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Dürfen steuerbegünstigte Medizinische Versorgungszentren und andere Wohlfahrtseinrichtungen wieder Gewinne erzielen?

Die eingangs formulierte Frage mutet seltsam an, fragt man sich doch, warum steuerbegünstigte Medizinische Versorgungszentren und andere Wohlfahrtseinrichtungen (Betreutes Wohnen, ambulante Pflegedienste etc.) bislang nicht mit Gewinn arbeiten durften, was denn dann überhaupt der Sinn der Steuerbegünstigung war etc. Auch wenn die Frage seltsam anmutet; sie ist ernst gemeint.

19.01.2018

Der BFH hatte im sog. „Rettungsdienst-Urteil“ (vom 27.11.2013, I R 17/12) entschieden, dass die Formulierung in § 66 Abs. 2 Satz 1 AO, wonach eine Wohlfahrtseinrichtung „nicht des Erwerbs wegen“ betrieben werden darf, so zu verstehen ist, dass die Einrichtung keine Gewinne anstreben darf, die über den konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen Geschäftsbetriebes hinausgehen. Genauso wenig war eine Quersubventionierung anderer, defizitärer Zweckbetriebe, wie z. B. von Krankenhäusern oder Pflegeheimen, oder auch des ideellen Bereichs aus Gewinnen einer Wohlfahrtseinrichtung zulässig. Im Ergebnis dessen wurden bestimmte steuerbegünstigte wirtschaftliche Tätigkeiten anders behandelt als die Vielzahl der steuerbegünstigten Tätigkeiten und dies ohne ersichtlichen fiskalischen (Lenkungs-) Zweck.

Ob diese Rechtsprechung insgesamt zutreffend ist, soll hier dahinstehen. Zweifel sind insoweit angebracht, als die Finanzverwaltung Wohlfahrtseinrichtungen letztlich zwingt, ihre Leistungen tendenziell billiger anzubieten, als dies andere Marktteilnehmer tun würden. Dies steht in einem gewissen Widerstreit zum gesetzlichen Verbot von Vorteilsgewährungen (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 AO). Zudem hat der Staat Eingriffe in den Wettbewerb grundsätzlich zu unterlassen bzw. dahingehend zu prüfen, ob sie hinreichend gerechtfertigt sind. Eine Rechtfertigung ist kaum ersichtlich.

Die Finanzverwaltung hat ihre Interpretation des Urteils seit Anfang 2016 immer wieder angepasst, zuletzt mit BMF-Schreiben vom 6.12.2017, IV C 4 – S 0185/14/10002. Danach ergibt sich nun die folgende Verwaltungsauffassung:

  1. Zur Prüfung der Frage, ob die Wohlfahrtseinrichtung „des Erwerbs wegen“ tätig ist, ist zunächst einmal eine sog. „wohlfahrtspflegerische Gesamtsphäre“ zu bilden. Zu ihr gehören:
    a. sämtliche Wohlfahrtseinrichtungen im Sinne des § 66 AO (MVZ, betreutes Wohnen, ambulante Pflegedienste etc.),
    b. sämtliche speziellen Zweckbetriebe im Sinne des § 68 AO, soweit sie auch die Voraussetzungen des § 66 AO erfüllen (z. B. Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime, Erholungsheime sowie Mahlzeitendienste, möglicherweise auch Kindergärten),
    c. sämtliche Krankenhäuser (§ 67 AO) und
    d. alle ideellen Tätigkeiten, sofern sie unter § 66 AO fallen würden, wenn sie entgeltlich ausgeführt würden.
  2. Es ist sodann der Gewinn der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre zu ermitteln und mit deren konkretem Finanzierungsbedarf zu vergleichen. Dabei handelt es sich um die Erträge, die für den Betrieb und die Fortführung der Wohlfahrtseinrichtungen notwendig sind. Vom Steuerpflichtigen ist möglichst darzustellen, dass der konkrete Finanzierungsbedarf mindestens so hoch ist, wie der Gewinn.
  3. Bei der Ermittlung des konkreten Finanzierungsbedarfs sind alle Umstände zu berücksichtigen, die den betreffenden Gewinn aus betrieblichen Gründen geboten erscheinen lassen, wie etwa die Inflation. Außerdem sind die zulässigen Zuführungen und Inanspruchnahmen der Rücklagen im Sinne von § 62 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO zu berücksichtigen.
  4. Die Rücklagen im Sinne von § 62 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO umfassen u. a. Rücklagen für konkret geplante Vorhaben in der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre. Zu den Rücklagen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO zählen üblicherweise auch solche für Erweiterungsinvestitionen, wie etwa der Erwerb von KV-Sitzen durch ein MVZ. Insoweit besteht möglicherweise ein Widerspruch zu der weiteren Regelung im BMF-Schreiben, wonach zum konkreten Finanzierungsbedarf nur solche Aufwendungen gehören, die für den Betrieb und die Fortführung der Wohlfahrtseinrichtungen notwendig Das BMF scheint somit auf den Erhalt des status quo der jeweiligen Wohlfahrtseinrichtung abzustellen.
  5. Als unbeachtlich im Rahmen der Prüfung, ob eine Wohlfahrtseinrichtung „des Erwerbs wegen“ betrieben wird, will das BMF solche Gewinne ansehen, die sich aufgrund staatlich regulierter Preise ergeben oder die unbeabsichtigt – bspw. aufgrund von Marktschwankungen – eintreten. In welchen Bereichen das BMF staatlich regulierte Preise annimmt, bleibt weitgehend offen. Beispielhaft werden Gebührenordnungen für ambulante Pflegeleistungen nach § 90 SGB XI genannt. Ob auch Abrechnungsmaßstäbe, wie etwa der EBM oder gar die GOÄ, zu staatlich regulierten Preisen führen, ist aus verschiedenen Gründen unsicher, u.E. aber im Ergebnis zu bejahen. Allein auf der Grundlage des BMF-Schreibens kann aber nicht sicher davon ausgegangen werden, dass Gewinne eines nach §§ 66, 53 AO steuerbegünstigten MVZ aus der ambulanten Versorgung von Kassen- oder/und Privatpatienten per se unschädlich sind.
  6. Eine Wohlfahrtseinrichtung wird nur dann „des Erwerbs wegen“ betrieben, wenn der Gewinn in drei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen den konkreten Finanzierungsbedarf übersteigt. Dabei sind nach dem BMF-Schreiben die drei Zeiträume einzeln zu betrachten. Es kommt nicht auf den Drei-Jahres-Saldo an und es besteht offensichtlich auch keine Verpflichtung, Gewinne in einem Jahr durch Maßnahmen im Folgejahr zu kompensieren.
  7. Die dargestellten Grundsätze gelten ab dem Veranlagungszeitraum 2017.

Insgesamt lässt sich sagen, dass sich der finanzielle Handlungsspielraum von MVZ und anderen nach §§ 66, 53 AO steuerbefreiten Körperschaften aufgrund des neuen BMF-Schreibens vergrößert hat. Nimmt man im Zusammenhang mit EBM und GOÄ staatlich regulierte Preise an, so wird man – u. E. zu Recht – zu dem Ergebnis gelangen, dass ein steuerbegünstigtes MVZ auch wieder Gewinne erzielen darf. Vor dem Hintergrund, dass die Gewinne den Grundsätzen der zeitnahen Mittelverwendung für die steuerbegünstigten, satzungsmäßigen Zwecke und der satzungsmäßigen Vermögensbindung unterliegen (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AO), erscheint dieses Ergebnis auch billig.

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