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FG Münster: Restnutzungsdauer eines Mietobjekts kann nach der Immobilienwertverordnung berechnet werden

Das FG Münster hat in zwei Verfahren entschieden, dass Wertgutachten, in denen die Restnutzungsdauer von Mietobjekten nach der Immobilienwertverordnung berechnet werden, für die Ermittlung der AfA herangezogen werden können.

30.03.2023
Unternehmens- und Immobilienbewertung
Sachverhalt

Die Klägerinnen sind zwei vermögensverwaltende GmbH & Co. KG‘s, die Mieteinkünfte aus verschiedenen Objekten erzielen. Die Gebäude wurden in den 1920er bzw. 1950er Jahren errichtet. Die Klägerinnen begehrten eine Berechnung der AfA nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG, da die tatsächliche Restnutzungsdauer der Gebäude niedriger als die typisierten 40 bzw. 50 Jahre seien. Dazu legten sie dem Finanzamt Verkehrswertgutachten einer Sachverständigen über den gesamten Immobilienbestand vor, die Restnutzungsdauer wurde im Rahmen des Gutachtens nach der Immobilienwertverordnung ermittelt. Aufgrund des Alters der Gebäude lagen die ermittelten Restnutzungsdauern unterhalb der typisierten Nutzungsdauer von 40 bzw. 50 Jahre. Das Finanzamt lehnte die Anerkennung der Restnutzungsdauer ab.

Entscheidung des FG

Vor dem FG Münster waren die beiden Klagen jedoch erfolgreich.

Den Steuerpflichtigen stehe nach den Grundsätzen des BFH-Urteils v. 28. Juli 2021 (Aktenzeichen IX R 25/19) ein Wahlrecht zu, sich entweder mit den typisierten AfA-Sätzen zufriedenzugeben oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend zu machen. Eine Schätzung des Steuerpflichtigen sei nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Der BFH entschied mit dem o. g. Urteil, dass der Steuerpflichtige sich bei der Berufung auf eine kürzere Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG jeder Darlegungsmethode bedienen kann, die zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint.

Das Verfahren der Gebäudesachwertermittlung nach der ImmoWertVO (§§ 21 ff. i. V. m. § 6 Abs. 6 ImmoWertV) zur Ableitung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer für Wohngebäude unter Berücksichtigung von Modernisierungen könne Anwendung finden, auch wenn diese Berechnung nicht primär auf die Ermittlung der tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG gerichtet ist. Die von den Klägerinnen auf Grundlage der eingereichten Gutachten ermittelten Restnutzungsdauern seien nicht zu beanstanden, da die Gutachterin nach Ortsbesichtigung den Zustand der einzelnen Objekte, die Ausstattung der Wohnungen, die Bauweise und den Unterhaltungszustand der Gebäude dargestellt hat und bei der Berechnung der Nutzungsdauer die Regelungen der ImmoWertV angewandt sowie Um- und Ausbau- oder Modernisierungsmaßnahmen berücksichtigt hat.
Eine Revision hat das FG Münster nicht zugelassen, da es sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung allgemein anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze handele.

Auffassung der Finanzverwaltung

Mit Schreiben vom 22. Februar 2022 hat sich das BMF zur Anwendung des o. g. BFH-Urteils geäußert. Nach den Ausführungen des BMF kann man sich lediglich in begründeten Ausnahmefällen auf eine kürzere Nutzungsdauer berufen, da entscheidend ist, ob das entsprechende Gebäude tatsächlich objektiv betrachtet technisch und wirtschaftlich verbraucht ist. Die Bestimmung der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer soll an einer an der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit orientierten Schätzung erfolgen. Ferner stellt das BMF dar, dass der Nachweis der kürzeren Nutzungsdauer nur durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken erbracht werden kann. Der Gutachtenzweck muss sich ausdrücklich auf den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer beziehen. Eine bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten soll nicht geeignet sein. Eine Bewertung nach der ImmoWertVo ist nicht geeignet für den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer.

Anmerkung

Das BMF stellt im Ergebnis wesentlich höhere Anforderungen an den Nachweis als von der Rechtsprechung gefordert. Es widerspricht sogar der Rechtsprechung des BFH und des FG Münsters. Vor dem Hintergrund, dass die Finanzverwaltung an die Auffassung des BMF gebunden ist, muss die Anerkennung der kürzeren Nutzungsdauer durch ein gerichtliches Klageverfahren erstritten werden.

Die strenge Auffassung des BMF kann nicht nachvollzogen werden, da es den Steuerpflichten in ein langwieriges Verfahren drängt, zu einer unnötigen Mehrbelastung der Finanzgerichte und zu einer Verkomplizierung des Steuerrechts führt. Das BMF-Schreiben erweckt den Eindruck, dass man die Rechtsprechung nicht anwenden möchte.

In diesem Zusammenhang lässt sich auch erklären, warum im Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2022 die Streichung des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG vorgesehen war, diese dann aber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens rückgängig gemacht worden ist.

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Senior Associate, Steuerberater, Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e. V.)

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