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Aktuelle Entwicklungen in der Margenbesteuerung

Die für die Leistungen von Reiseveranstaltern maßgebende Sonderform der Besteuerung, die ursprünglich als Vereinfachung gedacht war, ist mittlerweile zu einem der komplexesten Bereiche des Mehrwertsteuerrechts geworden. Auch aktuell gibt es wieder viel Bewegung hinsichtlich der Auslegung und Entwicklung der Rechtsnorm.

09.10.2018

Mit den Schlussanträgen vom 5. September 2018 äußerte sich der Generalanwalt Michal Bobek zu zwei anhängigen EuGH-Verfahren zur Margensteuer: Zum einem zum deutschen Verfahren C-552/17, Alpenchalets Resorts GmbH und zum anderem zum polnischen Verfahren C-422/17, Skarpa Travel.

EuGH Verfahren C-552/17 – Ist die Margenbesteuerung auch bei Erbringung nur einer Leistung (hier Überlassung einer Ferienwohnung) anwendbar und falls Ja, ist hierbei der ermäßigte Steuersatz anzuwenden?

Nach Auffassung des Generalanwalts ist die Margensteuer auch bei der Erbringung nur einer zugekauften Leistung anwendbar, sofern es sich bei ihr um Unterbringung oder Beförderung handelt. Ob neben der zugekauften Leistung weitere Leistungen erbracht werden und ob diese im Verhältnis Haupt- und Nebenleistung stehen, wäre demnach irrelevant. Der Generalanwalt tendiert somit zu einer weiten Auslegung der Vorschrift.

Der Generalanwalt spricht sich jedoch erwartungsgemäß gegen eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei der Margenbesteuerung aus. Ist auch bei Erbringung einer einzelnen Leistung die Margenbesteuerung anwendbar, so liegt nicht mehr die Leistung „Beherbergung“, sondern eine andere Form der Leistung, nämlich eine Reiseleistung vor. Diese gehört nicht zu den für einen ermäßigten Steuersatz in Frage kommenden Leistungen.

Praxishinweis: Es bleibt vorerst abzuwarten, ob das Gericht die Auffassung des Generalanwalts übernimmt. Jedoch ist dies erfahrungsgemäß der Fall. Demnach wäre wie nach aktueller Rechtsprechung (z. B. BFH-Urteil vom 7. Oktober 1999, V R 79 80/98), die Sonderreglung bereits bei Vorliegen einer zugekauften Leistung anwendbar. Auffallend ist jedoch, dass der Generalanwalt jeweils nur eine Unterbringung oder Beförderung erwähnt. Ob daraus abzuleiten ist, dass andere Reiseleistungen wie z. B. die Mietwagenüberlassung oder Reiseleitung als Einzelleistung nicht ausreichen, um die Margenbesteuerung zu begründen, bleibt abzuwarten.

EuGH Verfahren C-442/17 – Entsteht die Umsatzsteuer bei der Margenbesteuerung bereits mit Anzahlung, falls Ja, sind die bis zum Zeitpunkt der Anzahlung angefallenen Reisevorleistungen bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen?

Gemäß Artikel 65 MwStSystRL entsteht die Umsatzsteuer auf Anzahlungen, abweichend vom Erbringungszeitpunkt der Lieferung oder Leistung, bereits mit Vereinnahmung der Zahlung. Hinsichtlich der Margenbesteuerung ergibt sich das Problem, dass die für die Bestimmung der Umsatzsteuer benötigte Marge im Zeitpunkt der Anzahlung noch nicht endgültig feststeht. Die polnische Finanzverwaltung wandte sich deshalb mit der Frage an den EuGH, ob die Anzahlung bereits im Zeitpunkt der Vereinnahmung zu besteuern ist und wie die Bemessungsgrundlage in diesem Fall richtlinienkonform zu bestimmen ist.

