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Besonders hohe Anforderungen an die Eignung können wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten!

Das Bayerische Oberste Landesgericht München (BayObLG) hat in seiner Entscheidung vom 6. September 2023 klargestellt, dass die Anforderungen an die Eignung nicht unangemessen hoch sein dürfen, sodass sie den Wettbewerb in einer Art und Weise beschränken, die sich auch mit der ganz erheblichen Bedeutung des Projekts nicht mehr rechtfertigen lässt (BayObLG, Beschluss vom 6. September 2023 – Verg 5/22).

24.10.2023
Vergaberecht
I. Sachverhalt

Im Rahmen der Sanierung eines Museums beabsichtigte der öffentliche Auftraggeber die Vergabe von Projektsteuerungsleistungen im offenen Verfahren. Beauftragt werden soll ausweislich der europaweiten Bekanntmachung vom 24. August 2021 die Projektsteuerung mit Schnittstellenmanagement für das Gesamtprojekt sowie für das Teilprojekt Bau und das Teilprojekt Ausstellungen, das die Neugestaltung von fünf Einzelausstellungen umfasst.

In der Bekanntmachung forderte der Auftraggeber unter Ziffer III. 1.3) „Technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ als „Mindeststandards“ mindestens zwei Referenzen über Projektsteuerungsleistungen bei Bauvorhaben mit Baukosten jeweils über mindestens 100 Millionen EUR und einer Leistungszeit von mindestens fünf Jahren.

Eines dieser zwei Referenzprojekte musste ein Sanierungsprojekt sein. Zusätzlich war mindestens eine Referenz zu benennen, die die Projektsteuerung der Planung und Ausführung der Neugestaltung von wenigstens drei Einzelausstellungen (Dauerausstellungen) im Rahmen der Sanierung/eines Umbaus eines Gebäudes einschließlich der Betreuung von Schnittstellen zum Bauprojekt und dem Aus- und Einzug der Ausstellungsprojekte zum Gegenstand hatte. Die Projektstufe 4 musste bei den Referenzprojekten innerhalb der letzten zehn Jahre abgeschlossen worden sein.

Als weiterer Mindeststandard wurde die Beschäftigung von mindestens 80 Mitarbeitern, davon mindestens 50 Architekten und Bauingenieuren, gefordert.

Der Antragsteller hatte insbesondere die aufgestellten Eignungskriterien als „überzogen“ gerügt.

Ohne vorherige Abgabe eines Angebots beantragte der Antragsteller die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens. Da er keine Referenz für die Projektsteuerung von Ausstellungen im Museumsbereich habe, sei er an der Teilnahme am Verfahren gehindert. Die Referenzanforderung verstoße zudem gegen § 122 Abs. 4 GWB und es fehle der konkrete Auftragsbezug. Außerdem seien die Anforderungen unverhältnismäßig und könnten praktisch nur von demjenigen Projektsteuerer erfüllt werden, der bereits den vorhergehenden Realisierungsabschnitt ausgeführt habe.

Der Nachprüfungsantrag war erfolglos, sodass der Antragsteller gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 30. März 2022 die sofortige Beschwerde eingelegt hat.

II. Entscheidung

Das angerufene Gericht gab dem Antragsteller Recht und hob den Beschluss der Vergabekammer auf.

1.

Das BayObLG führte insbesondere aus, dass der Antragsteller und Beschwerdeführer antragsbefugt ist, obwohl er gerade kein Angebot abgegeben hat.

Der Antragsteller hatte (insbesondere) vorgebracht, dass er keine Referenz für die Projektsteuerung einer Neugestaltung von Ausstellungen in Museen habe und daher an einer Angebotsabgabe gehindert sei. In einem derartigen Fall – so führt das erkennende Gericht aus – ist das nötige Interesse am Auftrag in ausreichender Weise durch eine Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB und die nachfolgende Stellung eines Nachprüfungsantrags dokumentiert.

Das Gericht argumentiert damit, dass der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren gerade die Forderung dieser Referenz als unverhältnismäßig gemäß § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB gerügt habe. Diese stellen auch mögliche Rechtsverletzungen gemäß § 97 Abs. 6, § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB dar und reicht es insoweit aus, dass es möglich erscheint, dass der Antragsteller ohne die Mindestanforderung ein möglicherweise erfolgversprechendes Angebot hätte abgeben können, und ihm daher infolge der gerügten Rechtsverletzungen ein Schaden entstanden ist.

Im Übrigen war der Antragsteller mit seinen Rügen auch nicht präkludiert.

2.

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die als Mindeststandard für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit geforderte Referenz nicht mehr den Anforderungen des § 122 Abs. 4 Satz 1 GWB genügt.

Wörtlich führte das Gericht aus:

„Die geforderte Referenz ist zwar auftragsbezogen, da sie gerade einen Teilbereich genau der Leistungen umfasst, die ausgeschrieben sind. Zugunsten der Antragsgegnerin kann auch angenommen werden, dass sie zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit geeignet ist, obwohl dies bereits gewissen Bedenken begegnet.

