Mit einer bereits jetzt eingehend diskutierten Entscheidung hat der BGH sich zu einer seit langer Zeit in der Literatur streitigen Frage positioniert. In seiner Entscheidung vom 19.12.2017 verwies der BGH darauf, dass bei der Berechnung der „Zahlungsunfähigkeit“ auch das sogenannte „Passiva II“ zu berücksichtigen ist. Diese Rechtsprechung hat nicht nur Auswirkungen auf die Entscheidung des Insolvenzgerichts, ob ein Insolvenzverfahren zu eröffnen ist, sondern hat darüber hinaus Auswirkungen auf die Haftung des Geschäftsführers einer insolventen Gesellschaft und auf die insolvenzrechtliche Anfechtung von vermögensrelevanten Handlungen.
Die Entscheidung des BGH
Ausgangspunkt der Entscheidung war dementsprechend eine Fallgestaltung, in der der eingesetzte Insolvenzverwalter den Geschäftsführer einer insolventen GmbH persönlich in Haftung nehmen wollte. Strittig war, ab wann die GmbH bereits insolvent gewesen war und damit die Frage, ab welchem Zeitpunkt gleichwohl geleisteten Zahlungen der GmbH gemäß § 64 GmbHG vom Geschäftsführer persönlich zu erstatten waren. Das vom Insolvenzverwalter angerufene Landgericht hatte den Anspruch zunächst abgelehnt, ebenso das danach geforderte OLG. Der BGH trat den Entscheidungen der Vorinstanzen aber entgegen und entscheid für den Insolvenzverwalter. Er verwies darauf, dass es zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit einer geordneten Gegenüberstellung der zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel des Schuldners, etwa in Form einer Liquiditätsbilanz bedarf. Von einer solchen Zahlungsunfähigkeit sei regelmäßig auszugehen, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt. Nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung, sondern eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit sei also anzunehmen, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, diese Liquiditätslücke innerhalb von 3 Wochen auf unter 10 % zurückzuführen. Diese Rechnung sein anhand der objektiven Umstände vorzunehmen, dabei seien auf der Aktivseite die vorhandenen und die innerhalb von 3 Wochen flüssig zu machenden Mittel einzubeziehen und auf der Passivseite die zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten sowie die innerhalb von 3 Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung ist systematischen Gründen durchaus nachvollziehbar. Bislang wurde die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zeitlich verzerrt, indem Aktiv- und Passivseite bei der Erstellung der Liquiditätsbilanz unterschiedlich bewertet wurden. In der Folge wurde Schuldnerinteressen einseitig und unbillig der Vorzug vor berechtigten Interessen der Gläubiger gegeben. Gleichwohl standen sich die Meinungen in Literatur und Rechtsprechung zu dieser Frage bislang unversöhnlich gegenüber. Für die Praxis ist mit diesem Urteil des BGH der Streit, ob die innerhalb von 3 Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten in diese Rechnung mit einzubeziehen sind, entschieden.
Diese Entscheidung führt im Ergebnis nicht nur dazu, dass Schuldner, die sich in einer finanziell kritischen Situation befinden, sich auf die neuen Bedingungen einstellen und den Insolvenzantrag gegebenenfalls früher stellen müssen. Auch die Insolvenzgerichte sind nunmehr gehalten, in weiteren Fallgestaltungen einen Insolvenzgrund anzunehmen und ein Insolvenzverfahren zu eröffnen. Um Haftungsrisiken der Geschäftsführung zu minimieren ist eine sorgfältige und umfassende Dokumentation erforderlich: Sie betrifft alle Sachverhalte, die den Bestand oder die Fälligkeit von Forderungen betreffen. Sie bezieht sich aber auch auf die Einschätzung der Geschäftsführung, dass die in der Planungsrechnung enthaltenen kurzfristig aktivierbaren Forderungen (Aktiva II) werthaltig und durchsetzbar sind.
Die Entscheidung hat aber auch Auswirkungen auf die Arbeit des Insolvenzverwalters, der nachträglich auf das Verhalten des Schuldners und des Geschäftsführers der insolventen Gesellschaft schaut. Denn letztlich führt diese Rechtsprechung auch dazu, dass Insolvenzanfechtungen in einem breiten Rahmen zulässig werden und sich die persönliche Haftung des Geschäftsführers hinsichtlich der Beachtung insolvenzrechtlicher Vorgaben, die schon in der Krise greifen, verschärft.