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Folgen der Verfassungswidrigkeit von Nachzahlungszinsen i. H. v. 6 % jährlich auf Steuernachforderungen und Erstattungen ab 2014

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 die Entscheidung getroffen, dass eine Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen nach § 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO insoweit verfassungswidrig ist, als der Zinsberechnung für Zeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % (6 % p. a.) zugrunde gelegt wird. An dieser Stelle verweisen wir auf unsere Meldung vom 18. August 2021.

09.09.2021
Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 233a AO wird eine Verzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen vorgenommen. Dabei erfolgt die Verzinsung für den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer bis zu ihrer Festsetzung (Grundsatz der Vollverzinsung). Nach einer 15-monatigen zinsfreien Karenzzeit beginnt der Zinslauf. Somit sind von der Vollverzinsung nur Steuerpflichtige betroffen, deren Steuer nach Ablauf der 15 Monate nach der Entstehung des Steueranspruches festgesetzt oder geändert wurde. Die Vollverzinsung wird dabei sowohl für Steuernachforderungen als auch bei Steuererstattungen vorgenommen. Der Zinssatz für diese Vollverzinsung beträgt 0,5 % pro Monat bzw. 6 % pro Jahr (§ 238 AO)

Entscheidung des BVerfG

Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes stellt eine Vollverzinsung mit monatlich 0,5 % nach Ablauf eines zinsfreien Zeitraumes von grundsätzlich 15 Monaten eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf des zinsfreien Zeitraumes festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird, dar. Dabei ist nicht die Vollverzinsung per se verfassungswidrig, sondern die Höhe des, aktuell noch gültigen, verwendeten Zinssatzes.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtes wird mit einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes begründet. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes ist diese Ungleichbehandlung bis zum Verzinsungszeitraum 2013 noch als verfassungsgemäß einzuordnen, für in das Jahr 2014 und Folgejahre fallende Verzinsungszeiträume dagegen als verfassungswidrig. Hintergrund stellt die seit Jahren anhaltende Niedrigverzinsung auf dem Kapitalmarkt dar. Ein Zinssatz von 6 % p. a. sei seit 2014 realitätsfern und spiegele seitdem nicht das tatsächliche Marktzinsniveau wider. Für den Zeitraum vor 2014 sei demgegenüber laut BVerfG der Zinssatz noch verfassungsgemäß.

Folgen für die Steuerpflichtigen

Zu beachten ist, dass sich das BVerfG lediglich zur Vollverzinsung gemäß § 233a AO geäußert hat. Stundungszinsen (§ 234 AO), Hinterziehungszinsen (§ 235 AO), Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO) und Aussetzungszinsen (§ 237 AO) wurden nicht explizit angesprochen. Da diese jedoch ebenfalls eine Verzinsung von 6 % p. a. vorsehen gemäß § 238 AO, ist eine Anwendung der Verfassungswidrigkeit auf alle Zinsarten wahrscheinlich.

Für die Jahre ab dem 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2018 ist ein Zinssatz von 6 % p. a. somit verfassungswidrig, jedoch ist keine rückwirkende Unanwendbarkeit dieses Zinssatzes gegeben. Das ergibt sich aus der Aufforderung an den Gesetzgeber, bis zum 31. Juli 2022 eine Neuregelung bezüglich des Zinssatzes zu treffen, welche für die Zeit ab dem 1. Januar 2019 gilt. Eine Neuregelung für den Zwischenzeitraum ab 1. Januar 2014 ist nicht gefordert. Die Neuregelung ab 2019 gilt nur für alle noch nicht bestandskräftigen oder vorläufigen Bescheide. Offen bleibt an dieser Stelle, welcher niedrigere Zinssatz vom Gesetzgeber gewählt werden wird.

Übersicht der Folgen
  • Verzinsungszeitraum 2013 und früher

Laut dem BVerfG sind Zinsen für die Jahre vor 2014 in Höhe von 6 % p. a. nicht verfassungswidrig. Steuerpflichtige, welche dagegen Einspruch eingelegt haben, werden mit einer Zurückweisung rechnen müssen.

  • Verzinsungszeitraum 2014 bis einschließlich 2018

Für bereits bestandskräftige Bescheide wird keine Anpassung des Zinssatzes oder eine Erstattung erfolgen. Gleiches gilt auch für noch offene Bescheide bzw. Bescheide, bei denen Einspruch erhoben wurde. In diesen Fällen werden die eingelegten Einsprüche, da keine rückwirkende Gesetzesänderung erfolgen wird, vermutlich abgewiesen, die ausgesetzten Beträge werden gezahlt werden müssen. Auch wenn eine Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes für diese Jahre vorliegt, bleibt das aktuelle Recht weiterhin anwendbar und gilt für alle Zinsbescheide aus diesen Jahren. Etwas anderes gilt, wenn der Gesetzgeber im Rahmen der notwendigen Anpassung des Zinssatzes ab dem Jahr 2019 eine für die Jahre 2014 bis 2018 begünstigende Anwendungsregelung vorsieht. Dies halten wir jedoch für eher unwahrscheinlich. Mit einer nachträglichen Anpassung des Zinssatzes für offenen Bescheide, kann somit nicht gerechnet werden, auch wenn dies auf breites Unverständnis im Hinblick auf die gerichtlich festgestellte Verfassungswidrigkeit stößt.

  • Verzinsungszeitraum 2019 und später

Für das Jahr 2019 und folgende muss eine gesetzliche Neuregelung geschaffen und eine Anpassung des Zinssatzes vorgenommen werden. Jedoch wird die nachträgliche Anwendung dieses neuen Zinssatzes nur dann erfolgen, wenn gegen einen Zinsbescheid Einspruch eingelegt wurde oder der Zinsbescheid vorläufig ergangen ist. Bestandskräftige Bescheide ohne Vorläufigkeitsmerkmal werden wohl nicht nachträglich geändert. Für diesen Zeitraum ist zudem abzuwarten, welche Übergangslösung die Finanzverwaltung festlegen wird. Es wird vermutlich erst nach der Bundestagswahl zu einer gesetzlichen Neuregelung kommen und bis dahin wird der, verfassungswidrige, bisherige Zinssatz Anwendung finden. Selbst bei Vorläufigkeit der Bescheide gemäß § 165 AO müsste der Steuerpflichtige zunächst den verfassungswidrigen Betrag entrichten. Welche Lösung die Finanzverwaltung dafür findet, ist unklar.

Sofern Erstattungszinsen für die Zeiträume ab 2019 festgesetzt werden, und diese Festsetzungen mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen werden, ist der Steuerpflichtige begünstigt. Hier sollte gegen den Vorläufigkeitsvermerk Einspruch eingelegt werden, damit sich dann bei einer Herabsetzung die Finanzverwaltung nicht auf einen rechtswidrigen Vorläufigkeitsvermerk berufen und die Erstattungszinsen herabsetzen kann.

An dieser Stelle möchten wir auch auf die sächsische Finanzverwaltung verweisen. Diese versendet derzeit keine aktuellen Steuerbescheide mit einer Zinsfestsetzung. Das bedeutet, dass der Zinslauf nicht gestoppt wird und weiterhin Zinsen anlaufen. Um den Zinslauf zu stoppen ist es daher als Steuerpflichtiger ratsam, die Zahlung zu tätigen.

Wir werden Sie über die weiteren Entwicklungen informieren.

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