Indessen stellt die Mindestreferenz zum Nachweis der Leistungsfähigkeit unangemessen hohe Anforderungen, insbesondere unter Berücksichtigung der damit notwendigerweise verbundenen Wettbewerbsbeschränkung.

Die dargestellten hohen Referenzanforderungen sind schon an sich geeignet, den Wettbewerb erheblich einzuschränken. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin als weitere Mindestanforderung zwei Referenzen über eine Projektsteuerung bei Bauvorhaben mit Baukosten über mindestens 100 Millionen EUR brutto und einer Mindestlaufzeit von fünf Jahren fordert. Weitere Mindestvoraussetzung ist eine Beschäftigung von mindestens 80 Mitarbeitern, davon mindestens 50 Architekten und Bauingenieure.“

Weiterhin hatte das Gericht festgestellt, dass der Auftraggeber nicht dargelegt und nachgewiesen habe, dass es überhaupt eine nennenswerte Anzahl von Projektsteuerungsbüros der geforderten Größe gibt, die zudem über die geforderten Referenzen in Bezug auf die Neugestaltung dreier Dauerausstellungen verfügen.

Das Gericht hatte auch den Verlauf des Vergabeverfahrens in den Blick genommen. Tatsächlich war nach dem Vortrag des Auftraggebers nur ein Angebot eingegangen.

Insoweit führte das Gericht ferner aus:

„Dies stellt allenfalls ein Indiz für, aber nicht gegen eine erhebliche wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Referenzanforderungen dar. Dass sich fünf bis sechs Unternehmen für die Ausschreibung interessiert hätten, wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt hat, ändert hieran nichts. Wenn ein Interessent nach Einblick in die Auftragsbekanntmachung von der Abgabe eines Angebots absieht, spricht dies eher dafür, dass die gestellten Anforderungen (zu) hoch waren. Jedenfalls lässt sich aus dem bloßen Interesse der Unternehmen nicht folgern, der Wettbewerb sei durch die Referenzanforderungen nicht übermäßig beschränkt worden.“

Im Ergebnis hat das Gericht festgestellt, dass die vom Auftraggeber aufgestellten Mindeststandards für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit zwar geeignet sind, aber unangemessen hohe Anforderungen stellen. Sie schränken den Wettbewerb unzulässig ein. Den Beschluss vom 6. September 2023 finden Sie hier.

III. Ausblick

Der Entscheidung des BayObLG ist zuzustimmen. Das Gericht hebt deutlich hervor, dass (gerade) bei der Auswahl der Eignungskriterien ein hoher Sorgfaltsmaßstab anzuwenden und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.

Grundsätzlich steht einem öffentlichen Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenzen in § 122 Abs. 4 GWB findet. Allerdings dürfen nur Eignungskriterien aufgestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen.

Die Eignungskriterien müssen geeignet und erforderlich sein, um die Leistungsfähigkeit in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen. Dabei sind unter anderem die Komplexität des Auftrags und das Gewicht, das die ordnungsgemäße Auftragserfüllung für den Auftraggeber hat, in den Blick zu nehmen. Je komplexer der Auftragsgegenstand, desto höhere Eignungsanforderungen können gestellt werden.

Der Auftraggeber hat in die Angemessenheitsprüfung aber auch die Auswirkungen auf den Wettbewerb einzubeziehen. Das setzt eine Abwägung zwischen einer möglichst großen Auswahl an Angeboten und der Gefahr nicht ordnungsgemäßer Ausführung voraus.

Besonders hohe Anforderungen können unangemessen sein, wenn sie wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten, weil nur ein oder wenige Unternehmen sie erfüllen. In einem solchen Fall ist es nötig, dass die Anforderungen durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sind. Je einschneidender der Wettbewerb beschränkt wird, desto höher sind die Anforderungen an die gewichtigen Gründe.

Öffentliche Auftraggeber sind daher gut beraten, genau zu prüfen, ob die aufgestellten Kriterien an die technische und wirtschaftliche Eignung möglicher Bieter tatsächlich in einem angemessenen Verhältnis zum konkreten Auftrag stehen und den Wettbewerb nicht unzulässig einschränken.

Die Auftraggeber sollten zudem berücksichtigen, dass sie bei zu hohen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit unnötig den möglichen Teilnehmerkreis begrenzen und unter Umständen mögliche Bieter mit guten Angeboten von vorn herein ausschließen.

Gern unterstützen wir Sie bei der Prüfung Ihrer Vergabeunterlagen, insbesondere in Bezug auf die aufgestellten Eignungskriterien aber auch bei allen anderen Fragen rund um das Vergaberecht.

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Lars Mörchen
Lars Mörchen

Senior Associate, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht

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