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Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens kann zum Schadensersatz berechtigen!

In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH (Urteil vom 8. Dezember 2020 – XIII ZR 19/19) entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeurteilt, dass ein Teilnehmer an einem Vergabeverfahren einen Anspruch auf Schadensersatz haben kann, wenn der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren unberechtigt aufhebt. Den Ersatz des entgangenen Gewinns kann ein Bieter aber regelmäßig nicht verlangen.

23.03.2021

Die Entscheidung finden Sie hier.

1. Sachverhalt:

Die Klägerin nahm eine Gemeinde auf Zahlung von entgangenem Gewinn in Anspruch. Dem war vorausgegangen, dass die Gemeinde zur Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft Bauleistungen ausschrieb und die Klägerin das günstigste Angebot abgegeben hatte. Der Gemeinde kamen Zweifel am Fortbestehen des Beschaffungsbedarfs und eine Einigung wegen Verlängerung der Bindefrist wurde mit der Klägerin nicht erzielt. Daher hob die Gemeinde die Ausschreibung wegen Wegfalls des Beschaffungsbedarfs auf.

Zu einem späteren Zeitpunkt – der Beschaffungsbedarf wurde erneut festgestellt – forderte die Gemeinde die Klägerin auf, ein neues Angebot für ein Bauprojekt in derselben Lage und mit dem gleichen Leistungsverzeichnis wie bei der ersten Ausschreibung abzugeben. Den Zuschlag erhielt nun aber ein anderes Unternehmen, da die Klägerin jetzt nicht mehr das günstigste Angebot abgegeben hatte.

In den Vorinstanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) wurde die Gemeinde zur Zahlung von entgangenem Gewinn, Kosten für die Erstellung des Angebots und die Kosten für die Angebotsunterlagen sowie Zinsen und Rechtsanwaltskosten verurteilt.

Die hiergegen eingelegte Revision der Gemeinde hatte überwiegenden Erfolg. Zwar steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch zu. Sie kann jedoch nicht den entgangenen Gewinn beanspruchen.

2. Rechtliche Gründe:

Unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 48/97) hat das Gericht ausgeführt, dass durch die Teilnahme der Klägerin an der Ausschreibung der Gemeinde ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet wurde. In diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis hat die Gemeinde eine Rücksichtnahmepflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB gegenüber der Klägerin verletzt, indem sie die Ausschreibung aufgehoben hat, ohne dass ein Grund nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A vorgelegen hat.

Der BGH hat ausgeführt, dass die Aufhebung eines Ausschreibungsverfahrens nur dann rechtmäßig ist, wenn ein Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A vorliegt. Jeder Bieter müsse mit der Möglichkeit rechnen, dass sich die in den vergaberechtlichen Bestimmungen zugelassenen Möglichkeiten verwirklichen, nach denen das Verfahren ohne Vergabe eines Auftrags beendet werden kann. Ist dies aber nicht der Fall und wird das Vergabeverfahren gleichwohl aufgehoben, verletzt die Vergabestelle ihre Pflicht zur Beachtung der für das Verfahren maßgeblichen Vorschriften.

3. Exkurs: Keine Pflicht zur Auftragserteilung und Aufhebungsgründe

Grundsätzlich gilt, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet ist, ein einmal begonnenes Vergabeverfahren durch einen Zuschlag zu beenden (OLG Schleswig, Urteil vom 19. Dezember 2017 – 3 U 15/17).

Ein Bieter hat keinen Anspruch auf die Zuschlagserteilung; es besteht auch kein Kontrahierungszwang des Auftraggebers (BGH, Urteil vom 8. September 1998 – X ZR 48/97). Auch wenn kein Aufhebungsgrund vorliegt, kann der Auftraggeber vom Vergabeverfahren Abstand nehmen (VK Sachsen, Beschluss vom 26. April 2018, 1/SVK/005-18).

Tatsächlich kann nicht jeder Grund zu einer redlichen Aufhebung führen. Richtigerweise kommt es darauf an, dass ein sachlich gerechtfertigter Grund der Aufhebung zugrunde liegt oder die Aufhebung nicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren.

Für den Oberschwellenbereich sind die Aufhebungsgründe beispielsweise in § 63 VgV und § 17 (EU) VOB/A geregelt. § 48 UVgO (sowie § 17 VOL/A) und § 17 VOB/A enthalten die Aufhebungsgründe für den Unterschwellenbereich.

