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EuGH: Arbeitgeber müssen verpflichtet werden, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann (EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – Az.: C-55/18)

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die unionsrechtlichen Vorgaben zu Höchstarbeitszeit und Ruhezeiten die Mitgliedsstaaten der EU zur Einführung einer gesetzlichen Grundlage zwingen, die Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit zu verpflichten. Nur so könne kontrolliert und durchgesetzt werden, dass die Arbeitszeitregeln eingehalten und der bezweckte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet wird.

22.05.2019

Der Streitfall

Am 26. Juli 2017 erhob die CCOO, eine Arbeitnehmervereinigung, die Teil einer bedeutenden Gewerkschaft in Spanien ist, gegen die Deutsche Bank vor der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) eine Verbandsklage; mit dieser Klage begehrte sie die Feststellung, dass die Deutsche Bank nach spanischen Recht verpflichtet sei, ein System zur Erfassung der von ihren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten, mit dem die Einhaltung zum einen der vorgesehenen Arbeitszeit und zum anderen der Verpflichtung, die Gewerkschaftsvertreter über die monatlich geleisteten Überstunden zu unterrichten, überprüft werden könne.

Die Deutsche Bank ist hingegen der Ansicht, dass das spanische Gesetz nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts Spaniens (Tribunal Supremo) nur die Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden sowie die Übermittlung der Überstundenzahl zum jeweiligen Monatsende an die Arbeitnehmer und ihre Vertreter vorschreibe, sofern nichts anderes vereinbart worden sei.

Der Nationale Gerichtshof bezweifelte, dass die Auslegung des Obersten Gerichts mit dem Unionsrecht vereinbar ist, und rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an. Ohne eine systematische Erfassung der Arbeitszeit verlören sowohl die Arbeitnehmer als auch die Gewerkschaften ein wesentliches Beweismittel, um eine Überschreitung der Höchstarbeitszeit zu belegen beziehungsweise die Einhaltung der Arbeitszeitregeln zu überprüfen. Daher könne das spanische Recht nicht gewährleisten, dass die in der Arbeitszeitrichtlinie und der Richtlinie 89/391/EWG über die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit vorgesehenen Verpflichtungen eingehalten werden.

Die Entscheidung

 Mit seinem Urteil vom 14. Mai 2019 erklärte der Gerichtshof, dass die Richtlinie 2003/88/EG im Lichte der Charta einer Regelung entgegensteht, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Die Richtlinie verlange von den Mitgliedsstaaten, die jeweils erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Ruhezeiten und wöchentliche Höchstarbeitszeit zu gewähren. Die fragliche Richtlinie setze damit die Bestimmungen des Art. 31 EU-Grundrechtecharta um, wonach jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde Arbeitsbedingungen und Begrenzung der Arbeitszeit habe. Die Auslegung der Richtlinie müsse damit den einzelnen Arbeitnehmern subjektive Rechte gewähren, wobei jedes Hindernis zu beseitigen sei, dass deren Inanspruchnahme begrenze oder beschränke.

Ohne ein System zur Messung der Arbeitszeiten könne nämlich das Ausmaß tatsächlich geleisteter Arbeit und ihre Lage nicht objektiv und sicher festgestellt werden. Auch erschwere das Fehlen eines solchen Systems es erheblich, Abhilfe zu schaffen, wenn der Arbeitgeber Arbeitsleistungen unter Verstoß gegen die von der Richtlinie vorgesehenen Beschränkungen vorschreibe. Die Verpflichtung zur Messung der Arbeitszeit wie insbesondere der täglichen Arbeits- und Ruhezeit, der Grenzen der wöchentlichen Arbeits- und Ruhezeit sowie der etwaigen Leistung von Überstunden sei daher eine wesentliche Funktion im Sinne der Richtlinie.

Laut EuGH müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitserfassungssystem einzurichten, um die nützliche Wirkung der von der Arbeitszeitrichtlinie und der EU-Grundrechtecharta verliehenen Rechte zu gewährleisten. Dabei obliege es den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.

Auswirkung auf die Praxis

Die Entscheidung selbst hat keine unmittelbare Auswirkung auf Arbeitgeber. Sie bindet aber die Mitgliedstaaten insoweit, als diese eine gesetzliche Grundlage gewährleisten müssen, die den Arbeitgeber verpflichtet, die tägliche Arbeitszeit aufzuzeichnen.

Da das deutsche Recht – ähnlich wie das spanische Recht – diese Anforderung aktuell nicht erfüllt, ist wohl im kommenden Jahr mit einer entsprechenden Gesetzesänderung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) zu rechnen. Derzeit besteht gemäß § 16 Abs. 2 ArbZG in Deutschland lediglich die Pflicht, die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen, soweit sie über die zulässige Höchstgrenze von acht Stunden pro Tag hinausgeht. Eine entsprechende lückenlose Dokumentationspflicht sieht § 17 Abs. 1 S. 1 MiLoG bislang nur für geringfügig Beschäftigte vor.

Ob Arbeitgeber eine vollständig digitalisierte Arbeitszeiterfassung einführen sollten, inwieweit diese Pflicht auf die Arbeitnehmer delegiert werden kann und welche sonstigen Spielräume Unternehmen bei der Arbeitszeiterfassung haben, bleibt der deutschen Gesetzgebung vorbehalten.

Arbeitgeber, die bislang noch keine allgemeine Arbeitszeiterfassung in ihren Betrieben pflegen, sollten allerdings bereits jetzt eine Vorstellung darüber entwickeln, welche Art der Arbeitszeiterfassung aufgrund der Gegebenheiten in ihrem Unternehmen – insbesondere in technischer Hinsicht – sinnvoll ist. Von Bedeutung wird dabei unter anderem sein, wie gegebenenfalls bestehende Regelungen zu Dienstreisen, Homeoffice und mobilem Arbeiten mit der lückenlosen Pflicht zur Arbeitszeitdokumentation in Einklang gebracht werden können.

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