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„In Stein gemeißelt und per Mail versandt“. Handlungsfähig in Zeiten von Lockdown

Frühzeitig vor der zweiten Corona-Welle hat die Bundesregierung von ihrer Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht und verlängerte das „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohneigentumsgesetz“ bis zum 31. Dezember 2021. Was bleibt, ist eine Unsicherheit, wie rechtssicher Beschlüsse gefasst, Vorstände gewählt und Verträge geschlossen werden können. Denn E-Mail ist nicht gleich E-Mail!

25.01.2021

Als im März 2020 im Angesicht des ersten Lockdowns das „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohneigentumsgesetz“ (GOVMG) in Kraft gesetzt wurde, atmeten Viele auf, Vorstände blieben im Amt und hofften auf eine Mitgliederversammlung in 2021, die Vereine und Gesellschaften blieben in 2020 handlungsfähig. Mit der nun erfolgten Verlängerung des Gesetzes bleiben einige Unsicherheiten bestehen.

Ein kleiner Rückblick:

In Zeiten von Corona und Homeoffice scheint „nichts in Stein gemeißelt zu sein“ und mancher hat mehr „auf dem Kerbholz“ als gut ist, wenn gerade auch nicht in der Kneipe um die Ecke, die bekanntlich geschlossen ist. So ist fast jedem aus dem Geschichtsunterricht bekannt, dass in die über zwei Meter hohe Gesetzessäule Hammurabis mit Keilschrift über dreihundert Paragraphen in den Diorit gemeißelt sind. Wer auch in der sechsten und siebten Klasse noch aufmerksam war, lernte, dass das Kerbholz mehr oder weniger fälschungssicher als Zählstock für Schulden diente. Ein geeignetes längliches Holzbrettchen wurde mit Symbolen markiert, auseinandergebrochen, sodass Schuldner und Gläubiger gleiche Beweisdokumente über die Menge der jeweiligen Schuld hatten.

Beiden, der Säule Hammurabis und dem Kerbholz ist gemein, dass Rechte und Pflichten dokumentiert wurden und zugleich dafür Beweis sind. Aber gleichwohl sind Hammurabis-Säule und das Kerbholz unterschiedlich konnotiert: Hammurabis‘ Gesetze galten, weil er der König war (Subordination, Rechtsnorm) und wurden deshalb „in Stein gemeißelt“. Sie waren unveränderlich und Grundlage der babylonischen Gemeinschaft. Das Kerbholz galt, weil man sich gegenseitig Rechte und Pflichten versprach (Koordination), deren Erfüllung nach Treu und Glauben und guter Sitte aber auch ohne diesen Beweis im mittelalterlichen Miteinander angeraten war.

Die Wirtschafts- und Rechtsgeschichte findet ausführlich den Weg von den in Stein gemeißelten Rechtssätzen über das Kerbholz hin zu Formvorschriften unserer Zeit, so der Schriftform nach § 126 BGB, elektronische Signatur § 126 a BGB, Schriftform nach § 56 SGB X für Vereinbarungen im Sozialrecht, wobei dann auch noch zwischen koordinationsrechtlichen, subordinationsrechtlichen und normenersetzenden Verträgen und Weiterem unterschieden wird.

Die Dokumentation von Rechten und Pflichten und damit eine komfortable Beweisführung über eben diese Rechte und Pflichten (Kerbholz) ist zu unterscheiden von der Entstehung von Rechten und Pflichten, die an bestimmte Formerfordernisse geknüpft sind. Die Gesetzgebung folgt streng formalisierten Verfahren und knüpft die Wirksamkeit der niedergelegten Rechte und Pflichten an die Veröffentlichung (Gesetzesblätter, Mitteilungsblättern etc.). Zwingende Formvorschriften, die bereits die Entstehung von Rechten und Pflichten betreffen, finden sich in Schriftformerfordernissen z. B. nach § 57 VwVfG oder § 56 SGB X für öffentlich-rechtliche Vereinbarungen und Verträge, oder auch dort, wo ein öffentlicher Glaube erzeugt werden soll und die mit dem Recht vermittelte Rechtsposition unabhängig von der konkreten Rechtsbeziehung zwischen Schuldner und Gläubiger nach außen wirken soll, so bei zwingenden notariellem Erfordernis (Kauf über ein Grundstück) oder Begründung der Rechtspersönlichkeit durch Registereintragungen. Immer dann also, wenn ein Hoheitsträger beteiligt ist oder die Öffentlichkeit und Dritte betroffen sind, verlässt sich unser Recht nicht aufs Kerbholz, sondern meißelt es in Stein.

