Die obersten Finanzbehörden der Länder reagieren mittels koordinierter Erlasse auf die BFH-Beschlüsse vom 27. Mai 2024 (Aktenzeichen II B 78/23 und II B 79/23) und bestätigen damit die Möglichkeit der Steuerpflichtigen, im Rahmen der Grundsteuerwertermittlung im Bundesmodell einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Grundstückswert nachzuweisen.
Hintergrund
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte im Frühjahr dieses Jahres entschieden, dass auf der Ebene der Feststellung des Grundsteuerwerts im Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts erfolgen kann. An dieser Stelle verweisen wir auf unseren Beitrag vom 15. Juli 2024.
Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts
Gesetzlich ist im Bundesmodell der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts nicht vorgesehen. Im Einklang mit der Entscheidung des BFH ist jedoch für den Fall, dass die Grundsteuerwertermittlung gegen das Übermaßverbot verstößt, eine verfassungskonforme Auslegung der Bewertungsvorschriften vorzunehmen. Das Übermaßverbot kann insbesondere dann verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt voraus, dass der vom Finanzamt festgestellte Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse vom Hauptfeststellungszeitpunkt um mindestens 40 Prozent übersteigt.
Anforderungen an den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts
Der Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts ist gegenüber dem örtlich zuständigen Finanzamt durch den Steuerpflichtigen nachzuweisen. Der Nachweis kann mit einem Gutachten oder einem stichtagsnahen Kaufpreis geführt werden, die bloße Darlegung genügt hingegen nicht.
Sachverständigengutachten
Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann in entsprechender Anwendung des § 198 Abs. 2 BewG regelmäßig ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses oder von akkreditierten Sachverständigen oder Gutachtern für die Wertermittlung von Grundstücken dienen. Das Gutachten ist zwingend unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse vom Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 2022 für die gesamte wirtschaftliche Einheit zu ermitteln.
Stichtagsnaher Kaufpreis
Neben einem Gutachten kann auch ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem 1. Januar 2022 zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück als Nachweis herangezogen werden. Dazu dürfen sich die maßgeblichen Verhältnisse des Grundstücks im Vergleich zum Hauptfeststellungszeitpunkt nicht geändert haben. Darüber hinaus ist entscheidend, dass der Kaufpreis für die gesamte wirtschaftliche Einheit gezahlt worden ist. Für Gebäude auf fremden Grund und Boden sowie für Erbbaurechte kann der niedrigere gemeine Wert daher grundsätzlich nicht über den Kaufpreis nachgewiesen werden.
Anwendung der Erlasse sowie Aussetzung der Vollziehung
Diese Grundsätze sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Sollte kein Einspruch gegen den Grundsteuerwertbescheid eingelegt und dieser deshalb bestandskräftig geworden sein, ist gegebenenfalls eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung nach § 222 Abs. 3 BewG vorzunehmen. Außerdem ist ab sofort Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung von Grundsteuerwertbescheiden zu entsprechen, wenn schlüssig dargelegt wird, dass der Grundsteuerwert den Verkehrswert um mindestens 40 Prozent übersteigt. Dabei ist die Vorlage eines Verkehrswertgutachtens noch nicht erforderlich. Infolge der Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertbescheides ist auch die Vollziehung des hierauf beruhenden Grundsteuermessbescheides von Amts wegen auszusetzen.
Einschätzung und Ausblick
Mit den gleich lautenden Erlassen schließt sich die Finanzverwaltung der verfassungskonformen Auslegung des BFH an. Damit haben Steuerpflichtige nun die Möglichkeit, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen, obwohl der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit im Rahmen der Grundsteuerreform nicht vorgesehen hatte.
Kritisch zu betrachten ist jedoch, dass die Finanzverwaltung die Anforderungen an den Nachweis niedrigerer Verkehrswerte an eng definierte Voraussetzungen knüpft. Insbesondere das Erreichen der 40-Prozent-Grenze, sowie die Erstellung eines Gutachtens rückwirkend auf den 1. Januar 2022, dürfte sich in der Praxis als hohe Hürde erweisen. Da die Kosten eines Sachverständigengutachtens zudem vom Steuerpflichtigen zu tragen sind, sollte dieser genau abwägen, ob die erwartete niedrigere Grundsteuerzahlung die Gutachtenkosten übersteigt, und sich im Zweifel beraten lassen.
Gern unterstützen wir Sie bei Fragen rund um das Thema Grundsteuer, sprechen Sie uns an.