Nach Auffassung des Generalanwalts entsteht die Umsatzsteuer bereits mit Zahlungseingang der Anzahlung. Eine Ausnahme von der Grundregel der Steuerentstehung von Anzahlungen gem. Art. 65 MwStSystRL ist nicht mit dem Unionsrecht vereinbar.

Die Umsatzsteuer bemisst sich auch bereits in diesem Zeitpunkt nach der Marge, also der Differenz zwischen der Anzahlung und dem prozentualen Anteil der voraussichtlichen Kosten. Konkret bedeutet dies, dass die kalkulierte voraussichtliche Marge der gesamten Leistung (finaler Reisepreis abzgl. endgültiger Reisevorleistungen) bereits auf die Anzahlung angewendet werden soll. Kalkuliert der Veranstalter beispielsweise mit einer Marge von 20 Prozent wäre bei einer Anzahlung von EUR 500,00 die für die Umsatzsteuer maßgebende Marge von EUR 100,00 anzusetzen. Interessant sind die Ausführungen im Schlussantrag des Generalanwalts zur Komplexität der Margenbesteuerung: Er stellt fest, dass die Regelung einer der komplexesten Gebiete der Umsatzsteuer geworden ist und schlägt vor, im EU-Gesetzgebungsverfahren Schritte zur Vereinfachung anzugehen.

Praxishinweis: Derzeitig löst die deutsche Finanzverwaltung die Problematik der Anzahlungen, indem sie dem Steuerpflichtigen erlaubt, die auf die Anzahlungen entfallende Umsatzsteuer sachgerecht zu schätzen. Diese Schätzung kann beispielsweise der steuerpflichtigen Marge des Vorjahres entsprechen. Sollte der EuGH den Ausführungen des Generalanwalts folgen und entsprechend urteilen, wäre die deutsche Regelung nur noch eingeschränkt unionrechtskonform.

Fiscalis 2020 Workshop 

Im Dezember 2017 veröffentlichte die EU-Kommission eine umfangreiche Studie über die Margensteuer und deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten. Das Ergebnis der Studie zeigt unter anderem, dass es wesentliche Unterschiede bei der konkreten Umsetzung der MwStSystRL gibt und Mitgliedsstaaten die EU-Vorgaben der MwStSystRL nicht vollends einhalten. Dies führte in den letzten Jahren zu einer Zunahme von Vertragsverletzungsverfahren (unter anderem gegen die Bundesrepublik Deutschland, Urteil vom 8. Februar 2018, Az. C-380/16 eureos-News vom 8. Februar 2018). Der im Bundesministerium für Finanzen stattfindende Workshop soll nunmehr eine Plattform für Interessenvertreter der Branche und der Mitgliedsstaaten bieten, um über die Zukunft der Rechtsnorm zu diskutieren.

Ziele des Workshops sind insbesondere:

  • Überprüfung der Notwendigkeit der Sonderbesteuerungsform,
  • besseres Verständnis der Regelung unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung,
  • Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten,
  • Identifizierung von Reformbedarf unter Berücksichtigung der Interessen der Reiseindustrie und der Mitgliedsstaaten.

Besonders im Bereich der Ermittlung der Marge (Einzel- oder Gruppen- bzw. Gesamtmarge) hofft die Branche auf eine praxisorientierte Lösung. Eine Ermittlung der Einzelmarge ist i. d. R. nur auf Basis von Schätzungen, Aufteilungen und Annahmen möglich und verursacht einen wesentlich höheren Aufwand, insbesondere aufgrund komplexer Ermittlungen und mehrfacher Berichtigungen über lange Zeiträume. Sie ist schwer zu überprüfen und fehleranfällig. Ihre Ergebnisse sind deshalb nicht genauer als die Gruppen- oder Gesamtmargenberechnung. Ziel muss es deshalb sein, die Margenbesteuerung beizubehalten, aber sinnvolle Erleichterungen zu ihrer Ermittlung auf EU-Ebene zu regeln.

Sollten Sie Fragen zu den aktuellen Entwicklungen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

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Ines Kanitz
Ines Kanitz

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