Von besonderer Bedeutung ist insbesondere die Tatsache, dass kein Angebot eingereicht wird, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht. Ein Angebot entspricht dann nicht den Bedingungen, wenn es aus formalen (Frist, Form) oder aus materiellen (Inhalt) Gründen den Vergabeunterlagen oder den dortigen Anforderungen nicht genügt. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn Angebote unvollständig sind oder Angebote die erforderlichen Erklärungen – auch auf Nachforderungen – nicht enthalten, nachträglich abgeändert oder modifiziert wurden. Gleiches gilt bei Angeboten die aus anderen Gründen zwingend auszuschließen sind.

Außerdem ist von besonderer Bedeutung der Aufhebungsgrund, dass kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wurde. Ein unwirtschaftliches Ergebnis liegt vor, wenn auch das wirtschaftlichste Angebot erheblich über dem Preis liegt, der nach einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswertes ermittelt worden war. Will ein Auftraggeber die Aufhebung der Ausschreibung darauf stützen, dass ein wirtschaftliches Ergebnis nicht erzielt wurde, muss er nachweisen, dass die von ihm getroffene Kostenprognose mit größter Sorgfalt erstellt wurde. Eine Kostenprognose ist dann nicht vertretbar, wenn sie auf erkennbaren unrichtigen Daten beruht, insbesondere, wenn sie eine vorhersehbare Kostenentwicklung unberücksichtigt lässt und ungeprüft und pauschal auf anderen Kalkulationsgrundlagen beruhende Werte übernimmt. Außerdem sollte ein öffentlicher Auftraggeber zusätzlich zu dem aus der ordnungsgemäßen Schätzung ermittelten Wert einen Sicherheitszuschlag von mindestens 10 % vornehmen.

4. Rechtsfolgen:

Besteht ein Aufhebungsgrund, handelt der öffentliche Auftraggeber regelkonform, wenn er eine Ausschreibung aufhebt. Liegt kein Aufhebungsgrund vor, ist eine Aufhebung zwar rechtswidrig, bleibt aber wirksam, wenn der Auftraggeber seinen Vergabewillen aufgegeben hat.

Eine rechtswidrige – gleichwohl wirksame – Aufhebung führt, wie der BGH in der eingangs genannten Entscheidung dargelegt hat zu einem Schadensersatzanspruch aus vorvertraglichem Schuldverhältnis.

Dem Bieter steht aber grundsätzlich nur Ersatz der mit der Teilnahme am Verfahren verbundenen Aufwendungen – also die Kosten des Angebotes – zu (sogenanntes negatives Interesse). Der Bieter ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der öffentliche Auftraggeber alle vergaberechtlichen Vorschriften beachtet und demgemäß entweder von einer Ausschreibung abgesehen oder das Verfahren mit einem Zuschlag auf das beste Angebot abgeschlossen hätte.

Einen Anspruch auf den entgangenen Gewinn (Ersatz des positiven Interesses) hat ein Bieter ausnahmsweise nur dann, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird, der Zuschlag jedoch nicht demjenigen Bieter erteilt wird, auf dessen Angebot er bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften allein hätte erteilt werden dürfen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber bei fortbestehendem Beschaffungsbedarf das Ausschreibungsverfahren aufhebt, um einen anderen Bieter (Dritten) zu bevorzugen. Der Bieter, der diesen (ursprünglichen) Zuschlag hätte erhalten müssen, ist wirtschaftlich so zu stellen, wie er gestanden hätte, wäre der Auftrag ihm und nicht dem Dritten zugeschlagen worden.

5. Anmerkungen:

Öffentliche Auftraggeber haben durch die Vergabevorschriften grundsätzlich die Möglichkeit, jederzeit – bis zur Zuschlagserteilung – von einer Ausschreibung Abstand zu nehmen. Liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung vor, muss der öffentliche Auftraggeber keine Schadensersatzansprüche befürchten.

Handelt der Auftraggeber demgegenüber regelwidrig, bleibt die Aufhebung wirksam, gleichwohl können Schadensersatzansprüche dem Auftraggeber gegenüber bestehen. Im Ausnahmefall kann dies sogar zur Zahlung des entgangenen Gewinns verpflichten.

Zu beachten ist außerdem, dass die Aufhebung eines Vergabeverfahrens auch der Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegt – mithin Gegenstand in einem Verfahren vor den Vergabekammern sein kann.

Die Auftraggeber sollten vor Aufhebung des Vergabeverfahrens sehr sorgfältig prüfen, ob die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Beendigung der Ausschreibung nach den einschlägigen Vergabevorschriften tatsächlich gegeben sind.

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