Falsche Nullfeststellungen des steuerlichen Einlagekontos wegen unrichtig erfasster Anfangsbestände von Betrieben gewerblicher Art zum Zeitpunkt des Wechsels zum Halbeinkünfteverfahren sind nach ihrer viel späteren Entdeckung in Folgejahren erfahrungsgemäß Anlass für hartnäckige Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung. Zur Überwindung der längst eingetretenen Festsetzungsverjährung und der bindenden Vorjahresbescheide hat die Rechtsprechung vereinzelte Lösungsansätze entwickelt. Aufgrund der teils fragwürdigen Differenzierung einzelner ähnlicher Sachverhalte ist eine einzelfallbezogene Prüfung unumgänglich.
Ab dem Veranlagungszeitraum 2001 wurde aufgrund eines Systemwechsels im Körperschaftsteuerrecht das Anrechnungsverfahren durch das Halbeinkünfteverfahren abgelöst. Für Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ging damit einher, unter bestimmten Voraussetzungen zum 31. Dezember 2001 erstmals das steuerliche Einlagekonto feststellen zu lassen (§ 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 7 KStG). Im Anfangsbestand waren sowohl Alteinlagen der Trägerkörperschaft als auch in Vorjahren bereits versteuerte Altgewinne zu erfassen.
Aus verschiedenen Gründen wurde von den betroffenen Körperschaften nicht selten die Notwendigkeit zur Feststellung des steuerlichen Einlagekontos verkannt oder aber irrtümlich die Feststellung mit „Null“ (sog. Nullbescheid) akzeptiert. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig und die Feststellungverjährung trat ein. Die daraufhin erlassenen Folgebescheide legten den unrichtigen Anfangsbestand des Ausgangsbescheides zu Grunde. Erst später, etwa durch Einschaltung eines Beraters, fiel die materielle Unrichtigkeit der Feststellung auf. Bliebe es bei den unrichtigen Feststellungen, droht spätestens bei Auflösung des Betriebes gewerblicher Art, aber auch schon vorher bei (verdeckten) Gewinnausschüttungen, eine dann doppelte Belastung mit Kapitalertragsteuer.
Das Problem ließe sich durch eine einschlägige Änderungsvorschrift lösen. Dies ist schwierig, weil der ursächliche Ausgangsbescheid längst festsetzungsverjährt ist und einer Änderung der jüngsten (unverjährten) Bescheide die Bindungswirkung der jeweiligen Vorjahresbescheide entgegensteht. Über die Hürde der Festsetzungsverjährung hilft § 181 Abs. 5 AO hinweg. Diese Vorschrift ist jedoch keine eigenständige Änderungsvorschrift, d. h. sie setzt das Vorliegen einer Änderungsvorschrift für den Ausgangsbescheid voraus, die nur wegen des Verjährungseintritts nicht mehr unmittelbar angewendet werden kann. Im Regelfall fehlt es für den Ausgangsbescheid an einer solchen Änderungsvorschrift. Eine Billigkeitsentscheidung gemäß § 163 AO lehnt der BGH ab. Regelmäßig sind nur § 129 AO (offenbare Unrichtigkeit) und § 164 AO (Vorbehalt der Nachprüfung) in Erwägung zu ziehen.
Die kürzlich ergangenen Entscheidungen des FG Münster vom 13. Oktober 2017, 13 K 1204/16 F und 13 K 3113/16F fassen die derzeitige Sicht der Finanzgerichte zu § 129 AO zusammen. Eine Änderung nach § 129 AO (ggf. i. V. m. § 181 Abs. 5 AO) kommt danach unter dem Gesichtspunkt des Übernahmefehlers in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige bei Abgabe seiner Steuererklärung das Einlagekonto falsch angegeben und das Finanzamt diesen Fehler übernommen hat, obwohl es den Fehler eindeutig aus den ihm vorliegenden Unterlagen (i. d. R. Jahresabschluss) hätte erkennen können. Demgegenüber wird § 129 AO abgelehnt, wenn der Steuerpflichtige keine Erklärung abgegeben und das Finanzamt von sich aus (fehlerhaft) den Nullbescheid erlassen hat. Argumentiert wird, dass in solchen Fällen nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Festsetzung aufgrund einer eigenen Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage erfolgt sei und der Finanzbeamte lediglich einem Rechtsirrtum unterlegen habe. Diese Differenzierung ist sicherlich vage. Es bleibt abzuwarten, wie sich der BFH positioniert.
Schließlich hat das FG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 25. April 2012, 3 K 1759) in Durchbrechung der Bindungswirkung der Vorjahresbescheide eine Änderung des ersten „offenen“, d. h. änderbaren, Bescheides befürwortet, wenn eine steuerliche Auswirkung der irrtümlich fehlerhaften Feststellung noch nicht eingetreten sei. Da im zu entscheidenden Fall keinerlei Gewinne ausgeschüttet worden waren und auch keine Verlustverrechnung erfolgt war, war der jüngste noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheid zu ändern. In Fortsetzung dieses Gedankens erscheint eine Änderung des Ausgangsbescheides gemäß §§ 181 Abs. 5, 164 AO dann jedoch ebenfalls nicht unmöglich.
Eine weitere einzelfallspezifische Lösung bietet das FG Sachsen (Urteil vom 1. Februar 2017, 2 K 1059/16). Unter Bezugnahme auf das BMF-Schreiben vom 9. Januar 2015, BStBl I 2015, 111 zu den sog. Wechselfällen (Rz. 46 und 43) sei generell in Konstellationen, in denen es zu einer Veranlagungslücke für mindestens einen Veranlagungszeitraum gekommen sei, bei Eintritt der (erneuten oder erstmaligen) Erklärungspflicht der Anfangsbestand des steuerlichen Einlagekontos neu – und zwar unter Berücksichtigung von Alteinlagen und Altgewinnen aus Zeiten vor dem Systemwechsel – zu bilden. Damit können ohne Vorliegen einer Änderungsvorschrift frühere Fehler für die Zukunft korrigiert werden. Gegen diese Entscheidung ist jedoch die Revision beim BFH anhängig.
Im Ergebnis handelt es sich um eine einzelfallabhängige Prüfung. Lohnenswert ist, sich in relevanten Fällen mit dem Finanzamt abzustimmen. Eine gerichtliche Überprüfung sollte mit Blick auf die einschlägigen Risiken sorgfältig abgewogen werden.