.
Für Vorsteuerabzug mittelbarer Zusammenhang ausreichend
Bisher wurde das Recht zum Vorsteuerabzug nur gewährt, wenn der Unternehmer die Eingangsleistungen konkret für Zwecke seines Unternehmens, also für seine wirtschaftliche Tätigkeit bezog. Dies wurde nur angenommen, wenn der bezogenen Eingangsleistung konkrete (entgeltliche) Ausgangsleistungen direkt und unmittelbar zugeordnet werden konnten. Nunmehr hat der BFH im vorgebrachten Fall entschieden, dass ein mittelbarer Zusammenhang mit steuerpflichtigen Ausgangsleistungen ausreichend sei, solange die Eingangsleistungen das Maß des „Erforderlichen“ nicht übersteigen. Im Streitfall wurde die Erschließungsstraße mehr oder weniger ausschließlich durch die Klägerin genutzt, um den Kalksteinbruch zu betreiben. Die Klägerin hat die Straße also aus eigenwirtschaftlichen Interessen errichtet und nicht zu dem Zweck, der Gemeinde einen Vorteil zu verschaffen. Der Kläger kann daher die Vorsteuer aus den Errichtungskosten geltend machen.
Keine unentgeltliche Wertabgabe
Der BFH hat im Streitfall weiterhin entschieden, dass die Überlassung der Straßennutzung an die Gemeinde auch keine steuerpflichtige unentgeltliche Wertabgabe begründet, weil im Streitfall kein unversteuerter Endverbrauch drohe. Ein unversteuerter Letztverbrauch liegt danach immer dann nicht vor, wenn
- die bezogene Eingangsleistung vor allem den Bedürfnissen des Unternehmens dient,
- die Leistung erforderlich und angemessen ist,
- sie (kalkulatorisch) Kostenbestandteil der Ausgangsleistungen ist und
- der Vorteil für Dritte (hier: Gemeinde) allenfalls nebensächlich ist.
Praxishinweis
Die geänderte Rechtsprechung des BFH zugunsten der Unternehmer ist erfreulich. Die Finanzverwaltung wird zeitnah reagieren und den Anwendungserlass entsprechend anpassen müssen.
Dem Unternehmer wird endlich ein weitreichenderes Vorsteuerabzugsrecht zugestanden, da nunmehr mittelbare Zusammenhänge zu steuerpflichtigen Ausgangsleistungen ausreichend sind. Dies eröffnet Argumentationsspielräume.
Rechtsprechung und Finanzverwaltung – aber in erster Linie auch jeder Unternehmer – sind daher künftig gehalten, genau zu fragen, warum ein Gegenstand unentgeltlich zugewendet wird. Dienen diese Zuwendungen dem Unternehmer zur Erzielung weiterer Umsätze, d. h. sind die entsprechenden Eingangsleistungen für das Unternehmen erforderlich und fließen die Kosten kalkulatorisch in den Preis der Ausgangsumsätze ein, hat eine Wertabgabenbesteuerung zu unterbleiben.
Der BFH gibt ausdrücklich auch seine bisherige Rechtsprechung zur Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe für den Fall der Hingabe von Blutzuckermessgeräten an Diabetiker, um den Absatz von Teststreifen zu fördern, auf. Es lohnt sich daher, von der Finanzverwaltung bisher als unentgeltliche Wertabgaben versteuerte Zuwendungen von Gegenständen erneut zu überprüfen.
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