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BAG: Keine absolute Neutralitätspflicht des Arbeitgebers bei Betriebsratswahlen (BAG, Beschluss vom 25.10.2017, Az. 7 ABR 10/16)

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Arbeitgeber anlässlich einer Betriebsratswahl keiner strikten Neutralitätspflicht unterliegt. Aus dem Gesetz lasse sich nicht ableiten, dass dem Arbeitgeber jede kritische Äußerung über den bestehenden Betriebsrat oder einzelne seiner Mitglieder im Hinblick auf eine zukünftige Wahl untersagt sein soll. Es darf lediglich keine Beeinflussung durch die Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolgen.

17.04.2018

Sachverhalt und Hintergrund

Am 5. Mai 2014 fand in dem Gemeinschaftsbetrieb der beteiligten Arbeitgeberinnen eine Betriebsratswahl statt, aus welcher der aus dreizehn Mitgliedern bestehende Betriebsrat hervorging. Das Wahlergebnis wurde durch Aushang am 8. Mai 2014 bekannt gemacht.

Die Antragsteller – drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs – fochten die Betriebsratswahl am 19. Mai 2014 beim Arbeitsgericht an. Sie trugen vor, die Geschäftsleitung habe versucht, den Ausgang der Wahl in unzulässiger Weise zu beeinflussen, indem die Arbeit der damaligen Betriebsratsvorsitzenden öffentlich diskreditiert worden sei. Der Personalleiter einer der beteiligten Arbeitgeberinnen habe auf einem Treffen der außertariflichen Angestellten vor ca. 80 Anwesenden geäußert, die Betriebsratsvorsitzende behindere die Arbeit des Unternehmens. Er rege an, bei der im kommenden Jahr stattfindenden Betriebsratswahl eine „gescheite Liste“ aufzustellen. Der damalige Geschäftsführer einer weiteren beteiligten Arbeitgeberin habe die Anwesenden aufgefordert, geeignete Mitarbeiter des Unternehmens für einen neuen Betriebsrat zu suchen. Der Personalleiter habe Beschäftigte angesprochen, ob sie sich zur Wahl stellen und ggf. den Betriebsratsvorsitz übernehmen wollten. Auch auf einem Führungskräftetreffen mit Mitarbeitern des Innendienstes mit Führungsverantwortung am 15. Oktober 2013 sei es maßgeblich um Betriebsratswahlen gegangen. Der Personalleiter habe den Mitarbeitern gegenüber geäußert, jeder, der Frau S seine Stimme bei der Betriebsratswahl gebe, begehe „Verrat“. Die Intervention der Geschäftsleitung habe zur Gründung einer weiteren Liste geführt und damit entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt.

Das Arbeitsgericht wies die auf Wahlanfechtung gerichteten Anträge ab. Auf die Beschwerde der Antragsteller erklärte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wahl für unwirksam.  Die Arbeitgeberseite habe ihre „Neutralitätspflicht“ verletzt.

Entscheidungsinhalt

Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf.

Das Landesarbeitsgericht hatte argumentiert, es sei einem Arbeitgeber verwehrt, über die speziellen Verbote des § 20 BetrVG hinaus in irgendeiner Weise auf die Wahlentscheidung Einfluss zu nehmen, weil die Bildung und Zusammensetzung des Betriebsrats ausschließlich eine Angelegenheit der Arbeitnehmer sei. Als Gegenspieler des Betriebsrats habe sich der Arbeitgeber jeglichen Einflusses auf dessen Zusammensetzung zu enthalten. Er unterliege einem strikten Neutralitätsgebot und dürfe insbesondere keine Wahlpropaganda für oder gegen eine Liste oder bestimmte Wahlbewerber machen. Der Wähler solle vor Beeinflussungen geschützt werden, die geeignet seien, seine Entscheidungsfreiheit ernstlich zu beeinträchtigen. Dem Arbeitgeber sei es nicht gestattet, Wahlempfehlungen auszusprechen oder gezielt einzelne, ihm besonders geeignete Bewerber zur Kandidatur aufzufordern.