„Elektronische Kommunikation“ Handlungsfähigkeit oder neue Fallstricke?

Die Erleichterungen und praktikable Befreiung von bisher „in Stein gemeißeltem Recht“ durch das GOVMG gilt nun bis 31. Dezember 2021. So kann Vereinsmitgliedern nach § 5 Absatz 2 Nr. 1 des GOVMG ermöglicht werden, ihre Mitgliedschaftsrechte im Wege der „elektronischen Kommunikation“ auszuüben.

Eine Definition, was elektronische Kommunikation ist, gibt das COVNG „Corona-Erleichterungsgesetz“ nicht. Auch § 118 Absatz 2 AktG, der Vorbild für die Regelung des § 5 Absatz 2 Nr. 1 des GOVMG war, enthält sich einer Definition, bietet allerdings in seiner Anwendung und Auslegung Orientierung: Alle Vereinsmitglieder, die elektronisch teilnehmen wollen, müssen es auch können, ebenso aber auch dürfen NUR die Vereinsmitglieder teilnehmen. Zugangsdaten, Passworte und Einladungen müssen rechtssicher versandt werden, die virtuell teilnehmenden Mitglieder sind zu dokumentieren und die technischen Anforderungen müssen so gestaltet sein, dass unnötige Erschwernisse bei der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte keine Anfechtungsgründe liefern könnten. Dies inkludiert, dass ggf. auch die technischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit eine elektronische Kommunikation zwischen den Mitgliedern möglich ist.

Auch schon vor Corona gab es richtungsweisende Entscheidungen und Auseinandersetzungen zur Mitgliederversammlung von Vereinen. So hat das OLG Hamm 2015 (OLG Hamm, Beschluss vom 24. September 2015 – DStR 2016, 487) entschieden, dass von der durch Satzung bestimmten schriftlichen Einberufungspflicht für Mitgliederversammlungen suspendiert und eine Einladung per E-Mail erfolgen kann und nimmt Bezug auf die Entscheidung des OLG Hamburg (Beschluss vom 6. Mai 2013 – 2 W 35/13), die darauf abgestellt, dass die satzungsrechtlichen Formerfordernisse gewillkürte Formerfordernisse (Kerbholz) und nicht gesetzlich definierte Formerfordernisse (in Stein gemeißelt) sind. Die Einladung zu einer Mitgliederversammlung per Mail ist rechtlich sowohl von Rechtsprechung als auch der Literatur akzeptiert (so auch Ulrich Noack, Mitgliederversammlung bei Großvereinen und digitale Teilhabe, NJW 2018, 1345). Soweit aber die Einladung zur Mitgliederversammlung per Mail erfolgen darf, gilt dies nicht auch 1:1 für Abstimmungen in einer virtuellen Mitgliederversammlung. Denn die Durchführung einer Mitgliederversammlung im Wege der „elektronischen Kommunikation“ stellt auf wechselseitige Übertragung in Echtzeit durch Fernkommunikationsmittel ab. Damit scheidet eine E-Mail-Abstimmung jedenfalls aus.

Keine Erleichterung bei gesetzlichen Schriftformerfordernissen

Soweit Corona-Regelungen vom Satzungsrecht suspendieren, ist von zwingenden gesetzlichen Formerfordernissen über diese Regelung hinaus keine „Erleichterung“ eingetreten. Es gelten die Formvorschriften insbesondere im hoheitlichen Bereich. Das handschriftliche Unterzeichnen eines entsprechenden Vertrages, der dem Schriftformerfordernis der § 57 VwVfG oder 56 SGB X unterliegt, kann nur mittels qualifizierter elektronischer Signatur ersetzt werden, eine E-Mail zu versenden, genügt auch in Zeiten von Corona nicht.

Haben Sie Fragen, ob Formvorschriften in „Stein gemeißelt“ sind, wenden Sie sich an uns.

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