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Muss ein öffentlicher Auftraggeber das Steuerrecht kennen?

Unter bestimmten Voraussetzungen ist ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines Vergabeverfahrens verpflichtet, komplexe und steuerrechtlich anspruchsvolle Prüfungen vorzunehmen. Erfolgt dies nicht, liegt unter Umständen ein Vergabefehler vor. So hat es aktuell die 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen (Aktenzeichen: 1/SVK/021-19) in ihrem Beschluss vom 1. August 2019 entschieden.

12.09.2019

Sachverhalt:

Dem Verfahren lag eine Vergabe der Dienstleistung Schülerbeförderung in verschiedenen Losen zugrunde. Die Auftraggeberin hatte in den Vergabeunterlagen festgelegt, dass die Wertung der Angebote auf Bruttobasis vorgenommen werden soll. Daher war es möglich, dass die von den Bietern jeweils ausgewiesene Umsatzsteuer Auswirkungen auf das Wertungsergebnis haben konnte.

Die Auftraggeberin hatte in den Bewerbungsbedingungen unter anderem aufgenommen:

„Alle Preise sind in Euro anzugeben. Die Preise (Einheitspreise, Pauschalpreise, Verrechnungssätze USB.) sind ohne Umsatzsteuer anzugeben. Der Umsatzsteuersatz ist unter Zugrundelegung des geltenden Steuersatzes pro Position des Leistungsverzeichnisses anzugeben.“

In der Leistungsbeschreibung war der Hinweis enthalten:

„Hinsichtlich Ermäßigung/Freistellung der angebotenen Mehrwertsteuer sind alle gesetzlichen Möglichkeiten entsprechend den Regelungen des Umsatzsteuergesetzes (UStG), insbesondere § 4 Abs. 17b und § 12 UStG zu berücksichtigen.“

 Auf den von der Auftraggeberin vorgegebenen Formblättern hatten die Bieter Tourenpläne zu erstellen. In diesen Tourenplänen konnten die Bieter je Los beliebig viele Touren zusammenstellen. Das Formblatt für diese Tourenpläne enthielt am Blattende Platzhalter, um hier die Nettopreise (Gesamtpreis der Tour) auszuweisen und zudem noch ein Platzhalterkästchen, in welchem der für die Tour zu veranschlagende Mehrwertsteuersatz auszuweisen war. Mehrere Steuersätze konnten hier nicht eingetragen werden.

Die Angaben aus diesen Formblättern waren in einem Preisblatt zusammenzuführen. Hierin war unter anderem der Gesamtpreis pro Tour (netto), Steuersatz und der sich jeweils ergebende Gesamtpreis pro Tour (brutto) einzutragen. Die Bruttopreise waren insgesamt zu saldieren und der sich so ergebende Gesamttagespreis war letztlich als Bruttowert in das Angebotsschreiben zu übertragen.

Die Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens hatte für jede einzelne Tour – unabhängig von der Streckenlänge – durchgängig den Mehrwertsteuersatz von 19 % berechnet. Die Beigeladene, die von der öffentlichen Auftraggeberin den Zuschlag erhalten sollte, hatte jede einzelne Tour durchgängig mit 7 % berechnet.

Die Vergabekammer musste sich folglich mit der Preisprüfung der Auftraggeberin und den umsatzsteuerlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist bei derartigen Beförderungsleistungen nicht der volle Mehrwertsteuersatz, sondern eine verminderte Umsatzsteuer in Höhe von 7 % ansetzbar. Das gilt z. B. bei Fahrtstrecken unter 50 km Gesamtlänge. Darüber hinaus ist die Beförderung von kranken und verletzten Personen mit Fahrzeugen, die hierfür besonders eingerichtet sind, gänzlich von der Umsatzsteuer befreit.

Die Auftraggeberin hatte aber im Rahmen der Prüfung der Angebote die jeweils in Ansatz gebrachte Umsatzsteuer als solche nicht geprüft. Ihre Prüfung beschränkte sich lediglich darauf, dass der Tourenplan als solcher zeitlich und inhaltlich stimmte, insbesondere dass alle Schüler zur richtigen Zeit abgeholt und zur richtigen Zeit zur Schule gebracht werden würden und dass auch kein Schüler vergessen worden wäre. Eine inhaltliche Auseinandersetzung damit, ob der angegebene Steuersatz mit den steuerrechtlichen Bedingungen und der konstruierten Tourenplanung im Einklang steht, erfolgte nicht. Das hätte nach Auffassung der Vergabekammer aber geschehen müssen.

