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Insolvenzanfechtung: BGH überholt den Reformkurs des Gesetzgebers bei der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO)

Der Gesetzgeber hat mit dem sog. Anfechtungsreformgesetz 2017 eine Eingrenzung der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) angestrebt, um damit einer ausufernden Rechtsprechung entgegenzuwirken. In den vergangenen Monaten hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) nicht nur seine eigene Rechtsprechung, sondern auch den Reformkurs quasi „überholt“ –durch Anerkennung eines „bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausches“ für die subjektiven Anforderungen des § 133 Abs. 1 InsO.

16.12.2019
1. Ziel der Insolvenzanfechtung

Mit dem Instrument der sog. Insolvenzanfechtung erweitert der Gesetzgeber die Wirkungen der Insolvenzeröffnung (Übergang der Vermögensverwaltungs- und -verfügungsbefugnis vom Insolvenz­schuldner auf den Insolvenzverwalter) bereits auf das Vorfeld der formellen Insolvenz. Das Ziel des Insolvenzverfahrens, die gemeinsame und gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger, soll so wirkungsvoll wie möglich erreicht werden. Mit der Insolvenzanfechtung werden Vermögensverschiebungen und -verschleuderungen im Vorfeld der Insolvenz sanktioniert. Der Anspruch gegen Empfänger von Vermögenswerten des (späteren) Insolvenzschuldners lautet auf Rückgewähr der vom Schuldner erhaltenen Vermögenswerte in die Masse (§ 143 InsO).

2. Insolvenzgrund „Vorsatzanfechtung“ § 133 Abs. 1 InsO

Die sog. Vorsatzanfechtung setzt neben einer gläubigerbenachteiligenden Rechtshandlung (Schmälerung der Aktiva bzw. Erhöhung der Passiva) des Insolvenzschuldners dessen gläubiger­benachteiligenden Vorsatz voraus und Kenntnis dessen (zur Zeit der Handlung) auf Seiten des Anfechtungsgegners. Diese Kenntnis wird gesetzlich vermutet, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Für diese Voraussetzungen legte der BGH seinerzeit leicht festzustellende Indizien zugrunde, kurz: eine Vorsatzanfechtung war danach fast immer erfolgreich. Schon Ratenzahlung, Rücklastschriften oder die Nichtbegleichung von notwenigen Betriebskosten bzw. Sozialversicherungsbeiträgen genügten als Indizien für die Kenntnis vom Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO).

Der Anspruch nach § 133 Abs. 1 InsO alter Fassung erfasste sogar kongruente (d. h. vereinbarungsgemäß abgewickelte) Rechtsgeschäfte mit einem unmittelbaren Austausch von gleichwertiger Leistung und Gegenleistung (kurz: Vermögens­umschichtungen, sog. Bargeschäfte gemäß § 142 InsO neue Fassung). Eine Sanierung angeschlagener Unternehmen war damit erschwert, Geschäftspartner mussten damit rechnen, später von einem Insolvenzverwalter auf Rückforderung in Anspruch genommen zu werden.

3. Die neue Rechtsprechung des BGH

a) Der Fall des BGH

Über das Vermögen einer GmbH wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Vor der Insolvenzeröffnung stand die GmbH in laufender Geschäftsbeziehung zu dem Gläubiger (späterer Anfechtungsgegner). Der Insolvenzeröffnung ging ein erster, vom Schuldner selbst zurückgenommener Insolvenzantrag voraus. Daraufhin war ein vorläufiger Verwalter (mit Zustimmungsvorbehalt) bestellt worden. Dieser wollte einen reibungslosen Betriebsablauf gewährleisten und teilte dem Gläubiger mit, dass Leistungen aus einem Treuhandkonto bezahlt werden würden. Auf dieser Grundlage wurden zwei Aufträge durchgeführt und bezahlt. Wenige Wochen später stellte der Schuldner einen neuen, erfolgreichen Insolvenzantrag. Der bestellte Insolvenzverwalter erklärte hinsichtlich der beiden vom Treuhandkonto vorgenommenen Zahlungen die insolvenzrechtliche Anfechtung und berief sich dabei auf § 133 Abs. 1 InsO (Vorsatzanfechtung).

Der BGH entschied gegen den Insolvenzverwalter. Er bejahte zwar Rechtshandlungen mit Benachteiligungsvorsatz des Schuldners (Zahlungen), da dieser gewusst habe, dass er trotz Belieferung zu marktgerechten Preisen fortlaufend unrentabel arbeitet und deshalb bei der Fortführung des Geschäfts weitere Verluste angehäuft werden.

Für die weiterhin erforderliche Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners sei aber zu beachten, dass im Fall eines – hier vorliegenden – bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausches allein aus dem Wissen des Anfechtungsgegners um die zumindest drohende Zahlungsfähigkeit des Schuldners nicht auch auf sein Wissen von einer Gläubigerbenachteiligung geschlossen werden kann. Eine solche Kenntnis sei nur anzunehmen, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass die Leistung/Belieferung an den Schuldner für die übrigen Gläubiger nachteilig ist, weil der Schuldner fortlaufend unrentabel arbeitet und weitere Verluste erwirtschaftet. Eine solche Kenntnis ergebe sie sich im Übrigen nicht aus der Kenntnis der Tatsache, dass der erste Insolvenzantrag zurückgenommen worden ist.

b) Die Neuausrichtung des BGH

Die Entscheidung reiht sich ein in eine Anzahl aktueller Entscheidungen, in denen der BGH die neue Ausrichtung seiner Rechtsprechung aufzeigt. Damit reagiert der BGH auf die schon seit langem geäußerte Kritik, welche die Vorsatzanfechtung in der Rechtspraxis als zu weitgehend befand. Der Insolvenzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO wird die Spitze genommen, indem der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Fall eines gleichwertigen Leistungsaustausches in Frage gestellt wird. Dieser ist nur anzunehmen, wenn der Schuldner Kenntnis davon hat, dass sein Betrieb weiter mit Verlusten arbeitet. Der eigentliche Wendepunkt ist jedoch die logische weitere Forderung, dass auch der Anfechtungsgegner ebendiese Kenntnis haben muss. Damit wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners im Fall des Leistungsaustausches auch auf den fortlaufend unwirtschaftlichen Betrieb des Schuldners bezogen.

c) Hohe Praxisrelevanz

Mit dieser Kurskorrektur wird die alte, sanierungsfeindliche Rechtsprechung tiefgreifend geändert. Der BGH verlegt sich auf eine Gesamtwürdigung der Indizienlage (auch Marktlage, Saison usw.). Ratenzahlungen oder Betriebsnotwendigkeit sind für sich allein keine Indizien für eine Zahlungseinstellung (§ 17 InsO). Ein Insolvenz­verwalter ist nunmehr gehalten, die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom unwirtschaftlichen Betrieb des schuldnerischen Unternehmens zu belegen. Dieser Beweisanforderung wird der Insolvenz­verwalter häufig nicht gerecht werden können.

Das Urteil vom 19.9.2019 AZ IX ZR 148/18 finden Sie hier.

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