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Der öffentliche Auftraggeber muss ungewöhnlich niedrige Angebote aufklären!

„Es ist einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehrt, auf ein ungewöhnlich niedriges Angebot den Zuschlag zu erteilen, solange die Prognose gerechtfertigt ist, dass der Bieter auch zu diesem Preis die Leistung zuverlässig und vertragsgerecht erbringen kann.“ So hat es die 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt (Aktenzeichen: 3 VK LSA 13 - 15/19) in einem Beschluss vom 3. Juni 2019 klarstellend ausgeführt.

23.04.2020

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber hatte im Wege der Öffentlichen Ausschreibung auf der Grundlage der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) die Dienstleistung „Pflege von Friedhöfen“ im Ausschreibungsblatt für Sachsen-Anhalt ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.

Der öffentliche Auftraggeber informierte die Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens auf der Grundlage des § 19 Abs. 1 LVG LSA darüber, dass ihre Angebote für die einzelnen Lose nicht berücksichtigt werden sollen. Zur Begründung führte der Auftraggeber aus, dass das Angebot für Los 1 um mehr als 50 v. H. (Rang 2) und für Los 2 und 3 um mehr als 100 v. H. (Rang 3 und Rang 2) über dem Angebot des günstigsten Bieters liege. Es sei daher beabsichtigt, für die einzelnen Lose den Zuschlag dem jeweils günstigsten Bieter zu erteilen.

Der öffentliche Auftraggeber wurde von der Antragstellerin im Rahmen einer Beanstandung nach § 19 Abs. 2 LVG LSA aufgefordert, die Preise der Bieter, auf die der Zuschlag erteilt werden sollte zu überprüfen. Der öffentliche Auftraggeber half der Beanstandung nicht ab und legte die Vergabeakten der Vergabekammer zur Entscheidung vor.

Entscheidung

Neben zahlreichen weiteren Vergabeverstößen stellte die Vergabekammer unter anderem fest, dass der öffentliche Auftraggeber keine ordnungsgemäße Prüfung der Angebote gemäß § 14 LVG LSA i. V. mit § 16 Abs. 6 VOL/A durchgeführt hat.

Nach § 14 Abs. 1 LVG LSA hat ein öffentlicher Auftraggeber ungewöhnlich niedrige Angebote, auf die er den Zuschlag erteilen will, zu überprüfen. Vergleichbare Regelungen finden sich beispielsweise in § 60 VgV, § 44 UVgO und § 5 SächsVergG. Nach den Landesregelungen ist ein Angebot, auf das der Zuschlag erteilt werden soll, vom öffentlichen Auftraggeber dann anhand der Kalkulation aufzuklären, wenn es um mindestens 10 v. H. vom nächsthöheren Angebot abweicht (§ 14 Abs. 2 LVG LSA, § 5 Abs. 2 SächsVergG).

Im zu entscheidenden Fall lagen die Angebote, die bezuschlagt werden sollten, zwischen 61 v. H. bis 118 v. H. von dem jeweils nächsthöheren Angebot entfernt. Der Auftraggeber war mithin verpflichtet, die Kalkulation dieser Angebote zu überprüfen.

Die Vergabekammer hat anhand der Dokumentation festgestellt, dass der öffentliche Auftraggeber die Kalkulation erst auf die Beanstandung der Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens bei den Bietern angefordert hatte. Der Vergabeakte war aber nicht zu entnehmen, ob eine Prüfung und Wertung der nachgeforderten Unterlagen überhaupt vorgenommen wurde – eine diesbezügliche Dokumentation war nicht Bestandteil der Vergabeakte. Damit ließ sich nach Auffassung der Vergabekammer nicht nachvollziehen, ob der öffentliche Auftraggeber seiner Aufklärungspflicht nachgekommen ist.

Die Vergabekammer kam daher – zutreffend – zu dem Ergebnis, dass der öffentliche Auftraggeber keine ordnungsgemäße Prüfung des Angebotes durchgeführt hatte.

Bedeutung für die Praxis/Ausblick

Häufig wird von den Auftraggebern als Zuschlagskriterium allein der Preis festgelegt. Das führt nicht selten dazu, dass „Unterkostenangebote“ abgegeben werden, um den Zuschlag zu erhalten. So ist beispielsweise allgemein anerkannt, dass einem Newcomer die Möglichkeit eingeräumt sein muss, einen Marktzutritt durch Abgabe eines „Unterkostenangebotes“ zu erhalten. Daher ist es einem Auftraggeber nicht generell verwehrt, auf solche Angebote auch den Zuschlag zu erteilen.

Der Auftraggeber muss aber sicherstellen, dass ein Bieter trotz eines solchen „Unterkostenangebotes“ die Leistung zuverlässig und vertragsgerecht erbringen kann. Das erfolgt grundsätzlich durch Einsichtnahme in die ordnungsgemäße Kalkulation des Bieters und entsprechende Aufklärungsgespräche. Anderenfalls läuft der Auftraggeber Gefahr, dass der Auftragnehmer während der Vertragslaufzeit in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung ist dann nicht mehr gewährleistet – es besteht das Risiko, dass der Auftragnehmer die Ausführung des Auftrags abbrechen muss. Das hat dann zur Folge, dass der öffentliche Auftraggeber den Auftrag dann später sogar neu vergeben muss, was mit zusätzlichen Kosten und nicht unerheblichem Mehraufwand verbunden sein kann.

Die Regelungen sind aber auch im Kontext mit den Vorschriften über die Einhaltung der Mindestlohnvorgaben zu sehen. Auf Angebote, die gegen die Vorgaben der Tarifvorschriften verstoßen, darf der Zuschlag nicht erteilt werden.

Zu berücksichtigen ist aber auch, dass der BGH mit Beschluss vom 31. Januar 2017 (AZ: X ZB 10/16, ZfBR 2017, 492) klargestellt hat, dass sowohl die Regelung über die Aufklärungspflicht als auch über die Vornahme der Prüfung durch den Auftraggeber uneingeschränkt drittschützende Wirkung hat. Das bedeutet, dass sich Bieter in einem möglichen Nachprüfungsverfahren hierauf immer berufen können, obwohl sie regelmäßig nichts Konkretes dazu vortragen können, ob tatsächlich ein Unterkostenangebot vorliegt. Da sie regelmäßig keine Einblicke in die Sphäre des Mitbewerbers haben, wäre es nach Auffassung des BGH überspannt, insoweit vom Antragsteller einen substantiierten Vortrag im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren zu verlangen.

Wegen der uneingeschränkten Überprüfbarkeit der insoweit bestehenden Verpflichtungen des öffentlichen Auftraggebers kann nur angeraten werden, bei der Aufklärung der Angebotspreise größte Sorgfalt walten zu lassen. Insbesondere müssen die Auftraggeber die Preise anhand der Kalkulation aufklären, wenn entsprechende Abweichungen zwischen den Angebotspreisen festzustellen sind. Wie die eingangs dargestellte Entscheidung deutlich macht, kommt der Vergabedokumentation insoweit eine erhebliche Bedeutung zu. Dieser muss zu entnehmen sein, ob und wie der öffentliche Auftraggeber die Preise überprüft hat und welche Beurteilungsentscheidung getroffen wurde.

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