Der BFH legte dem EuGH verschiedene Fragen zum Thema der umsatzsteuerlichen Organschaft vor. Im Kern der Fragen ging es vor allem darum, ob die deutschen Regelungen unionsrechtskonform sind. In seinen Entscheidungen vom 1. Dezember 2022 (C-141/20 und C-269/20) antwortete der EuGH nun darauf. Kurzum: der große Paukenschlag blieb aus.
1. Hintergrund
Bereits seit einigen Jahren werden dem EuGH in regelmäßigen Abständen Fragen zur deutschen umsatzsteuerlichen Organschaft gestellt. So deutete sich mit den Schlussanträgen der Generalanwältin des EuGH ein umsatzsteuerlicher Paukenschlag bezüglich der umsatzsteuerlichen Organschaft an (Anm.: Zu den Schlussanträgen berichteten wir ausführlichen in unserem Newsletter vom 26. Januar 2022 und 10. Mai 2022). Im vorherigen Jahr entschied der EuGH, dass die enge Auslegung des V. Senats zur umsatzsteuerlichen Organschaft unionsrechtskonform ist (Anm.: Zu der Entscheidung berichteten wir ausführlichen in unserem Newsletter vom 31. Mai 2021).
2. EuGH-Urteile
a. Organträger ist und bleibt Steuerpflichtiger
Der EuGH bestätigt: es kann nur einen einzigen Ansprechpartner der organgesellschaftlichen Gruppe geben. Dass sich Deutschland insoweit für den Organträger entschieden hat, ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Voraussetzung bleibt freilich, dass der Organträger in der Lage ist, seinen Willen bei den Organgesellschaften durchzusetzen und nicht die Gefahr von Steuerverlusten droht.
b. Mehrheitsbeteiligung für finanzielle Eingliederung grundsätzlich ausreichend
Nach Auffassung des EuGH (C-141/20) genügt für die finanzielle Eingliederung, dass der Organträger eine Mehrheit der Anteile an der Organgesellschaft hält. Entgegen der bisherigen nationalen Auffassung ist eine darüberhinausgehende Stimmrechtsmehrheit an der jeweiligen Organgesellschaft somit grundsätzlich nicht erforderlich. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn die Stimmenmehrheit erforderlich und geeignet ist, Missbräuche zu vermeiden. Ob dies der Fall ist, hat das nationale Gericht zu prüfen.
Unklar ist allerdings, wie der Organträger ohne gleichzeitige Stimmrechtsmehrheit seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen soll. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.
c. Unklar: Steuerbarkeit von Innenleistungen?
In einer weiteren Frage ging es darum, ob es dem nationalen Gesetzgeber erlaubt sei, eine selbständige Person im Wege einer Typisierung als nicht selbstständig tätig zu betrachten, wenn sie finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in die Organträgerin eingegliedert ist. In seinen Entscheidungen verneint der EuGH diese Frage. Er geht davon aus, dass eine Organgesellschaft an den Organträger entgeltliche Leistungen erbringen kann. Ob das bedeutet, dass die bisher als nichtsteuerbare Innenumsätze qualifizierten Umsätze innerhalb des Organkreises nun grundsätzlich steuerbar und ggf. steuerpflichtig sind, ergibt sich allerdings nicht ausdrücklich aus den beiden neuen EuGH-Urteilen. Dies widerspräche allerdings seiner früheren Rechtsprechung. Wenngleich daher viel dafür spricht, dass Innenleistungen weiterhin nicht steuerbar sind, bleibt abzuwarten, welche Schlüsse der BFH in seinen Nachfolgeentscheidungen aus den neuen EuGH-Urteilen ziehen wird und wie diese dann von der Finanzverwaltung umgesetzt werden.
d. hoheitlicher / ideeller Bereich als Teil des Organkreises
Zudem kommt es nach Auffassung des EuGH (C-269/20) nicht zur Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe, wenn eine Organgesellschaft eine Leistung für den nichtwirtschaftlichen Bereich des Organträgers erbringt. Demgemäß wird auch der hoheitliche bzw. ideelle Bereich von der Organschaft umfasst.
Hieraus folgen grundsätzlich gute Neuigkeiten für die öffentliche Hand und den Non-Profit-Bereich: Denn bleibt es im Übrigen beim bisherigen Verständnis – Nichtsteuerbarkeit von Innenleistungen – wird die Umsatzsteuer bei Innenleistungen nicht zum Kostenfaktor. Gerade darin liegt der Reiz einer Organschaft bei Organteilen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, sei es, weil sie steuerfreie Umsätze erbringen oder nicht wirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S. und damit nichtunternehmerische Tätigkeiten. Das trifft etwa zu
- auf juristische Personen des öffentlichen Rechts bei hoheitlichen Tätigkeiten,
- auf gemeinnützige Einrichtungen, sofern sie ideell wirken, oder aber
- auf gemischte Holdings, die sich teilweise auf das Halten einer Beteiligung beschränken.
3. Praxishinweise
Die EuGH-Urteile führen wegen ihrer Entscheidung zur unionsrechtskonformen Ausgestaltung der deutschen Organschaft zwar zu einer gewissen Rechtssicherheit.
Insbesondere für Körperschaften des Öffentlichen Rechts, gemeinnützige Einrichtungen und gemischte Holdings bietet die EuGH-Rechtsprechung Gestaltungspotential. Beispielsweise würden eigene Personalkosten innerhalb der Organschaft nicht mehr mit Umsatzsteuer belastet.
Nachdem der EuGH zur umsatzsteuerlichen Organschaft entschieden hat, wird nun im nächsten Schritt der BFH erneut tätig, indem er seine zur EuGH-Entscheidung ausgesetzten Verfahren wieder aufnehmen und Entscheidungen treffen muss. Hier bleibt insbesondere abzuwarten, welche Aussagen der BFH in Bezug auf die Innenleistungen treffen wird und welche Konsequenzen für Organträger und Organgesellschaften daraus resultieren.
Für Fragen zum Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Sprechen Sie uns an.