Dieser strengen Auslegung ist das Bundesarbeitsgericht nun entgegengetreten.

Nach § 20 Abs. 2 BetrVG dürfe niemand die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.

Untersagt sei danach jede Benachteiligung oder Begünstigung etwa durch eine finanzielle Unterstützung einzelner Kandidaten oder Wahlvorschlagslisten mit dem Ziel der Wahlbeeinflussung. Diese Vorschrift untersage nicht jede Handlung oder Äußerung, die geeignet sein könnte, die Wahl zu beeinflussen. Die Beeinflussung müsse vielmehr durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolgen.

  • 20 Abs. 2 BetrVG schütze die innere Willensbildung des Arbeitnehmers, um eine freie Wahlentscheidung zu gewährleisten. Er könne sich dazu von den Standpunkten anderer Arbeitnehmer, Gewerkschaften oder auch des Arbeitgebers leiten oder beeinflussen lassen. Es sei nicht gesagt, dass sich ein Wahlberechtigter von einer Wahlempfehlung allein deshalb überzeugen lässt, weil diese von bestimmter Stelle, etwa vom Arbeitgeber, ausgesprochen wurde. Ebenso könne das Gegenteil eintreten. Von einer unzulässigen Wahlbeeinflussung gehe das Gesetz daher nicht schon dann aus, wenn der Arbeitgeber nur seine Sympathie mit bestimmten Listen oder Kandidaten bekundet.

Ein striktes, über den Wortlaut des § 20 Abs. 2 BetrVG hinausgehendes Neutralitätsgebot des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen würde auch zu keinen sinnvollen, rechtssicher handhabbaren Ergebnissen führen. Die Wahlen wären einem hohen Anfechtungsrisiko ausgesetzt, wenn der Arbeitgeber sich jeder kritischen Äußerung über den bestehenden Betriebsrat oder einzelne seiner Mitglieder im Hinblick auf eine zukünftige Wahl enthalten müsste; dies gelte auch für lange zurückliegendes Verhalten des Arbeitgebers.

Mit der Äußerung, jeder, der Frau S seine Stimme bei der Betriebsratswahl gebe, begehe „Verrat“, habe der Personalleiter möglichen Wählern von Frau S keine Nachteile angedroht. Aufgrund des Wahlgeheimnisses wären Nachteile, welche die Wähler der Frau S aufgrund des „Verrats“ befürchten müssten, nicht feststellbar.

Auch wenn aus dem Verhalten des Arbeitgebers eine „Gesamtstrategie“ mit dem Ziel einer anderen Betriebsratszusammensetzung erkennbar sein sollte, liege hierin noch kein Verstoß gegen das Verbot der Wahlbeeinflussung in § 20 Abs. 2 BetrVG.

Folgen der Entscheidung

Es handelt sich um eine durchaus richtungsweisende Entscheidung. Sie bringt mehr Rechtssicherheit für Arbeitgeber hinsichtlich der Frage, ob und wie sie sich im Rahmen von Betriebsratswahlen zu den jeweiligen Listen und Kandidaten positionieren dürfen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Grenzen der verbotenen Einflussnahme nach § 20 BetrVG auf die Betriebsratswahl klarer definiert und so eng gezogen, dass der Arbeitgeber in einen Meinungswettstreit eintreten und eine Bewertung von Kandidaten und Listen abgeben sowie auch Mitarbeiter zur Kandidatur auffordern kann. Er darf sich auch kritisch über Kandidaten und Listen äußern.

Arbeitgeber sollten Ihren neu erworbenen Betätigungsspielraum indes nicht überspannen. Die Äußerung, die Stimmabgabe für eine bestimmte Person stelle einen „Verrat“ dar, dürfte als äußerste Grenze dessen anzusehen sein, was die Rechtsprechung an arbeitgeberseitigen Verlautbarungen im Betriebsratswahlkampf durchgehen lässt. In welchen Fällen genau von einer unzulässigen Einflussnahme durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder der Gewährung oder dem Versprechen von Vorteilen gesprochen werden kann, bleibt eine Frage des Einzelfalls.

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