Entscheidung:

Die Vergabekammer führte unter Verweis auf VK Nordbayern (Beschluss vom 29.10.2013 – 21.VK-3194-42/13) und VK Arnsberg (Beschluss vom 29.01.2009 – VK 34/08) aus, dass ein öffentlicher Auftraggeber verpflichtet ist, jedenfalls offensichtlich falsche Steuersätze zu ergänzen bzw. ähnlich einem Rechenfehler zu korrigieren. Hieraus ergebe sich für einen öffentlichen Auftraggeber eine komplexe und steuerrechtlich anspruchsvolle Prüfpflicht. Wird diese Prüfung nicht vorgenommen, liegt ein Ermessensausfall vor.

Im Ergebnis hielt es die Vergabekammer für unzulässig, dass der Auftraggeber den jeweils angegebenen Steuersatz ungeprüft ließ und nicht zumindest eine bestmögliche Plausibilitätsprüfung vorgenommen hat. Eine Wertung sämtlicher Angebote ohne vertiefte Betrachtung der angesetzten Steuersätze stellt nach Auffassung der Vergabekammer daher eine Rechtsverletzung der Antragstellerin dar. Dem Nachprüfungsantrag wurde daher insoweit stattgegeben. Die Auftraggeberin wurde daher verpflichtet, die Wertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.

Bedeutung für die Praxis/Ausblick:

Diese Entscheidung macht deutlich, dass sich ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der Angebotswertung nicht darauf beschränken kann, ob ein Bieter die Tourenpläne ordnungsgemäß erstellt hat und die hierfür erforderlichen Formblätter ordnungsgemäß ausgefüllt hat. Unter bestimmten Voraussetzungen muss ein öffentlicher Auftraggeber – wenn es hierauf für die Zuschlagserteilung ankommt – auch prüfen, ob der jeweilige Bieter die richtigen Umsatzsteuersätze veranschlagt hat. Anderenfalls läuft der Auftraggeber Gefahr, dass die von ihm vorgenommene Wertung beanstandet wird, so wie im vorliegenden Verfahren erfolgreich geschehen.

Unter Umständen ist es in einem solchen Fall für den öffentlichen Auftraggeber besser, nicht auf den Bruttopreis, sondern auf den Nettopreis abzustellen. Hierauf hat die Vergabekammer des Freistaates Sachsen unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 14. September 2016 (VII-Verg 14/16) hingewiesen.

Das OLG Düsseldorf hatte in einem Vergabeverfahren zur Vergabe von Beförderungsleistungen von Schülern mit körperlicher oder geistiger Behinderung es zumindest als vertretbar angesehen, auf den Nettopreis abzustellen. Das gilt zumindest dann, wenn zum Zeitpunkt der Ausschreibung und Angebotsabgabe die für eine Reduzierung des Umsatzsteuersatzes nach § 12 Abs. 1 Nr. 10 b UStG maßgebliche Länge der jeweils zurückzulegenden einfachen Fahrtstrecken noch nicht feststeht und auch noch nicht abschließend beurteilt werden kann, wie viele Schüler tatsächlich im Rollstuhl sitzend zu befördern waren und ob die Voraussetzungen für eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Abs. 17 b UStG vorliegen.

In diesem (Sonder-)Fall muss sich der öffentliche Auftraggeber dann jedenfalls nicht mit den Besonderheiten des materiellen Steuerrechts auseinandersetzen.

Werden vom Auftraggeber Bruttopreise abgefragt und gewertet, kommt es – wie der vorliegende Fall deutlich macht – zu Ungenauigkeiten, die sich negativ auf die Vergleichbarkeit der Angebote auswirken können. Die Bieter würden ihrer Kalkulation unterschiedliche Umsatzsteuersätze (19 %, 7 % und 0 %) in unterschiedlichem Umfang zugrunde legen, je nachdem welche Fahrtenplanung sie für realistisch halten und welche Rechtsansicht sie zur Umsatzsteuerbefreiung bei Beförderungen von im Rollstuhl sitzenden Personen haben.

Die Summe der aufgezeigten Kalkulationsannahmen kann dazu führen, dass sich die mit der Preiskalkulation sowieso schon verbundenen Unsicherheiten und Risiken weiter erhöhen und damit dem Ziel, vergleichbare Angebote zu erhalten, zuwiderlaufen (vgl. OLG Düsseldorf ebenda).

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